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Diese Zärtlichkeit für ein Tier rührte Luovana. Der Ritter war anders als die fremden Männer, die sonst aus dem Süden hier heraufkamen. Seine Trauer verlieh ihm etwas Empfindsames und Zartes. In ihr erwachte der Wunsch, ihm die dunklen Schatten von der Seele zu nehmen und ihn lachen zu sehen. Sie überlegte, wie sein Gesicht wohl aussah, wenn er glücklich war.

Luovana warf einen Blick auf Faramund. Sein trotziges Antlitz verriet, daß er wohl noch nicht lange die Würden eines Ritters trug. Jedes Gefühl, das ihn beherrschte, ließ sich mühelos an seinen Augen ablesen, er hatte sich selbst noch zu wenig unter Kontrolle. Faramund wäre ein leichtes Opfer für Lursa; es würde sie bei ihren Fähigkeiten nicht einmal eine Anstrengung kosten, ihn der Göttin zu opfern.

»Ihr könnt mit mir gemeinsam auf Aysar reiten«, sagte Luovana leise zu Bruno und reichte ihm die Hand.

Sie ritten weiter in die Berge, bis sie zu der dampfenden Quelle kamen. Dort hielt Luovana die Stute an und sprang auf den Boden. Sie nahm Lursas Pfeil, den sie in ihren Köcher gesteckt hatte, und wandte sich an den Ritter.

»Wartet hier, es wird nicht lange dauern.«

Sie trat nahe zu der heißen Quelle. Warm und feucht strich der aufsteigende Rauch über ihre Haut. Luovana hielt den vergifteten Pfeil genau so, daß der Dampf ihn einhüllte.

Sie überlegte einen Augenblick, dann flüsterte sie langsam den Vers der Reinigung. Die Worte der alten Sprache waren schwer, und sie bemühte sich, keinen Fehler zu machen, damit die Göttin sich ihrer annahm. Mit dem letzten Wort ließ sie den Pfeil in das brodelnde Wasser fallen und trat rasch einen Schritt zurück. Roter Schaum bildete sich am Rand der Quelle, und laut zischend fuhr ein heißer Wasserstrahl in die Höhe. Faramunds Brauner scheute.

»Keine Angst«, sagte Luovana, »es geschieht Euch nichts.« Sie fühlte, daß der ältere Ritter sie aufmerksam beobachtete, und lächelte. »Der Pfeil ist vernichtet, er wird niemanden mehr verletzten.« Sie warf noch einen Blick auf die Quelle. Das Wasser hatte wieder seine ursprüngliche Farbe, der Rauch war wieder weiß. Sie trat zu ihrer Stute. »Ich kann Euch Euer Pferd nicht zurückgeben, aber der Segen der Göttin wird von nun an mit Euch sein. Ich habe sie um Schutz gebeten.«

Bruno nickte und reichte ihr nun seinerseits die Hand. Luovana nahm sie und schwang sich wieder auf Aysar. »Wir reiten jetzt zur Wasserhöhle«, sagte sie und schaute zum Himmel empor. Sie hatten nicht mehr viel Zeit.

Bruno fühlte sich nicht besonders wohl. Er saß hinter Luovana auf der grauen Stute und meinte, diesem schmalen Tier mit einem einzigen Druck seiner Schenkel die Rippen brechen zu können. Wie mächtig und majestätisch hatte dagegen sein Fuchs gewirkt. Er schaute sich um. Durch einen kantigen Riß in der Höhlendecke fielen nur spärliche Lichtreste in die Grotte, die sie schon vor einer Weile betreten hatten. Die Luft war feucht und ein wenig kühler als draußen zwischen den warmen Felsen. Ein leises Geräusch von fließendem Wasser hüllte Bruno ein, es schien von überall zu dringen. Plötzlich machte die Stute einen kleinen Sprung, und Bruno sah, daß sie nun auf einem nassen Holzsteg stand, der gerade breit genug für einen einzelnen Reiter war und der wie ein Pfad durch diese Höhle führte.

»Dieser Steg ist wie eine Brücke, die nicht der Breite nach, sondern der Länge nach über einen Fluß gebaut ist«, erklärte Luovana. »Er wurde angelegt, damit die Pferde nicht durch das Wasser laufen müssen.«

»Es gibt also einen Fluß, der durch die Höhle führt?«

Luovana nickte. »So könnte man es sagen.«

Bruno sah, daß links und rechts neben ihm steile, glatte Wände emporragten, an denen unaufhörlich Wasser herunterrann. Hinter ihnen ritt Faramund, der leise vor sich hinfluchte.

»Ist dies der einzige Weg, um zu dieser Burg zu gelangen?« Bruno hielt sich an Luovana fest, denn die kleine Stute rutschte hin und wieder über die nassen Planken.

