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Warum wir Epikureer scheinen. — Wir sind vorsichtig, wir modernen Menschen, gegen letzte Ueberzeugungen; unser Misstrauen liegt auf der Lauer gegen die Bezauberungen und Gewissens-Ueberlistungen, welche in jedem starken Glauben, jedem unbedingten Ja und Nein liegen: wie erklärt sich das? Vielleicht, dass man darin zu einem guten Theil die Behutsamkeit des» gebrannten Kindes«, des enttäuschten Idealisten sehn darf, zu einem andern und bessern Theile aber auch die frohlockende Neugierde eines ehemaligen Eckenstehers, der durch seine Ecke in Verzweiflung gebracht worden ist und nunmehr im Gegensatz der Ecke schwelgt und schwärmt, im Unbegrenzten, im» Freien an sich«. Damit bildet sich ein nahezu epikurischer Erkenntniss-Hang aus, welcher den Fragezeichen-Charakter der Dinge nicht leichten Kaufs fahren lassen will; insgleichen ein Widerwille gegen die grossen Moral-Worte und — Gebärden, ein Geschmack, der alle plumpen vierschrötigen Gegensätze ablehnt und sich seiner Uebung in Vorbehalten mit Stolz bewusst ist. Denn Das macht unsern Stolz aus, dieses leichte Zügel-Straffziehn bei unsrem vorwärts stürmenden Drange nach Gewissheit, diese Selbstbeherrschung des Reiters auf seinen wildesten Ritten: nach wie vor nämlich haben wir tolle feurige Tiere unter uns, und wenn wir zögern, so ist es am wenigsten wohl die Gefahr, die uns zögern macht…

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Unsre langsamen Zeiten. — So empfinden alle Künstler und Menschen der» Werke«, die mütterliche Art Mensch: immer glauben sie, bei jedem Abschnitte ihres Lebens — den ein Werk jedes Mal abschneidet —, schon am Ziele selbst zu sein, immer würden sie den Tod geduldig entgegen nehmen, mit dem Gefühclass="underline" »dazu sind wir reif«. Dies ist nicht der Ausdruck der Ermüdung, — vielmehr der einer gewissen herbstlichen Sonnigkeit und Milde, welche jedes Mal das Werk selbst, das Reifgewordensein eines Werks, bei seinem Urheber hinterlässt. Da verlangsamt sich das tempo des Lebens und wird dick und honigflüssig — bis zu langen Fermaten, bis zum Glauben an die lange Fermate…

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Wir Heimatlosen. — Es fehlt unter den Europäern von Heute nicht an solchen, die ein Recht haben, sich in einem abhebenden und ehrenden Sinne Heimatlose zu nennen, ihnen gerade sei meine geheime Weisheit und gaya scienza ausdrücklich an's Herz gelegt! Denn ihr Loos ist hart, ihre Hoffnung ungewiss, es ist ein Kunststück, ihnen einen Trost zu erfinden — aber was hilft es! Wir Kinder der Zukunft, wie vermöchten wir in diesem Heute zu Hause zu sein! Wir sind allen Idealen abgünstig, auf welche hin Einer sich sogar in dieser zerbrechlichen zerbrochnen Uebergangszeit noch heimisch fühlen könnte; was aber deren» Realitäten «betrifft, so glauben wir nicht daran, dass sie Dauer haben. Das Eis, das heute noch trägt, ist schon sehr dünn geworden: der Thauwind weht, wir selbst, wir Heimatlosen, sind Etwas, das Eis und andre allzudünne» Realitäten «aufbricht… Wir» conserviren «Nichts, wir wollen auch in keine Vergangenheit zurück, wir sind durchaus nicht» liberal«, wir arbeiten nicht für den» Fortschritt«, wir brauchen unser Ohr nicht erst gegen die Zukunfts-Sirenen des Marktes zu verstopfen — das, was sie singen, gleiche Rechte«,»freie Gesellschaft«,»keine Herrn mehr und keine Knechte«, das lockt uns nicht! — wir halten es schlechterdings nicht für wünschenswerth, dass das Reich der Gerechtigkeit und Eintracht auf Erden gegründet werde (weil es unter allen Umständen das Reich der tiefsten Vermittelmässigung und Chineserei sein würde), wir freuen uns an Allen, die gleich uns die Gefahr, den Krieg, das Abenteuer lieben, die sich nicht abfinden, einfangen, versöhnen und verschneiden lassen, wir rechnen uns selbst unter die Eroberer, wir