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Faramund gab es auf. Bruno von Falkenstein war ein kranker Mann. Wahrscheinlich mußte er sich endgültig damit abfinden, daß der Geist des Ritters jenseits von allem irdischen Leben in einer eigenen Welt gefangen war. Es war eine Schande.

Seufzend wandte er sich um. Er würde alleine zum Wasserfall gehen! Die Frauen sprachen davon, daß die Hohepriesterin sie zu den Waffen gerufen hatte. Faramund wollte als Ritter nicht zurückbleiben. Er konnte sich weder das Feuer im Tempel erklären noch die Aufregung, mit der hier alle verschwunden waren, aber er war gewillt, für dieses Volk zu kämpfen, dessen Gastfreundschaft er schon so lange genoß.

Während er sich ein ledernes Hemd überzog, das eine der Frauen ihm hier genäht hatte, wurde es draußen plötzlich merkwürdig still, so als hielte alles den Atem an. Selbst das Feuer schien mit einmal stiller zu brennen.

Aus der Ferne erklang leise eine Frauenstimme. Erst sanft, dann immer kräftiger sang sie ein bezauberndes Lied. Faramund lauschte. Ohne Zweifel, es war eine Liebesmelodie, die mit solcher Schönheit dargebracht wurde, daß es ihn magisch anzog. An keinem Hof, an dem er in seinem Leben verweilt hatte, war er jemals in den Genuß gekommen, eine solche Stimme zu hören.

Langsam ging Faramund zum Höhlenausgang. Er ließ die Bänder des Hemdes offen und trat zwei Schritte nach draußen. Es war, als ob die Stimme ihn riefe, um in ihm alle Liebe zu wecken, zu der ein Mann überhaupt nur fähig war.

Welch seltsame Magie, dachte er und erschrak fast zu Tode, als sich ihm von hinten eine schwere Hand auf die Schultern legte.

»Sie stirbt«, sagte Bruno von Falkenstein. Sein Blick hatte eine tiefe Klarheit, die Faramund Tränen in die Augen trieb.

»Kommt endlich,« fuhr der Schwertmeister fort, während er sich sein Schwert umgürtete. »Sie stirbt. Wir müssen ihr helfen.«

Brunhild hielt den Atem an. Raban drückte ihre Hand, die er die ganze Zeit festgehalten hatte.

»Das war das schönste Lied, das ich je gehört habe«, flüsterte er und drückte sich sanft an das Mädchen. Schweigend schauten sie aus einiger Entfernung auf den See hinunter. Der Mann stand immer noch unbeweglich am Ufer. Er betrachtete die Frau, als würde er sie jetzt erst sehen.

»Was tut er da?« fragte Brunhild, die nicht verstand, warum der Mann sich nicht rührte. Offensichtlich hatte Camire für ihn gesungen. Das konnte ihn doch nicht unberührt lassen.

Ein leises Lachen, warm und anziehend, klang über den See hinweg. Langsam ging Pyros auf das Wasser zu. Er streckte den Arm nach der Frau aus. Brunhild drückte fest die Hand des Jungen neben ihr; so spannend fand sie, was dort unten geschah.

Dann sagte der Mann irgend etwas, doch Brunhild konnte die Worte nicht verstehen.

Camire begann das Lied von neuem zu singen. Sie setzte eben zur ersten Strophe an, als Rabans Vater eine einzige, winzige Handbewegung machte.

Der See begann zu brennen.

»Nein«, flüsterte Raban. Er hielt sich rasch die Augen zu.

An allen Uferrändern begannen kleine Flammen zu züngeln, die allmählich immer größer wurden. Sie bildeten einen Kreis, der sich mehr und mehr zur Mitte hin schloß. Noch bevor Camire wirklich zum zweiten Mal das Lied begann, erreichten die Flammen ihr blondes Haar. Ein seltsam unwirklicher Schrei ertönte über das brennende Wasser.

Brunhild schaute fasziniert auf das rotglühende Flammenspiel, das sich langsam dem Wasserfall näherte und an dessen Saum züngelte. Es wurde still. Camire war in dem Feuer versunken.

Ein brennender See, ein brennender Wasserfall mitten in dunkler Nacht! Brunhild schaute in den Himmel. Das Licht schien hinaufzufliegen, bis zu dem runden gelben Mond. Einen solch schönen Zauber hatte sie noch nie gesehen.

Raban weinte.

»Was ist?« fragte sie.

