Verzweifelt rief er immer wieder ihren Namen. Er wäre gestürzt, wenn ihn nicht zwei Arme aufgefangen hätten.
»Na, junger Mann, nicht ganz so schnell«, sagte die alte Ramee und hielt den Jungen fest. »Es wird alles wieder gut, wir werden Antana helfen. Sie wird nicht sterben.«
Brunhild kam atemlos hinterher. »Was ist mit der Frau?« fragte sie. Vorsichtig schaute sie an Ramee vorbei zu Antana.
»Sie ist schwer krank«, sagte die Alte, während sie Raban die Tränen abwischte. »Komm jetzt! Du kannst zu ihr.«
Antana schlug die Augen auf. Es war wie damals, als sie von den Felsen gestürzt war und in Lursas Höhle erwachte. Ihr ganzer Körper schmerzte. Sie sehnte sich wieder nach der dunklen Tiefe, die ihrer Seele endlich Frieden gäbe. Sie war so unendlich müde. Ihr Blick fiel auf Raban, der weinend neben ihr kniete. Mühsam strich sie dem Jungen sanft über die dunklen Locken. Er sah seinem Vater so ähnlich. Antana fühlte die Tränen in sich aufsteigen. Wo war Pyros? Würde er sie töten, dafür daß sie Elinor vernichtet hatte?
»Geht jetzt«, sagte die alte Ramee. »Wir müssen sie in meine Höhle bringen. Sie braucht viel Ruhe.«
Epilog
»Und ihr müßt wirklich fortreiten«, fragte Brunhild. Sie blickte Bruno von Falkenstein an. Die Sonne schien hell über dem Tal des Wasserfalls und der Wind hatte den beißenden Geruch des brennenden Tempels lange fortgeweht.
Der Ritter kniete sich noch einmal neben sie. »Ja, wir müssen zurück in meine Heimat. Ritter Faramund freut sich schon darauf, in Worms allen Leuten von unserem Abenteuer zu erzählen.«
»Wenngleich es auch nicht nur Euer Abenteuer war«, sagte Arma. Sie reichte dem Ritter einen Köcher mit Pfeilen und einen Bogen.
»Ich dachte mir, ihr könnt dieses Geschenk vielleicht gebrauchen.«
Bruno nahm die Waffen entgegen. »Danke«, sagte er. »Ich weiß zu schätzen, was Ihr für mich getan habt.«
Arma hob fragend die Brauen.
»Nun, nicht nur, daß Ihr mich damals nicht getötet habt, Ihr habt auch mein Kind in Eure Obhut genommen und mir hier eine lange Zeit des Heilens gewährt.«
Arma zuckte mit den Schultern. »Wenn wir gewußt hätten, daß Euch das Lied der Liebe heilen würde, hätten wir es schon viel früher singen können.«
»Nein.« Bruno schüttelte den Kopf. »Ich habe das Lied zur rechten Zeit gehört. Vielleicht mußte es auch von einer sterbenden Frau gesungen werden. Wer weiß, ob der Zauber sonst gewirkt hätte.«
»Nein, hätte er nicht,« mischte sich Mirka ein, die neben Arma stand. »Jetzt, wo Ramee mir die Sprache der Orakel beigebracht hat, weiß ich, daß es Eure Bestimmung war, an diesen Ort zu kommen, um gesund zu werden. Die nächtliche Erscheinung, die Euch vor vielen Wintern vom Rhein hierhersandte, wußte um Euer Schicksal. Ihr mußtet zur Flammenburg reiten, damit Eure Tochter geboren werden konnte, und Ihr mußtet das Liebeslied der sterbenden Camire hören, um über Euren Schmerz hinwegzukommen. Eure Trauer um die toten Frauen, edler Ritter, wird Euch auch weiterhin begleiten, doch sie wird Eurer Leben nicht mehr zerstören.« Sie lächelte. »Die Göttin lenkt Euer Schicksal auch in Worms.«
»Eure letzten Worte wiegen schwer«, sagte Bruno. »Wahrscheinlich glauben wir an den gleichen Gott. Er möge Euch Eure Blindheit vergeben.«
»Die Göttin wird Euch Eure gewiß verzeihen.« Mirka lächelte und ging.
Bruno hielt Arma die Hand hin. »Ich werde Luovana ebensowenig vergessen wie Ihr«, sagte er.
»Da bin ich sicher«, erwiderte Arma. Als sich ihre Hände berührten, spürte Bruno eine tiefe Verbundenheit mit der Kriegerin. Sie hatten beide die geliebte Frau verloren.
