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Das intellectuale Gewissen. — Ich mache immer wieder die gleiche Erfahrung und sträube mich ebenso immer von Neuem gegen sie, ich will es nicht glauben, ob ich es gleich mit Händen greife: den Allermeisten fehlt das intellectuale Gewissen; ja es wollte mir oft scheinen, als ob man mit der Forderung eines solchen in den volkreichsten Städten einsam wie in der Wüste sei. Es sieht dich jeder mit fremden Augen an und handhabt seine Wage weiter, diess gut, jenes böse nennend; es macht Niemandem eine Schamröthe, wenn du merken lässest, dass diese Gewichte nicht vollwichtig sind, — es macht auch keine Empörung gegen dich: vielleicht lacht man über deinen Zweifel. Ich will sagen: die Allermeisten finden es nicht verächtlich, diess oder jenes zu glauben und darnach zu leben, ohne sich vorher der letzten und sichersten Gründe für und wider bewusst worden zu sein und ohne sich auch nur die Mühe um solche Gründe hinterdrein zu geben, — die begabtesten Männer und die edelsten Frauen gehören noch zu diesen» Allermeisten«. Was ist mir aber Gutherzigkeit, Feinheit und Genie, wenn der Mensch dieser Tugenden schlaffe Gefühle im Glauben und Urtheilen bei sich duldet, wenn das Verlangen nach Gewissheit ihm nicht als die innerste Begierde und tiefste Noth gilt, — als Das, was die höheren Menschen von den niederen scheidet! Ich fand bei gewissen Frommen einen Hass gegen die Vernunft vor und war ihnen gut dafür: so verrieth sich doch wenigstens noch das böse intellectuale Gewissen! Aber inmitten dieser rerum concordia discors und der ganzen wundervollen Ungewissheit und Vieldeutigkeit des Daseins stehen und nicht fragen, nicht zittern vor Begierde und Lust des Fragens, nicht einmal den Fragenden hassen, vielleicht gar noch an ihm sich matt ergötzen — das ist es, was ich als verächtlich empfinde, und diese Empfindung ist es, nach der ich zuerst bei Jedermann suche: — irgend eine Narrheit überredet mich immer wieder, jeder Mensch habe diese Empfindung, als Mensch. Es ist meine Art von Ungerechtigkeit.
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Edel und Gemein. — Den gemeinen Naturen erscheinen alle edlen, grossmüthigen Gefühle als unzweckmässig und desshalb zu allererst als unglaubwürdig: sie zwinkern mit den Augen, wenn sie von dergleichen hören, und scheinen sagen zu wollen» es wird wohl irgend ein guter Vortheil dabei sein, man kann nicht durch alle Wände sehen«: — sie sind argwöhnisch gegen den Edlen, als ob er den Vortheil auf Schleichwegen suche. Werden sie von der Abwesenheit selbstischer Absichten und Gewinnste allzu deutlich überzeugt, so gilt ihnen der Edle als eine Art von Narren: sie verachten ihn in seiner Freude und lachen über den Glanz seiner Augen.»Wie kann man sich darüber freuen im Nachtheil zu sein, wie kann man mit offnen Augen in Nachtheil gerathen wollen! Es muss eine Krankheit der Vernunft mit der edlen Affection verbunden sein«— so denken sie und blicken geringschätzig dabei: wie sie die Freude geringschätzen, welche der Irrsinnige von seiner fixen Idee her hat. Die gemeine Natur ist dadurch ausgezeichnet, dass sie ihren Vortheil unverrückt im Auge behält und dass diess Denken an Zweck und Vortheil selbst stärker, als die stärksten Triebe in ihr ist: sich durch jene Triebe nicht zu unzweckmässigen Handlungen verleiten lassen — das ist ihre Weisheit und ihr Selbstgefühl. Im Vergleich mit ihr ist die höhere Natur die unvernünftigere: — denn der Edle, Grossmüthige, Aufopfernde unterliegt in der That seinen Trieben, und in seinen besten Augenblicken pausirt seine Vernunft. Ein Thier, das mit Lebensgefahr seine Jungen beschützt oder in der Zeit der Brunst dem Weibchen auch in den Tod folgt, denkt nicht an die Gefahr und den Tod, seine Vernunft pausirt ebenfalls, weil die Lust an seiner Brut oder an dem Weibchen und die Furcht, dieser Lust beraubt zu werden es ganz beherrschen; es wird dümmer, als es sonst ist, gleich dem Edlen und Grossmüthigen. Dieser besitzt einige Lust- und Unlust-Gefühle in solcher Stärke, dass der Intellect dagegen schweigen oder sich zu ihrem Dienste hergeben muss: es tritt dann bei ihnen das Herz in den Kopf und man spricht nunmehr von» Leidenschaft«. (Hier und da kommt auch wohl der Gegensatz dazu und gleichsam die» Umkehrung der Leidenschaft «vor, zum Beispiel bei Fontenelle, dem Jemand einmal die Hand auf das Herz legte, mit den Worten:»Was Sie da haben, mein Theuerster, ist auch Gehirn«.) Die Unvernunft oder Quervernunft der Leidenschaft ist es, die der Gemeine am Edlen verachtet, zumal wenn diese sich auf Objecte richtet, deren Werth ihm ganz phantastisch und willkürlich zu sein scheint. Er ärgert sich über Den, welcher der Leidenschaft des Bauches unterliegt, aber er begreift doch den Reiz, welcher hier den Tyrannen macht; aber er begreift es nicht, wie man zum Beispiel einer Leidenschaft der Erkenntniss zu Liebe seine Gesundheit und Ehre aufs Spiel setzen könne. Der Geschmack der höheren Natur richtet sich auf Ausnahmen, auf Dinge, die gewöhnlich kalt lassen und keine Süssigkeit zu haben scheinen; die höhere Natur hat ein singuläres Werthmaass. Dazu ist sie meistens des Glaubens, nicht ein singuläres Werthmaass in ihrer Idiosynkrasie des Geschmacks zu haben, sie setzt vielmehr ihre Werthe und Unwerthe als die überhaupt gültigen Werthe und Unwerthe an, und geräth damit in's Unverständliche und Unpraktische. Es ist sehr selten, dass eine höhere Natur soviel Vernunft übrig behält, um Alltags-Menschen als solche zu verstehen und zu behandeln: zu allermeist glaubt sie an ihre Leidenschaft als an die verborgen gehaltene Leidenschaft Aller und ist gerade in diesem Glauben voller Gluth und Beredtsamkeit. Wenn nun solche Ausnahme-Menschen sich selber nicht als Ausnahmen fühlen, wie sollten sie jemals die gemeinen Naturen verstehen und die Regel billig abschätzen können! — und so reden auch sie von der Thorheit, Zweckwidrigkeit und Phantasterei der Menschheit, voller Verwunderung, wie toll die Welt laufe und warum sie sich nicht zu dem bekennen wolle, was,»ihr Noth thue«. — Diess ist die ewige Ungerechtigkeit der Edlen.