»Er hat aus seiner letzten Begegnung mit den Gwenyar gelernt. Diesen Abwehrzauber beherrscht er mittlerweile gut, wie man sieht«, bemerkte Arma.
Mirka pfiff ein zweites Mal, und die Frauen ringsum ließen die Bogen wieder sinken. »Und was sollen wir nun tun?«
»Vertraue auf die Göttin«, erklärte Arma. »Du bist jetzt schließlich Hohepriesterin. Da, schau was geschieht!«
»Was meinst du?« Mirka blickte fragend in die Richtung, in die Arma deutete.
Oben auf dem Felsen, von dem rotglühende Flammen herab in den See stürzten, erschien die Gestalt einer Frau. Sie trug ein schneeweißes Gewand. Ihr schwarzes Haar floß offen bis zu den Hüften hinab. Der Widerschein des Feuers zauberte ein verwirrendes Spiel von Licht und Schatten auf ihr zartes Gesicht und ließen die hellen Augen weithin strahlen.
»Das ist Antana«, flüsterte Mirka aufgeregt.
Arma nickte. »Ich habe sie bei Pyros gesehen. Sie lebte mit ihm in dem kleinen Haus hinter der magischen Linie. Pyros muß sie damals verzaubert haben. Erinnerst du dich noch, als wir die Ritter verfolgten?«
»Ja, wir trafen sie auf dem Burgweg,« erwiderte Mirka. »Es war das letzte Mal, daß wir sie sahen.«
»Mir war es gleich nicht ganz geheuer. Sie kam aus den Bergen! Wahrscheinlich war sie an jenem Tag bei dem Magier. Es gibt keine andere Erklärung für ihr Verschwinden!«
»Pyros!« Antanas Stimme hallte laut über den See. »Dein Weg ist hier zu Ende!«
Mirka sah einen Blitz, der vom Felsen hinabzuckte und kurz vor dem Magier in die Erde fuhr. Dann hörte man sein warmes, fast zärtliches Lachen, das ihr durch alle Glieder fuhr. Es zog sie an. Eine sanfte Sehnsucht tief in ihr erwachte. Sie wollte den Magier plötzlich aus der Nähe sehen, sie wollte ihn anschauen, ihn berühren. Arma legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Alles in Ordnung, Priesterin?« Erschrocken blickt Mirka auf. Sie schüttelte sich. Der Mann war wirklich ein Meister der Verführung. Sie war froh, ihm niemals zuvor wirklich begegnet zu sein.
Pyros schaute hinauf zu Antana. »Wer sollte mich aufhalten?«
»Ich«, rief die Heilerin.
Mirka war überrascht von der klirrenden Härte in ihrer Stimme. Sie mußte ungeheure Kräfte in sich haben, ihm zu widerstehen.
»Jetzt bekommen wir wirklich ein magisches Duell zu sehen«, flüsterte Arma und ging in die Knie.
»Ich liebe dich«, rief Antana.
»Ich weiß«, erwiderte Pyros gelassen. Langsam setzte er seinen Weg zu dem feurigen Vorhang fort, der den Eingang zu Elinors Höhle bildete. Er ließ die Frau jedoch nicht aus den Augen.
»Aus Liebe habe ich auch jeden einzelnen Zauber gelernt, den du mir beibrachtest!« Vor Pyros’ Füßen zischte drohend eine Flammen aus dem Boden auf.
»Du weißt, daß es vergeblich ist. Du kannst dich nicht gegen mich stellen«, sagte Pyros. Er trat das kleine Feuer vor ihm wieder aus. »Wir befreien Elinor, dann gehen wir von hier fort.«
»Nein. Du wirst Elinor nicht befreien.« Wieder zischte es vor den Füßen des Magiers. Die Flammen waren deutlich größer. Diesmal zögerte Pyros nicht. Er machte eine kleine Drehung mit seinem Handgelenk.
Mirka fand, es sah so aus, als ob er die Frau zu sich winke. Einen Herzschlag später sprang Antana vom Felsen hinab in den brennenden See.
Arma seufzte enttäuscht. »Ich frage mich, woher er diese Macht hat. Er kann damals unmöglich so stark gewesen sein, sonst hätte Moira ihn niemals in einen Adler verwandeln können.«
Mirka nickte.
»Pyros!«
Arma hob erstaunt die Brauen. Antana stieg am anderen Ufer aus dem feurigen Wasser. »Bei allen Göttinnen dieser Welt«, entfuhr es ihr. »Sie ist nicht nur eine Heilerin, sie versteht sich wirklich auf Magie.«
»Pyros, hör auf!« rief Antana. Ihre Stimme hatte alle Härte verloren, statt dessen wirkte sie nun verzweifelt. Aber ihr Rufen blieb ohne Wirkung. Der Magier ging weiter. Er schaute sich nicht einmal um.
»Pyros! Er wird dich töten, wenn du es ohne meine Hilfe tust!« schrie die Heilerin. Mit tränenerstickter Stimme begann sie, fremde Worte zu flüstern. Mirka horchte auf. Es waren Worte aus der alten Sprache.
Plötzlich raschelte es im Gebüsch. Erschrocken schaute Mirka sich um. Neben ihr tauchte die alte Ramee auf.
»Was steht Ihr hier herum wie gaffendes Volk«, schimpfte sie. »Helft der Heilerin endlich!«
»Helfen?« Mirka schaute die Alte fragend an.
