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Ermüdet von der vierundzwanzigstündigen Beobachtung, aber glücklich, wandte er sich ab und beschloß, nach einer Unterkunft Ausschau zu halten. Ihm war jetzt klar, daß er sich in einer arktischen Zone aufhielt, aber nicht in der Nähe der Quellflüsse. Diesmal war er am Maul der Midgardschlange gelandet — genau am anderen Ende des Flusses.

Als Burton sich aufmachte, hörte er plötzlich eine Stimme. Sie war ihm bekannt, auch wenn er sie im ersten Moment nicht identifizieren konnte.

»Wohlauf, meine Seele, steig’ himmelan! Der Erd’ gehörst du nicht. Den Funken gab der Himmel dir; Nun, Feuer, kehr’ zu ihm zurück.«

»John Collop!«

»Abdul Ibn Harun! Und da behauptet man, es gäbe keine Wunder! Was hast du erlebt, seit wir uns das letzte Mal sahen?«

»Ich starb in der gleichen Nacht wie du«, erwiderte Burton. »Und seither noch sehr viel öfter. Es gibt viele schlechte Menschen auf dieser Welt.«

»Das ist nur natürlich. Schließlich gab es sie auch schon auf der Erde. Dennoch behaupte ich, daß ihre Anzahl gesunken ist, seit die Kirche ihre Arbeit tut, Gott sei Dank. Zumindest was dieses Gebiet hier angeht. Aber komm mit mir, mein Freund, ich will dich meiner Gefährtin vorstellen. Sie ist eine liebreizende Frau und gläubig in einer Welt, die immer noch viel zuwenig Wert auf Rechtschaffenheit und Demut legt. Sie stammt aus dem zwanzigsten Jahrhundert und hat den größten Teil ihres Lebens Englisch gelehrt. Es ist seltsam, aber manchmal glaube ich, daß sie mich nicht um meiner selbst willen liebt, sondern deswegen, weil ich ihr soviel über die Sprache meiner Zeit beigebracht habe.«

Das kurze, nervöse Gelächter, das Collop ausstieß, zeigte Burton, daß er nur scherzte.

Sie überquerten die Ebene und hielten auf die Hügel zu, in denen auf steinernen Plattformen, die vor einer jeden Hütte standen, helle Feuer brannten. Die meisten der Männer und Frauen hatten, um der schattigen Kühle zu entgehen, ihre Bekleidungstücher eng um sich geschlungen.

»Ein trübseliger und zum Frösteln geeigneter Ort ist das hier«, sagte Burton. »Wie kann man nur auf die Idee kommen, sich hier niederzulassen?«

»Die meisten dieser Leute sind entweder Finnen oder Schweden aus dem späten zwanzigsten Jahrhundert. Sie sind an die Mitternachtssonne gewöhnt. Dennoch solltest du dich glücklich schätzen, hier zu sein. Ich erinnere mich an deine brennende Neugier, die Polarregion betreffend, und der Spekulationen, die du darüber anstelltest. Es hat schon eine ganze Reihe anderer Leute gegeben, die sich aufmachten, dem Strom flußabwärts zu folgen. Auch sie suchten nach einem persönlichen Ultima Thule oder — wenn du mir den Ausdruck verzeihen willst — nach dem goldenen Schlüsselchen am Ende des Regenbogens, nach dem nur Narren suchen. Aber entweder sind sie unterwegs verschollen oder kehrten zurück, weil unüberwindliche Hindernisse ein Weiterkommen unmöglich machten.«

»Welche Hindernisse waren das?« fragte Burton und zerrte aufgeregt an Collops Arm.

»Du tust mir weh, mein Freund. Es handelt sich um die Gralsteine, die plötzlich aufhören, so daß niemand mehr seinen Gral mit Nahrung füllen kann.

Des weiteren rücken die Berge plötzlich derart nahe an den Fluß heran, daß man nicht mehr weiß, wohin man den Fuß setzen soll. Der Fluß zieht sich dort in die Berge hinein und bahnt sich seinen Weg durch eiskalte Klüfte. Was dahinterliegt, weiß niemand, denn bis jetzt ist noch kein Mensch aus diesem Gebiet zurückgekehrt, um darüber zu berichten. Aber ich befürchte, daß sie das gleiche Ende ereilt hat wie alle, die die Sünde der Hybris begingen.«

»Wie weit ist das Gebiet, aus dem niemand zurückkehrte, von hier entfernt?«

»Wenn man die Flußwindungen berücksichtigt, sind es etwa vierzigtausend Kilometer. Mit einem guten Segelboot könntest du es in einem Jahr schaffen.

