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Dann kehrte die Dunkelheit zurück. Etwas Helles stürzte sich von hinten auf Görings Rücken. Beide Gestalten gingen zu Boden und wälzten sich neben ihm hin und her. Sie fauchten wie zwei ineinander verkrallte Wildkatzen.

Taumelnd kam Burton wieder auf die Beine. Ehe er sich versah, fiel er erneut hin, denn es war Göring offensichtlich gelungen, den Angreifer abzuschütteln und von sich zu schleudern. Burton stand wieder auf, während Collop ein zweites Mal zum Angriff überging. Ein lautes Knirschen ließ Burton zusammenfahren. Er sah, wie Collop zusammensackte, und versuchte auf Göring zuzulaufen, aber die Beine versagten ihm den Dienst. In einem weiten Winkel führten sie ihn an Göring vorbei. Wieder zuckte es am Himmel. Im Schein des Lichts sah Burton Göring wie in einer Momentaufnahme vor sich stehen. Er war gerade im Begriff, mit seiner Keule zu einem mörderischen Schlag auszuholen.

Als der Knüppel ihn traf, meinte Burton deutlich fühlen zu können, wie sein Arm taub wurde. Nicht nur die Beine, auch der linke Arm versagte ihm nun den Gehorsam. Dessen ungeachtet ballte er die rechte Hand zur Faust und versuchte Göring zu treffen. Wieder erklang das häßliche Knirschen. Seine Rippen fühlten sich plötzlich an, als seien sie aus ihrer Aufhängung gerissen worden und schickten sich an, die Lunge zu durchbohren. Er schnappte verzweifelt nach Luft und fand sich erneut auf dem feuchten Gras liegend wieder.

Irgend etwas fiel neben ihm zu Boden. Trotz der schrecklichen Schmerzen streckte Burton die Hand danach aus. Es war die Keule; Göring mußte sie fallen gelassen haben. Zitternd und unter jedem Atemzug schmerzhaft zusammenzuckend, richtete Burton sich auf. Wo steckte der Verrückte? Vor seinen Augen tanzten zwei Schatten, verschmolzen ineinander und teilten sich. Die Hütte! Er sah sie doppelt. Er fragte sich, ob er ernsthafte Gehirnschäden zurückbehalten würde, vergaß den Gedanken jedoch im gleichen Augenblick, als er die von einem neuen Blitz erleuchtete Stelle sah, an der Göring sich befand. Oder zwei Görings. Der eine schien — leicht über dem Boden schwebend — den anderen zu begleiten, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand. Aber eines taten beide zugleich: Sie hielten ihre Hände hochgereckt dem fallenden Regen entgegen, als wollten sie sich reinwaschen.

Und als die beiden sich umdrehten und auf ihn zukamen, verstand Burton, daß dies wirklich ihr Bestreben gewesen war. Mit einer einzige Stimme riefen sie ihm zu: »Wasch mir das Blut von den Händen! Oh, mein Gott, wasch es doch ab!«

Mit erhobener Keule humpelte Burton auf Göring zu. Er hatte vor, ihn umzubringen, aber Göring wandte sich plötzlich um und ergriff die Flucht. So gut er dazu in der Lage war, nahm Burton die Verfolgung auf, jagte den ersten Hügel hinunter, den nächsten hinauf und dann über die sich vor ihm ausbreitende, flache Ebene. Der Regen hörte plötzlich auf, das Gewitter erstarb, und innerhalb von fünf Minuten verzogen sich auch die Wolken. Das Licht der Sterne brach sich auf Görings weißem Rücken.

Wie ein Phantom rannte er vor seinem Verfolger davon auf den Fluß zu. Burton blieb ihm auf den Fersen, fragte sich allerdings, weshalb. Mittlerweile hatten seine Beine ihre volle Kraft zurückgewonnen, und auch seine Augen funktionierten wieder wie zuvor. Ganz plötzlich hatte er Göring erreicht.

Dieser kniete am Ufer des Flusses und starrte angestrengt auf die Wellen, in denen sich das Sternenlicht brach.

Burton sagte: »Sind Sie wieder in Ordnung?«

Göring zuckte zusammen. Er richtete sich ein wenig auf, änderte dann jedoch wieder sein Vorhaben. Stöhnend ließ er das Gesicht auf seine Knie sinken.