»Soll sie alleine gegen ihn kämpfen? Versteht Ihr nicht, sie versucht, unser Volk vor Elinor zu beschützen. Aber das kann sie nicht alleine.« Sie seufzte erleichtert. »Luovanas Mutter hat dieses Mädchen auch zur Liebe erzogen. Ich wußte es, er hat sie nicht wirklich besiegt. Sie ist nicht willenlos wie Lursa!«
»Was meint Ihr damit, Ramee?«
Die alte Frau warf einen Blick auf Mirka. »Wenn Ihr eines Tages liebt, werdet Ihr die Heldentat dieser Frau dort vielleicht begreifen.«
»Was können wir tun?«
»Sagt bloß, Camire hat Euch zur Hohepriesterin gemacht, ohne Euch die Rituale zu lehren? Das sähe ihr ähnlich«, schimpfte die Alte leise; dabei ließ sie Antana nicht aus den Augen.
»Hört genau zu!« Langsam sprach Ramee den Spruch vor. »Los jetzt, sprecht mir nach«, sagte sie dann. Es waren dieselben Worte, die Antana vom jenseitigen Ufer dem Magier entgegenrief.
Mirka gehorchte. Auch Arma fiel mit ein. Nach und nach begannen auch die anderen Priesterinnen rund um den See gemeinsam, den Vers zu sprechen. Mit den heiligen Worten wurde die Göttin im Todesgewand beschworen, die Richterin und die Rächerin.
Antana begann von neuem damit die Verse zu sprechen. Sie wurde mutiger, als sie hörte, daß sie nicht alleine den Tod Elinors von der Göttin erflehte. Immer lauter riefen auch die anderen Priesterinnen, bis ein gemeinsames Lied daraus entstand, daß dunkel und schwer über dem brennenden See lag.
Mirka fuhr mit der Hand über ihr Gesicht. Warum nur weinte sie?
Als sie den Vers zum dritten Mal begann, brach Antana am jenseitigen Ufer zusammen.
»Es geht über ihre Kräfte«, sagte die alte Ramee. »Hoffentlich hat es dennoch gereicht, um Elinor hinter dem Feuer zu töten. Es war ihre einzige Chance, Pyros aufzuhalten. Sie wußte, daß sie Pyros alleine nicht verwandeln kann! Er hat viel gelernt, seitdem ich ihn damals mit Moira gemeinsam verzaubert habe.« Die Alte schaute auf. »Aber vielleicht gibt es noch einen Weg. Doch zuerst muß ich mich um die Heilerin kümmern.« Mit eiligen Schritten verließ sie das Gebüsch.
Es war dunkel um sie herum. »Was ist geschehen?« flüsterte Mirka und rieb sich über die Augen. Ihr war so, als erwache sie aus einer Ohnmacht. Nur sehr langsam erinnerte sie sich, was geschehen war.
»Das Feuer ist erloschen«, bemerkte Arma. In ihrer Stimme schwang eine dumpfe Traurigkeit mit. »Der See brennt nicht mehr. Hörst du, Priesterin, das Wasser rauscht wieder.«
»Heißt das, wir haben es geschafft? Wir haben Pyros besiegt?« fragte Mirka.
Arma zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht«, sagte sie.
»Aber wir haben Ritter Bruno versprochen, hierzubleiben«, rief Brunhild aufgeregt. Sie rannte den Hügel hinunter, immer hinter Raban her.
»Antana«, rief der Junge, »Antana!« Er flog so schnell ihn seine kleinen Beine trugen zum Ufer des Sees. Seine Augen hatte eine Weile gebraucht, sich an die plötzliche Finsternis zu gewöhnen. Aber das hinderte ihn nicht daran zu laufen. Sträucher zerkratzten ihm das Gesicht, doch er spürte es nicht. Blind vor Tränen kam er unten am See an. Antana war hingefallen. Vielleicht war sie tot. Vielleicht hatte sein Vater auch Antana getötet!
Verzweifelt rief er immer wieder ihren Namen. Er wäre gestürzt, wenn ihn nicht zwei Arme aufgefangen hätten.
»Na, junger Mann, nicht ganz so schnell«, sagte die alte Ramee und hielt den Jungen fest. »Es wird alles wieder gut, wir werden Antana helfen. Sie wird nicht sterben.«
Brunhild kam atemlos hinterher. »Was ist mit der Frau?« fragte sie. Vorsichtig schaute sie an Ramee vorbei zu Antana.
»Sie ist schwer krank«, sagte die Alte, während sie Raban die Tränen abwischte. »Komm jetzt! Du kannst zu ihr.«
Antana schlug die Augen auf. Es war wie damals, als sie von den Felsen gestürzt war und in Lursas Höhle erwachte. Ihr ganzer Körper schmerzte. Sie sehnte sich wieder nach der dunklen Tiefe, die ihrer Seele endlich Frieden gäbe. Sie war so unendlich müde. Ihr Blick fiel auf Raban, der weinend neben ihr kniete. Mühsam strich sie dem Jungen sanft über die dunklen Locken. Er sah seinem Vater so ähnlich. Antana fühlte die Tränen in sich aufsteigen. Wo war Pyros? Würde er sie töten, dafür daß sie Elinor vernichtet hatte?
»Geht jetzt«, sagte die alte Ramee. »Wir müssen sie in meine Höhle bringen. Sie braucht viel Ruhe.«