Arma wandte den Blick ab. »Ihr nehmt also den Jungen mit?«
Faramund nickte und setzte Raban auf sein Pferd. »Antana sagte, daß Lursa das Leben und den Tod der beiden Kinder miteinander verbunden hat. Wir wollen dem Schicksal keine Gelegenheit mehr bieten, daß der Tod die beiden trennen könnte.«
»Die Wege der Göttin sind oft verschlungen.« Arma schaute auf den Wasserfall. Klar sprudelte das Wasser über die schwarzen Steine und fiel rauschend in den See.
Faramund folgte Armas Blick. »Die alte Ramee sagt, daß Elinor nicht mehr hinter dem Wasserfall gefangen ist.«
»Er ist tot!« sagte Arma.
»Sonderbar.« Faramund legte die Stirn in Falten. »Wieso hatte Antana die Kraft, diesen mächtigen Magier zu töten?«
»Mirka sagte, daß dazu drei Dinge nötig waren. Die Magie, die sie von Pyros lernte. Die Tatsache, daß sie Elinors Tochter ist und daß sie in der Flammenburg zur Liebe erzogen wurde. Aber erst mit der wahren Liebe, die sie für Pyros empfand, war sie Elinor an Kraft ebenbürtig und damit stark genug, ihn zu vernichten.«
Brunhild hatte sich von Arma gelöst. Sie ging zu Faramunds Pferd.
»Du bleibst immer mein Freund«, sagte sie traurig zu Raban. »Auch wenn die Großen sagen, daß wir uns nicht wiedersehen dürfen, werde ich dich nicht vergessen.« Sie zupfte an Rabans Fuß, den sie gerade eben mit den Armen noch erreichen konnte.
»Wir sind Gefährten der Nacht!« flüsterte der Junge. Von ihrer geheimen Verschwörung mußte niemand sonst etwas wissen. Er hielt Brunhilds Stein kurz in den Fingern, dann steckt er ihn ganz tief in die Hosentaschen zurück.
Bruno hob die kleine Brunhild auf den Arm. »Leb wohl, meine Tochter.« Er strich ihr über die Wangen und schob ihr eine kleine Locke aus der Stirn. »Folge Arma und werde eine gute Kriegerin, damit sich der Wunsch deiner Mutter erfüllt.«
Das Mädchen lachte. »Stimmt es eigentlich, Ritter Bruno, daß Arma Euch einmal mit dem Bogen besiegte?«
Bruno räusperte sich. »Ja, das ist wahr.« Er schwang sich auf sein Pferd.
»Gut, dann werde ich eines Tages nach Worms kommen, um mit Euch zu kämpfen. Ich werde Euch auch besiegen, genau wie Arma es tat!«
Faramund lachte laut auf. »Worms wartet auf Euch, Brunhild!« rief er übermütig.
Arma und Brunhild winkten den dreien noch nach, bis sie hinter den Hügeln verschwanden.
»Weißt du«, sagte Brunhild, »ich bin froh, daß du bei mir bleibst. Nach allem, was ich von Raban über Väter gehört habe, bin ich ganz glücklich, daß Ritter Bruno nun abreist. Vielleicht hätte er doch eines Tages mit mir geschimpft!«
Arma lachte. »Komm, wir sollten mit dem Springen beginnen. Mirka sagt, es wäre allerhöchste Zeit, daß du endlich lernst, weiter zu springen, als je ein Mann es könnte.«
Antana wachte auf. Die alte Ramee saß nicht wie sonst in den letzten Tagen bei ihr, um sie zu pflegen. Aber sie war dennoch nicht alleine in der Höhle. Sie lauschte. Ein leises Schnurren hatte sie geweckt. Antana schaute sich um und mußte lächeln.
Ein rotbrauner Kater lag neben ihr auf den Decken, nahe am Feuer. Ruhig schaute er sie an. Er hatte dunkelbraune, glänzende Augen, und sein tiefes Schnurren klang angenehm weich. Antana hob die Hand. Das Fell hatte die Farbe von dunklen Flammen, die hier und da im Spiel des Lichtes schimmerten. Sanft drückte das Tier seinen Kopf an ihre Finger und rückte ein Stückchen näher. Er legte zärtlich eine Pfote auf ihre Brust, als Antana ihn streichelte.
»Du bist also doch gekommen.« Sie lächelte. »Bist du nicht böse, daß ich Elinor getötet habe?« Ihre Hand wanderte hinter die Ohren des Katers und kraulte ihn dort. »Ich hatte solche Angst um dich. Ich mußte es einfach tun.« Das Tier maunzte leise. Es rieb dabei seinen Kopf wieder an ihrer Hand während sie weiterfragte.
»Bist du jetzt von dem Geist des Alten befreit?«
Der Kater schnurrte. Antana überlegte, ob das wohl ein Ja oder ein Nein gewesen sein konnte. Sie entschied sich für ein Ja.
Es würde wohl noch ein paar Schwierigkeiten mit der Verständigung geben, aber es war gewiß leichter als mit einem Adler, dachte sie.