Aber der Allmächtige Vater allein weiß, wie weit du dann noch gehen mußt, um das wirkliche Ende des Flusses zu erreichen. Vor allen Dingen ist es unmöglich, vorherzusagen, wie viel Proviant du auf das Boot laden müßtest, nachdem du den letzten Gralstein hinter dich gebracht hast, um nicht des Hungers zu sterben.«

»Es gibt eine Möglichkeit, das herauszufinden«, sagte Burton.

»Es kann dich also nichts davon abhalten, Richard Burton?« fragte Collop.

»Du willst dieses fruchtlose Unterfangen also um keinen Preis aufgeben?«

Erneut griff Burton nach Collops Arm.

»Hast du mich gerade Burton genannt?«

»Ja. Vor einiger Zeit erzählte mir dein Freund Göring, daß dies dein wirklicher Name sei. Und er hat mir auch noch andere Dinge über dich gesagt.«

»Göring ist hier?«

Collop nickte. »Er ist jetzt seit zwei Jahren unter uns und lebt etwa eineinhalb Kilometer von hier entfernt. Wir können ihn morgen besuchen. Du wirst erstaunt sein, wenn du siehst, wie sehr er sich verändert hat. Er hat es geschafft, die Macht des Traumgummis zu brechen und aus sich einen völlig neuen Menschen zu machen. Er ist sogar zum Führer der Kirche in diesem Gebiet geworden, während du, mein Freund, einem imaginären Gral nachjagtest.

Er hat einen Heiligen Gral in sich selbst errichtet, obwohl er beinahe an seinem Wahnsinn zugrundegegangen ist und fast wieder soweit war, in die Bösartigkeit seiner irdischen Existenz zurückzufallen. Aber die Gnade Gottes und sein eigenes Bemühen, sich und uns zu beweisen, daß sogar er würdig ist, die Chance des zweiten Lebens zu erhalten… Nun, du kannst es morgen mit deinen eigenen Augen sehen. Und ich bete darum, daß auch du von seinem Beispiel profitierst.«

Collop erklärte ihm, was er meinte. Wie Burton hatte auch Göring fast die gleiche Anzahl von Selbstmorden aufzuweisen. Unfähig, mit den ihn plagenden Alpträumen und Selbstbeschuldigungen fertig zu werden, hatte er einen Freitod nach dem anderen praktiziert. Mit ständig gleichem Resultat: Wo er auch erwachte — die Alpträume blieben. Schließlich war er in diesem Gebiet aufgetaucht und hatte Collop, sein ehemaliges Opfer, um Hilfe gebeten. Und es war ihm gelungen, sich selbst zu besiegen.

»Das überrascht mich«, gab Burton zu. »Ich freue mich für ihn, aber ich verfolge selbst andere Ziele. Wirst du mir versprechen, meine wahre Identität weiterhin geheimzuhalten? Es ist unerläßlich, daß ich auch weiterhin als Abdul Ibn Harun auftrete.«

Collop versprach, auch weiterhin zu schweigen. Es tat ihm allerdings leid, daß Burton davon absehen wollte, Göring noch einmal zu sehen, da er so nicht erkennen würde, zu welchen Wundern Glaube und Liebe imstande waren, selbst wenn es sich um eine Seele handelte, die sich beinahe selbst aufgegeben hatte. Er nahm Burton mit in seine Hütte und stellte ihm seine Frau vor, eine kleine, zierliche Brünette, die sehr freundlich und entgegenkommend war, allerdings darauf bestand, die beiden Männer auf ihrem Weg zum örtlichen Bürgermeister, dem sogenannten Valkotukkainen, zu begleiten. (Das Wort bezeichnete ebenso einen Weißen Elefanten wie auch jemanden, der es zu Macht und Ansehen gebracht hatte.) Ville Ahonen entpuppte sich als großer Mann mit einer leisen Stimme, der Burton geduldig und aufmerksam zuhörte, als dieser ihm verriet, daß er ein Boot zu bauen und damit zum Ende des Flusses zu segeln gedenke. Daß er darüber hinaus Forschungen betreiben wollte, sagte er natürlich nicht. Aber Ahonen war offensichtlich schon vielen anderen Männern begegnet, die ihm ähnliche Geschichten vorgetragen hatten.

Mit einem wissenden Lächeln erwiderte er, daß er nichts dagegen habe, wenn Burton ein solches Schiff bauen wolle. Die Leute dieser Gemeinde seien allerdings konservativ und hielten nicht sonderlich viel davon, das Land seines Baumbestandes zu berauben. Eichen und Pinien durften um keinen Preis gefällt werden, im Gegensatz dazu sei allerdings Bambus verfügbar. Aber auch dieses Material müsse er sich gegen Zigaretten und Likör einzutauschen versuchen, was bedeutete, daß Burton einige Zeit seinen Privatkonsum einstellen mußte.