»Und wenn ich nicht noch einmal gestorben wäre?« fragte Burton.
»Es war Ihre Bestimmung, das zu tun! Sie planten doch, in das Gebiet des Polarsees vorzudringen, nicht wahr? Es wäre nicht möglich gewesen, denn die letzten zweihundert Kilometer bewegt sich der Fluß durch einen unterirdischen Tunnel. Jedes Boot wäre dabei in Stücke gerissen worden. Und ebenso wie alle anderen, die sich auf diese Reise begeben haben, wären auch Sie gestorben.«
»Diese Fotografie«, sagte Burton, »die ich Agneau abnahm. Sie ist offensichtlich auf der Erde gemacht worden, als ich für die John-Gesellschaft in Indien arbeitete. Wie haben Sie sie in Ihren Besitz gebracht?«
»Durch Forschungsarbeit, Mr. Burton«, erwiderte Loga lächelnd.
Burton unterdrückte das Verlangen, aufzustehen und dem arroganten Kerl mit einem Faustschlag das Grinsen auszutreiben. Er sah nichts, was ihn daran würde hindern können. Er brauchte nur aufzustehen und sich auf Loga zu stürzen. Aber das Unterbewußtsein sagte ihm, daß die äußerlich ungefährliche Lage trog. Die Ethiker würden sich niemals mit ihm im gleichen Raum aufhalten, ohne Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben.
»Haben Sie inzwischen herausgefunden, aus welchen Gründen ich vor der Zeit in der Blase zu mir kam?« fragte er. »Oder warum das nicht nur mir passierte?«
Loga sprang auf. Einige der anderen schnappten nach Luft. Aber es war auch Loga, der sich als erster wieder faßte und sagte: »Wir haben Ihren Körper einer genauen Untersuchung unterzogen, die so tiefgehend war, daß Sie es sich gar nicht vorstellen können. Ebenso untersuchten wir jede Komponente Ihrer — Aura, wenn Sie verstehen, was ich damit meine.« Er deutete auf die über ihnen liegende Sphäre. »Aber wir haben keine Anhaltspunkte ausfindig machen können.«
Burton warf den Kopf zurück und lachte laut.
»Also wißt ihr Hundesöhne doch nicht alles!«
Loga lächelte kurz. »Nein. Dazu wird es auch niemals kommen. Es gibt nur einen, der allwissend ist.«
Er berührte mit drei Fingern der rechten Hand nacheinander seine Stirn, die Lippen, das Herz und sein Geschlechtsteil. Die anderen taten es ihm gleich.
»Ich will Ihnen jedenfalls sagen, daß Sie uns ängstigten, auch wenn Sie das, wie ich glaube, noch mehr freut. Wissen Sie, wir sind uns ziemlich sicher, in Ihnen einen jener Menschen vor uns zu haben, vor denen man uns gewarnt hat.«
»Vor denen man Sie gewarnt hat? Wer hat das getan?«
»Es war — eine Art gigantischer, lebender Computer. Und derjenige, der ihn bedient.« Erneut machte Loga das merkwürdige Fingerzeichen. »Das ist alles, was ich Ihnen sagen darf — selbst wenn Sie sich, nachdem wir Sie wieder auf die Flußwelt der Zeit zurückbefördert haben, an nichts mehr von dem, was Sie hier unten zu sehen bekamen, erinnern werden.«
Obwohl sich Burtons Geist vor verhaltenem Zorn beinahe verzehrte, waren ihm dennoch nicht die Worte „hier unten“ entgangen. Bedeutete das, daß sich sowohl die Wiedererweckungsmaschinerie als auch das geheime Versteck der Ethiker unter der Oberfläche des Planeten befand?
Loga fuhr fort: »Die Daten zeigen deutlich an, daß Sie das Potential besitzen, unsere Pläne zu sabotieren. Warum Sie das allerdings tun sollten und wie, bleibt uns leider verborgen. Dennoch respektieren wir unsere Informationsquelle.«
»Wenn Sie das wirklich glauben«, sagte Burton, »warum legen Sie mich dann nicht auf Eis? Warum lassen Sie mich nicht in die Restaurationsblase zurückbringen und dort bis in alle Ewigkeit rotieren?«
Loga sagte: »Das können wir nicht tun! Es würde alles ruinieren. Wie sollten Sie jemals zum Heil gelangen? Und zudem würde dies für uns einen nicht wiedergutzumachenden Gewaltakt bedeuten! Es wäre einfach unvorstellbar!«
»Sie haben schon allein dadurch Gewalt ausgeübt, daß Sie mich zwangen, ständig vor Ihnen auf der Flucht zu sein«, erwiderte Burton. »Und jetzt zeigen Sie Ihre Gewalttätigkeit dadurch, daß Sie mich hier gegen meinen Willen festhalten. Und Sie werden weiterhin gewalttätig vorgehen, wenn Sie mir meine Erinnerung an dieses kleine Tête-à-Tête mit Ihnen nehmen.«
Loga knetete verlegen seine Hände. Wenn er der geheimnisvolle Renegat war, mußte er ein großer Schauspieler sein. In beleidigt klingendem Tonfall sagte er: »Das stimmt nur zum Teil. Wir mußten gewisse Vorbereitungen treffen, um uns selbst zu schützen. Wenn der Mann, nach dem wir suchten, ein anderer gewesen wäre, hätten wir Sie keinesfalls behelligt. Es stimmt, daß wir Sie dadurch, indem wir Sie so lange verfolgten, einer Gewalteinwirkung ausgesetzt haben. Wir taten das auch, als wir Sie auf den Kopf stellten.