»Ja, aber sprecht jetzt nicht. Dies ist ein Ort des Schweigens. Der Höhlenbewohner liebt es nicht, wenn seine Ruhe gestört wird.«

»Höhlenbewohner?« fragte Bruno leise; verstummte aber, als Luovana ihm keine Antwort gab. Er wandte sich um und machte Faramund ein Zeichen, auch zu schweigen, doch der junge Ritter mißverstand ihn und griff in Erwartung eines nahenden Feindes nach seinem Schwert. Bruno schüttelte den Kopf; es war sinnlos, von einem jungen Heißsporn etwas anderes zu erwarten.

Bruno überließ sich wieder seinen Gedanken. Er versuchte sich den Bewohner dieser Grotte vorzustellen, kam aber bald zu dem Schluß, daß es ihm an Phantasie mangelte, sich eine Gestalt auszudenken, die einem solch feuchten, unbehaglichen Ort den Vorzug vor einem warmen Kaminfeuer geben konnte. Wahrscheinlich waren das alles nur irgendwelche alten Geschichten, die sich die Menschen von diesem Ort erzählten, und niemals hatte einer von ihnen diesen Höhlenbewohner gesehen. Bruno nahm sich vor, Luovana danach zu fragen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Zu der dampfenden Quelle würde sie ihm auch noch einiges erklären müssen. Es mußte ein mächtiger Zauber sein, der dort am Werke war.

Das Licht in der Höhle wurde immer schwächer. Nur das Rauschen des Wasser blieb als einzige Orientierung, aber die Stute schien den Weg über den hölzernen Steg auch im Dunkeln zu kennen.

Seine Hände lagen immer noch auf den Hüften der Frau. Es war ein schönes Gefühl, ihren Körper in dieser feuchten Finsternis so nah zu spüren. Warme Wellen flossen durch seine Adern und riefen in ihm eine längst verloren geglaubte Sehnsucht wach.

Erschrocken nahm er die Hände zurück. Diese Frau war nicht Genovefa. Genovefa war tot. Es war sinnlos, sich solch marternden Träumen hinzugeben.

Bruno schaute auf. Der Pfad verlief in einem scharfen Bogen, und in der Finsternis vor ihnen erwachte ein rotes Licht, das immer stärker wurde und die nassen Wände schimmern ließ. Bruno dachte an ein Märchen, das er einmal gehört hatte. Der Held der Geschichte war bei seinen Abenteuerfahrten geradewegs in das aufgesperrte Maul eines riesigen Drachen hineingeritten. So ähnlich fühlte Bruno sich. Eine dumpfe stickige Wärme schlug ihnen entgegen und brannte unangenehm in der Kehle.

Dies hier ist keine alte Geschichte, dachte er. Was, wenn dort wirklich ein Drachen sein Maul aufsperrte?

Rechts und links neben ihm floß das Wasser immer spärlicher, bis es schließlich völlig versiegte. Die Luft wurde heiß und schwer, Bruno geriet allmählich ins Schwitzen.

Die Stute sprang von den Holzplanken herab und stand wieder auf felsigem Boden. Genau vor ihnen konnte Bruno im roten Glanz die Umrisse des Höhlenausgangs erkennen, doch die Ursache des roten Lichtes, die hinter dem Ausgang lag, gefiel Bruno überhaupt nicht.

»Dort beginnt der Burgweg«, flüsterte Luovana und zeigte auf eine schmale Brücke, die draußen in der Dunkelheit schemenhaft zu erkennen war. Sie schien über einen brennenden Lavastrom zu führen, der sich wie ein riesiger glühender Wurm durch eine breite Schlucht in die Erde fraß. Luovana wandte sich an Faramund. »Glaubt Ihr, daß Euer Pferd über diese Brücke gehen wird?«

»Was fragt Ihr nach meinem Pferd, edle Frau«, erwiderte Faramund, während er wie gebannt auf den feurigen Abgrund starrte. »Fragt lieber, ob ich über dieses Tor zur Hölle hinwegreite.«

»Es bleibt Euch leider keine Wahl, denn bei Nacht könnt Ihr den Weg durch die Wasserhöhle nicht zurückgehen.«

»Wieso nicht?«

»Der Höhlenbewohner würde Euch töten.«

»Wenn ich mich recht entsinne, habt Ihr nicht erwähnt, um was es sich bei dem Burgweg handelt.« Bruno blickte auf den Abgrund. Das flüssige Gestein quoll langsam dahin und bildete dabei hin und wieder rote Blasen, aus denen einzelne Flammen gierig hervorzüngelten. Fast von selbst hatten sich bei diesem Anblick seine Hände wieder um die Hüften der Frau gelegt. »Verzeiht uns unsere Überraschung, wir waren nicht darauf gefaßt.«