denken über die Nothwendigkeit neuer Ordnungen nach, auch einer neuen Sklaverei — denn zu jeder Verstärkung und Erhöhung des Typus» Mensch «gehört auch eine neue Art Versklavung hinzu — nicht wahr? mit Alle dem müssen wir schlecht in einem Zeitalter zu Hause sein, welches die Ehre in Anspruch zu nehmen liebt, das menschlichste, mildeste, rechtlichste Zeitalter zu heissen, das die Sonne bisher gesehen hat? Schlimm genug, dass wir gerade bei diesen schönen Worten um so hässlichere Hintergedanken haben! Dass wir darin nur den Ausdruck — auch die Maskerade — der tiefen Schwächung, der Ermüdung, des Alters, der absinkenden Kraft sehen! Was kann uns daran gelegen sein, mit was für Flittern ein Kranker seine Schwäche aufputzt! Mag er sie als seine Tugend zur Schau tragen — es unterliegt ja keinem Zweifel, dass die Schwäche mild, ach so mild, so rechtlich, so unoffensiv, so» menschlich «macht! — Die» Religion des Mitleidens«, zu der man uns überreden möchte — oh wir kennen die hysterischen Männlein und Weiblein genug, welche heute gerade diese Religion zum Schleier und Aufputz nöthig haben! Wir sind keine Humanitarier; wir würden uns nie zu erlauben wagen, von unsrer,»Liebe zur Menschheit «zu reden — dazu ist Unsereins nicht Schauspieler genug! Oder nicht Saint-Simonist genug, nicht Franzose genug. Man muss schon mit einem gallischen Uebermaass erotischer Reizbarkeit und verliebter Ungeduld behaftet sein, um sich in ehrlicher Weise sogar noch der Menschheit mit seiner Brunst zu nähern… Der Menschheit! Gab es je noch ein scheusslicheres altes Weib unter allen alten Weibern? (- es müsste denn etwa die» Wahrheit «sein: eine Frage für Philosophen). Nein, wir lieben die Menschheit nicht; andererseits sind wir aber auch lange nicht» deutsch «genug, wie heute das Wort» deutsch «gang und gäbe ist, um dem Nationalismus und dem Rassenhass das Wort zu reden, um an der nationalen Herzenskrätze und Blutvergiftung Freude haben zu können, derenthalben sich jetzt in Europa Volk gegen Volk wie mit Quarantänen abgrenzt, absperrt. Dazu sind wir zu unbefangen, zu boshaft, zu verwöhnt, auch zu gut unterrichtet, zu» gereist«: wir ziehen es bei Weitem vor, auf Bergen zu leben, abseits,»unzeitgemäss«, in vergangnen oder kommenden Jahrhunderten, nur damit wir uns die stille Wuth ersparen, zu der wir uns verurtheilt wüssten als Augenzeugen einer Politik, die den deutschen Geist öde macht, indem sie ihn eitel Macht, und kleine Politik ausserdem ist: — hat sie nicht nöthig, damit ihre eigne Schöpfung nicht sofort wieder auseinanderfällt, sie zwischen zwei Todhasse zu pflanzen? muss sie nicht die Verewigung der Kleinstaaterei Europa's wollen?… Wir Heimatlosen, wir sind der Rasse und Abkunft nach zu vielfach und gemischt, als,»moderne Menschen«, und folglich wenig versucht, an jener verlognen Rassen-Selbstbewunderung und Unzucht theilzunehmen, welche sich heute in Deutschland als Zeichen deutscher Gesinnung zur Schau trägt und die bei dem Volke des historischen» Sinns «zwiefach falsch und unanständig anmuthet. Wir sind, mit Einem Worte — und es soll unser Ehrenwort sein! — gute Europäer, die Erben Europa's, die reichen, überhäuften, aber auch überreich verpflichteten Erben von Jahrtausenden des europäischen Geistes: als solche auch dem Christenthum entwachsen und abhold, und gerade, weil wir aus ihm gewachsen sind, weil unsre Vorfahren Christen von rücksichtsloser Rechtschaffenheit des Christenthums waren, die ihrem Glauben willig Gut und Blut, Stand und Vaterland zum Opfer gebracht haben. Wir — thun desgleichen. Wofür doch? Für unsern Unglauben? Für jede Art Unglauben? Nein, das wisst ihr besser, meine Freunde! Das verborgne ja in euch ist stärker als alle Neins und Vielleichts, an denen ihr mit eurer Zeit krank seid; und wenn ihr auf's Meer müsst, ihr Auswanderer, so zwingt dazu auch euch — ein Glaube!..