Aber es mußte sein. Und glauben Sie mir, wir werden für diese Taten noch zu bezahlen haben.«
»Sie könnten sich schon zu einem gewissen Teil damit entlasten, indem Sie mir sagen, warum ich — warum die ganze Menschheit — überhaupt zu diesem Leben auserkoren wurde. Und wie Sie es überhaupt anstellten.«
Loga begann zu reden. Gelegentlich wurde er von den anderen unterbrochen, wobei sich besonders die blonde Frau hervortat, deren Benehmen Burton zu dem Schluß kommen ließ, daß sie entweder Logas Frau war oder eine sehr hohe Position innehatte. Ab und zu unterbrach auch ein anderer Mann das Gespräch, und sobald er das tat, war deutlich zu spüren, daß die anderen in ihm offenbar das Haupt ihrer Gruppe sahen. Als der Mann einmal den Kopf wandte, fiel ein Lichtstrahl auf sein Gesicht. Mit Erstaunen nahm Burton zur Kenntnis, daß das linke Auge des Ethikers ein blitzender Edelstein war.
Ihm kam der Gedanke, daß sich hinter dem Juwel möglicherweise ein Gerät verbarg, das dem Mann eine Sinneswahrnehmung ermöglichte, die den anderen versagt war. Plötzlich fühlte er sich bei jedem Blick, der ihn traf, beobachtet und analysiert. Was konnte der Bursche durch das vielwinklige Prisma alles sehen?
Am Ende der Erklärung stellte Burton fest, daß er nicht mehr wußte als zuvor. Es war den Ethikern möglich, mit einer Art Chronoskop in die Vergangenheit zu blicken und alles über jeden Menschen, der jemals gelebt hatte, herauszufinden und aufzuzeichnen. Mit Hilfe dieser Aufzeichnungen hatten sie schließlich durch Energie-Materie-Konverter die Wiedererweckung bewerkstelligt.
»Was«, sagte Burton, »würde geschehen, wenn Sie den Körper eines bestimmten Menschen zur gleichen Zeit doppelt erschaffen?«
Loga lächelte dünn und erklärte, daß dieser Versuch bereits unternommen worden sei, jedoch habe nur einer der Körper Leben besessen.
Burton schmunzelte wie eine Katze, die gerade eine Maus verschluckt hat.
»Ich glaube, daß Sie mich belügen. Oder mir Halbwahrheiten auftischen. Auf jeden Fall sehe ich einen Widerspruch. Wenn es ganz gewöhnlichen menschlichen Wesen möglich ist, ein solch hohes ethisches Stadium zu erreichen, daß ihre ›Seelen‹ den Körper verlassen, um in ein höheres Reich einzugehen — wieso gibt es dann überhaupt noch euch Ethiker? Warum sind nicht auch Sie schon längst in dieses höhere Reich hinübergewechselt?«
Außer Loga und dem juwelenäugigen Mann zeigten die Ethiker plötzlich abweisende Gesichter. Mit einem Lachen erwiderte Loga: »Das ist eine sehr skurrile Frage, aber sie ist nicht unberechtigt. Ich kann Ihnen nur sagen, daß einige von uns tatsächlich bereits in dieses höhere Reich gekommen sind.
Aber was die Ethik des einzelnen angeht, verlangt man von uns eben mehr als von euch Wiedererweckten.«
»Ich glaube immer noch, daß Sie lügen«, sagte Burton. »Aber natürlich kann ich nichts dagegen unternehmen.« Er grinste und fügte hinzu: »Jedenfalls im Moment noch nicht.«
»Wenn Sie weiterhin darauf beharren, so zu sein, wie Sie sind«, meinte Loga, »werden Sie dieses Stadium niemals erreichen. Wir haben Ihnen das alles nur erzählt, weil wir das Gefühl hatten, Ihnen etwas zu schulden. Wenn wir die anderen festgesetzt haben, die Ihre Philosophie teilen, werden wir auch ihnen einiges sagen müssen.«
»Unter Ihnen befindet sich ein Judas«, sagte Burton und weidete sich an der Wirkung seiner Worte.