»Ich wußte, was ich tat, aber ich hatte keine Ahnung, warum«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Karla sagte, daß sie morgen ausziehen würde, da sie die gräßlichen Geräusche, die ich während der Alpträume mache, nicht mehr länger ertragen könne. Ich würde sie in diesem Zustand zu Tode ängstigen. Ich bat sie zu bleiben und sagte ihr, wie sehr ich sie liebe und daß ich sterben würde, wenn sie mich verließe. Sie meinte, sie hätte mich zwar gemocht, aber lieben würde sie mich nicht. Mir erschien es plötzlich nur möglich, sie zu halten, indem ich sie umbrachte. Sie rannte schreiend aus der Hütte. Und den Rest wissen Sie selber.«

»Ich hatte die Absicht, Sie umzubringen«, sagte Burton. »Aber ich sehe jetzt ein, daß Sie genauso wenig für das, was Sie taten, verantwortlich sind, wie ein Geistesgestörter. Die Leute hier werden das allerdings anders sehen. Sie wissen, was man mit Ihnen anstellen wird, nicht wahr? ›Du sollst hängen am Halse, bis der Tod eintritt‹.«

»Ich verstehe es selbst nicht!« schrie Göring plötzlich. »Was ist mit mir geschehen? Diese Alpträume! Glauben Sie mir, Burton, wenn ich je gesündigt habe, habe ich auch dafür bezahlt! Aber das Bezahlen hört für mich niemals auf. Meine Nächte sind die reinste Hölle, und es wird nicht mehr lange dauern, dann werden es auch die Tage sein! Und dann werde ich nur noch eine Möglichkeit haben, meinen Frieden zu finden! Ich muß mich töten, auch wenn es keinen Sinn hat. Die Hölle erwartet mich überall, wo ich wieder erwache!«

»Lassen Sie die Finger von den Drogen«, sagte Burton. »Irgendwie müssen Sie damit fertig werden. Sie können es schaffen. Sie haben mir erzählt, daß Sie schon auf der Erde vom Morphium loskamen.«

Göring stand auf und sah Burton an. »Aber das ist es ja gerade!« rief er aus. »Ich habe das Zeug nicht mehr angefaßt, seit wir hier ankamen!«

»Was?« fragte Burton erstaunt. »Aber ich könnte schwören, daß…«

»Sie sind aufgrund meines Benehmens zu dem Schluß gekommen, daß ich es noch immer benutzen müsse. Aber das stimmt nicht! Ich bin fertig damit, auch wenn sich mein jetziger Zustand nicht von meinem vorherigen unterscheidet!«

Trotz der Verachtung, die Burton Göring gegenüber an den Tag legte, empfand er plötzlich Mitleid mit ihm. »Sie haben die Büchse der Pandora geöffnet, und jetzt sieht es so aus, als seien Sie nicht mehr in der Lage, sie zu verschließen«, sagte er. »Ich habe zwar keine Ahnung, wie das noch alles enden wird, aber ich möchte keinesfalls in Ihrer Haut stecken. Was nicht heißt, daß Sie es nicht verdient hätten.«

Mit ruhiger, gefestigt klingender Stimme sagte Göring: »Ich werde es überwinden.«

»Sie meinen, Sie werden sich selbst überwinden«, erwiderte Burton. Er machte Anstalten zu gehen, wandte sich aber noch ein letztes Mal um. »Was haben Sie jetzt vor?«

Göring deutete auf den Fluß. »Ich werde mich ertränken und einen neuen Anfang versuchen. Vielleicht erweisen sich die Umstände am nächsten Ort als besser. Ich habe ganz sicher nicht die Absicht, hier an einem Galgen zu enden.«

»Dann gute Reise«, sagte Burton. »Und viel Glück.«

»Danke. Wissen Sie, an sich sind Sie gar kein so übler Kerl. Ich möchte Ihnen noch einen Rat geben.«

»Nur zu.«

»Sie sollten besser auch die Finger von den Drogen lassen. Bis heute haben Sie einfach Glück gehabt, aber eines Tages wird das Zeug sich Ihrer in der gleichen Weise bemächtigen, wie es das bei mir getan hat. Die Plagegeister, die Ihnen zusetzen werden, sind natürlich nicht die meinigen, aber ich zweifle nicht daran, daß sie auch ihre Auswirkungen auf Sie haben.«

»Unsinn! Ich habe vor mir nichts zu verbergen«, sagte Burton und lachte.

»Ich habe genug von dem Zeug genommen, um das zu wissen.«

Als er ging, dachte er allerdings noch einmal über Görings Warnung nach.

Bisher hatte er zweiundzwanzig Kaugummitrips eingeworfen. Und nach jeder Reise war das Resultat das gleiche: Er schwor sich stets, von der Droge abzulassen.

Während er den Hügel hinaufstieg, wandte Burton sich noch einmal um und sah die sich von der Dunkelheit abhebende Gestalt Hermann Görings in den Fluten versinken. Er blieb stehen und salutierte, obwohl er im allgemeinen nichts von dramatischen Gesten hielt. Schließlich strich er Göring aus seinem Bewußtsein.