»Ich«, begann er verlegen, doch er kam nicht weit. Luovana stellte sich auf die Zehenspitzen, und ohne ein weiteres Wort küßte sie ihn auf den Mund. Wie von selbst öffneten sich seine Lippen und erwiderten ihren Kuß, forderten mehr von dem süßen Nektar, den er so lange nicht mehr gekostet hatte. Schattengleich, wie durch Nebel sah er ein blaues Augenpaar, aber es war weit fort, und die Frau in seinem Arm war so warm und so nah. Er würde beichten gehen, dachte er, ja, später würde er irgendwo beichten und Genovefa um Vergebung bitten...
Faramund nahm die Hand von der Mauer. Schwarzes Vulkangestein, dachte er. Die ganze Burg bestand aus dem selben Material wie das Gebirge ringsum. Vereinzelt waren da sogar noch scharfe Kanten und Ecken, wie an dem großen Stein, den er tags zuvor gesehen hatte.
Er gähnte. In der Nacht hatte er keinen Schlaf finden können, denn das Bett war viel zu weich gewesen. Er hatte das Gefühl gehabt, in großen weißen Kissen zu versinken. Außerdem war es in seiner Kammer viel zu warm durch das Kaminfeuer, das aus irgendeinem Grund die ganze Zeit brannte und überhaupt nicht zu verlöschen schien. So etwas ließ einen Mann verweichlichen, dachte er.
Beim Morgengrauen war er aufgestanden und aus dem warmen Bett nach draußen geflohen, um sich die Burg und ihre Umgebung genauer anzusehen. Er ging ein paar Schritte am Turm entlang und schaute zum Abgrund der Lavaschlucht hinüber, die in etwa hundert Schritt Entfernung begann und die ganze Burg wie ein rotglühender Ring umschloß. Das war eine Festung, die ihresgleichen suchte. Für ein Heer war sie schier uneinnehmbar, denn der schmale steinerne Übergang war die einzige Möglichkeit, um zur Festung zu gelangen. Faramund schüttelte den Kopf bei dem Gedanken, noch einmal zu Fuß über diese seltsame Brücke gehen zu müssen. Dreimal war er nahe dran gewesen, in den Abgrund zu stürzen, weil er sich, überrascht von einer der aufsteigenden Lavablasen zu schnell gedreht und das Gleichgewicht verloren hatte. Außerdem war sein Schuhwerk nicht darauf ausgerichtet, erst durch Schnee und dann über Feuer zu laufen. Seine Füße hatten ziemlich gelitten. Er brauchte dringend wieder ein Pferd. Ohne ein anständiges Pferd fühlte er sich nur wie ein halber Mann, und dann - er ballte seine Hand zur Faust - dann würde er sich rächen. Dieses lachende Teufelsweib mit ihrem Adler würde für den Tod der beiden Pferde bezahlen müssen.
Faramund ließ den Blick über die nahen Berge schweifen. Er konnte nicht verstehen, wieso Bruno es zugelassen hatte, daß dieses Weib ohne Strafe davongekommen war. Er kniff die Augen zusammen und suchte in den Felsen hinter der Lavaschlucht nach einem Zeichen von ihr. Langsam ging er noch ein paar Schritte auf den Abgrund zu, aus dem ein rötliches Licht zu ihm emporschimmerte. Er würde sie jagen, bis ihr das Fleisch von den Knochen fiele, er würde ihr die Haut mit dem Dolch abziehen, bis sie ohnmächtig dahinsank. Dann würde er sie wieder aufwecken, damit sie das Schwert sah, welches ihr den Tod brachte. Ihm, Faramund von Hohenfels, tötete niemand ein Pferd, ohne dafür zu bezahlen.
»Sucht Ihr etwas Bestimmtes?«
Abrupt wandte Faramund sich um. Er erblickte eine junge Frau. Sie hatte auffallend helle Augen, und ihr langes, schwarzes Haar glänzte in dem mattem Licht des heraufdämmernden Morgens. Ihr weißes Kleid aus Leinen schmiegte sich weich an ihren Körper. Sie ist sehr schön, dachte er.
»Ich fragte, ob Ihr etwas Bestimmtes dort oben in den Bergen sucht.«
»Nein.« Faramund schüttelte den Kopf. »Ich habe nur nachgedacht.«
»Ich bin Antana. Die Hüterin des Feuers erwartet Euch im Raum des Lichtes.«
»Mich?«
»Folgt mir, ich werde Euch den Weg zeigen.« Sie wandte sich um. Ihr Gang war wie ein sanftes Schweben; es schien, als würden ihre Füße kaum den Boden berühren.
Faramund warf noch einen kurzen Blick auf die Berge. Das Adlerweib würde ihm nicht entgehen, dachte er. Später war auch noch Zeit, auf die Jagd zu gehen.