»Mein Vater hat sie umgebracht!« flüsterte er voller Entsetzen. »Hast du es nicht gesehen? Er hat Eure Priesterin getötet!«

Brunhild blickte wieder auf das feurige Bild. »Ja«, sagte sie tonlos. »Aber das Feuer ist sehr schön.«

Verträumt machte sie einen Schritt auf den See zu. Sie wollte es sich aus der Nähe ansehen, und den Magier wollte sie auch sehen.

»Bleib stehen!« Faramund erwischte Brunhild gerade noch am Ärmel. »Gütiger Himmel, du kannst doch da nicht einfach hinuntergehen.«

»Ritter Faramund!« Brunhild schaute den Mann überrascht an. Dann fiel ihr Blick auf Bruno von Falkenstein. »Ihr seid auch hier?«

Bruno schaute irritiert auf die kleine Person vor ihm. Sie reichte ihm bis an den unteren Rand seines Gürtels. Ihre Augen blickten ihn mit unverhohlener Neugier an.

»Gott, Faramund helft mir. Woran erinnert mich dieses Kind?« fragte Bruno.

Der junge Ritter blickte den anderen ernst an. »Das ist Brunhild, Luovanas Tochter. Erinnert Ihr Euch an Luovana?«

Bruno betrachtete einen Augenblick lang seine Hände, dann nickte er. »Ja, ich erinnere mich an Luovana, ich erinnere mich an alles. An die Liebe, an den Raum des Lichtes. Sie starb!« Er schaute hinunter auf den brennenden See. »Ist die Frau, die vorhin gesungen hat, tot?«

»Das Feuer hat sie verschluckt«, sagte Brunhild. Sie schaute Bruno immer noch an. »Seid Ihr jetzt wieder gesund?«

Der Ritter nickte. »Ja, ich bin wieder gesund.« Er streichelte ihr sanft über das Haar. »Du heißt also Brunhild?«

»Ja!«

Faramund räusperte sich. »Vielleicht ist jetzt nicht der rechte Zeitpunkt dafür«, sagte er. »Wir sollten doch sehen, was bei dem Feuer vor sich geht.«

Bruno nahm Brunhilds Hand. »Kleines Fräulein, du mußt mir jetzt etwas versprechen. Willst du das tun?«

Das Mädchen nickte so, daß ihre Locken wippten.

»Ich werde jetzt mit Ritter Faramund hinunter zum See gehen, um nach dem Rechten zu schauen, aber ich möchte, daß du und dein Freund in dieser Zeit hier oben auf uns wartet.«

Brunhild schmollte. »Ich will auch wissen, was da los ist! Arma ist dort!«

»Arma, die Kriegerin?«

»Ja«, sagte Brunhild.

»Ich werde versuchen Arma zu finden. Ich werde ihr sagen, daß du hier auf sie wartest.«

Mirka zog den weißgefiederten Pfeil aus dem Köcher. »Wenn der ganze Wasserfall brennt, kann Pyros seinen Vater jederzeit befreien«, rief sie und zielte.

»Bist du sicher, daß Elinor überhaupt noch lebt?« fragte Arma.

Sie standen leicht verdeckt durch einen hohen Strauch nahe am Ufer des Sees. Pyros hatte sich auf der anderen Seite postiert und schaute zum Wasserfall. »Er scheint wirklich verändert zu sein. Er müßte uns längst bemerkt haben.«

»Ich werde mir jetzt keine Gedanken darüber machen, warum Pyros mich nicht sieht«, rief Mirka und ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Es war ein guter Schuß. Doch sie traf den Magier nicht.

»Verdammt!« Sie nahm einen neuen weißen Pfeil und zielte wieder. Diesmal fiel der Pfeil in den brennenden See.

»Wann wirkt das Gift?« fragte sie und spannte den dritten Pfeil ein.

Arma beobachtete sorgenvoll den Magier, der unberührt am Ufer stand. »Gar nicht!«

»Was?«

»Merkst du nicht, was da geschieht? Du triffst ihn nicht! Sieh her!« Arma legte den Bogen an, doch ihr Pfeil fiel ebenfalls in den brennenden See. »Es ist sinnlos!«

Mirka schaute der Kriegerin in die Augen. Sie selbst war eine viel zu gute Schützin, um ihn auf diese Entfernung zu verfehlen. Aber daß Arma ein Ziel verfehlte, hatte sie noch nicht erlebt. Kurz entschlossen pfiff Mirka auf zwei Fingern. Von drei Seiten rund um den See begann es Pfeile zu regnen.

Pyros machte Anstalten, am Ufer entlang zum Wasserfall zu gehen. Er hatte bereits die Hälfte des brennenden Sees umrundet, doch kein einziger Schuß der Priesterinnen hatte getroffen.