Bruno saß auf der Kante des großen Holzbettes und betrachtete seine Hände. Wie oft hatte er damit einen Schwertgriff umfaßt, um zu töten? Doch nach dem Zauber dieser Nacht war er nicht sicher, ob er je wieder ein Schwert berühren konnte. Er schüttelte sich. An seiner ganzen Haut haftete Luovanas Duft, obwohl sie schon vor Sonnenaufgang aufgestanden und leise gegangen war. Bruno hatte getan, als ob er schliefe, denn er wollte ihr nicht in die dunklen Augen schauen.
Dieser Rausch hatte ihn fast schmerzhaft angefallen, wie ein wildes Tier einen anfällt, dunkel und hinterhältig. Der Wein, dachte Bruno, vielleicht war es dieser süße, schwere Wein gewesen, der ihm die Sinne geraubt hatte. Nichts von dem, was da geschehen war, hatte er wirklich gewollt.
Wo war Genovefa? Er hatte ihr ewige Treue geschworen, und seit ihrem Tod auf dem Turnierplatz zu Worms waren nicht einmal zwei Winter verstrichen. Nicht einmal die Zeit von zwölf Monden konnte er ihr treu sein! Bruno fuhr sich durch das schulterlange Haar und hielt inne. Luovana Sie hatte auch mit seinen Haaren gespielt und ihn sanft im Nacken gestreichelt.
Nackt und wehrlos wie niemals zuvor in seinem Leben hatte er sich in ihren Armen gefühlt, und doch war es berauschend gewesen, wie ein glorreicher Sieg.
Was war das für eine Frau, die selbstverständlich tat, was sonst nur einem Mann zustand? Die sich nahm, was sie hätte geben sollen, die jagte, obwohl sie Beute sein sollte.
Zögernd stand er auf und ging zum Fenster. Draußen zog träge der Morgen herauf. Hier war alles anders, hier war der Himmel bei Nacht nicht schwarz und bei Tag nicht blau. Hier war nicht Genovefa, sondern Luovana. Er atmete tief durch, gierte nach dem kalten Wind, als könne dieser Klarheit in sein verwirrtes Herz bringen. Doch nichts geschah. Seine Verwirrung blieb. Es war ihm unheimlich. Ein tiefes Verlangen nach Luovana brannte in ihm. Schon als sie ihn verließ, wollte er, daß sie wiederkam.
Bruno starrte wieder auf seine Hände. Wie sanft waren sie geworden, als er ihre Brüste damit berührte. Wie wenig hatten diese Finger da noch vom Tod gewußt. Vom Tod, den er selbst schon hundertfach gesät hatte.
Ein Ritter, der den Tod vergißt, selbst nur für eine Nacht, wird ein schlechter Kämpfer, das hatte ihn sein Schwertmeister vor vielen Wintern gelehrt, und auch Bruno hatte seine Schüler stets ermahnt, daß das Schwert die einzig wahre Geliebte eines Kriegers sei. Natürlich durfte ein Ritter eine Dame verehren und ihr den Hof machen. Ja, er durfte eine Frau sogar lieben, so wie er Genovefa geliebt hatte, andächtig und ehrfurchtsvoll. Aber so etwas wie diese Nacht durfte nicht passieren. Er war verloren! Diese weichwogenden Brüste, die sich seinen Händen entgegengehoben hatten, waren es wert gewesen, das Morden für immer zu vergessen. Er hatte die Rundungen immer wieder umspannt, hatte sie sanft gedrückt und schließlich sogar geküßt. Eine seltsame Gier war in ihm erwacht, daran zu saugen und zu trinken, wie ein kleines Kind es bei einer Amme tat.
Es jagte ihm Schauer über den Rücken.
Langsam ging Bruno zu dem Stuhl auf dem seine Kleider lagen und griff nach seinen Hosen. Niemals hätte er gewagt, Genovefa in einer solchen Wildheit nahezukommen. Gewiß, er hatte des Nachts bei ihr gelegen, es war ein zärtliches Kosen, mit dem sie ihn empfing. Alles an Genovefa war sanft und zart, nichts an ihr hatte ihn je zum Kampf gefordert.
Ein Bett war schließlich kein Turnierplatz.
Luovana war jedoch wie der Vulkan, in dessen Mitte sie lebte. Trotz all ihrer weiblichen Zartheit.
Bruno streifte sich das Hemd über. Luovana durfte von all dem nichts erfahren, niemals durfte sie auch nur eine Ahnung haben, wie sehr er sich schon jetzt nach ihr verzehrte. Den einzig wahren Gott würde er anflehen, ihm seine Sünden zu verzeihen. Er war ein Ritter, und nach Genovefas Tod konnte es nur noch eine edle Geliebte in seinem Leben geben: das Schwert! Entschlossen trat er zur Tür. Irgendwo in diesem Schloß mußte Luovana zu finden sein. Er würde sie suchen und ihr erklären, daß alles, was geschehen war, nur mit dem schweren Wein zu tun gehabt hatte.