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Martina setzte sich auf. Mit einer Hand versuchte sie, mir wieder zu etwas Härte zu verhelfen, aber vergeblich. Ihr Mund kam näher und küsste die glänzende Eichel, die bläulich rot war wie die Lippen eines Ertrunkenen. Sie fütterte den ungehorsamen Körperteil mit ermutigenden Zaubersprüchen.

— Es ist nur … der Gestank, sagte ich.

— Ja, ich weiß, sagte sie.

Ihre Hand ließ los. Sie wischte sich den Mund an ihrem nackten Oberarm ab.

— Tut mir leid.

— Ach, ist nicht so schlimm. Tut das eigentlich weh?

— Was?

Ihre Finger fuhren meine Eichel entlang.

— Nein.

Es war wohl nicht die Antwort, die sie erwartet hatte. Martina rollte sich auf die Seite. An der Stelle, wo ihr Hintern gelegen hatte, befand sich ein Rorschach-Fleck aus Schweiß. Ich starrte darauf, bis er keinen Sinn mehr ergab, dann suchte ich meine Kleider zusammen und verabschiedete mich.

Auf dem Heimweg rief ich zuhause an, aber Lydia hob nicht ab. Bestimmt erwartete sie mich in der Badewanne. Ich lief über ein paar rote Ampeln, die in der Eiseskälte langsamer schalteten als sonst. Es war fünf Uhr und, da es Winter war, praktisch noch tiefe Nacht, nicht die Spur von Dämmerung war zu sehen. Aber um sechs Uhr hätte ich sowieso gehen müssen, sagte ich mir, damit Max mich nicht entdeckte. Er kam immer ein wenig zu spät, um nicht mit Martina die lästige Morgenarbeit verrichten zu müssen. Wozu ausgerechnet alte Menschen den Tag so früh beginnen müssen, habe ich nie verstanden. Frühstück, Zeitung vorlesen, die Windeln wechseln, die über Nacht die Farbe gewechselt haben. Manchen Bewohnern musste man Leitungen legen und erntete für seine Bemühungen, die völlig versickerten Venen zu treffen, nur wüste Beschimpfungen. Aber wenn man es schaffte, lagen sie friedlich da und ließen sich ihre Akkus von einer farblosen Flüssigkeit, die in einem kleinen Beutel über ihnen schwebte, aufladen, und der Morgen brach hinter ihnen durch die Zeltwände und färbte ihre alte Haut rosa.

Ich kam an einem Handschuh vorbei, der auf die prächtige, schnörkelige Spitze eines alten Gartengitters gesteckt worden war. Ich pflückte ihn herunter und legte ihn in den Schnee.

Zuhause empfing mich eine dunkle Wohnung. Durch die Balkontüren fiel das spärliche Laternenlicht von der Straße. Das große Klavier, ein alter Flügel der Marke Kawai, warf einen Schatten in Form eines buckligen Elefanten.

Lydias Zimmer war leer. Ich machte Licht und überflog die Dinge, die auf dem Schreibtisch lagen. Ein Buch über die Kriegsverbrecherprozesse in Den Haag, aufgeschlagen im Fototeil. Ein verschreckt aussehender Mann sitzt in einem gläsernen Kasten wie eine historische Kuriosität in einer Museumsvitrine. Vor ihm ein Mikrophon.

Als ich auf Lydias Bett eine Liste entdeckte, auf der jede einzelne Zeile durchgestrichen war, gab es keinen Zweifel mehr, dass sie sauer war. Bestimmt hatte sie sich wieder betrunken, vielleicht hatte sie sogar ein wenig herumtelefoniert und dann eine Wunschliste geschrieben, um sie sofort wieder zu vernichten. Es war eine der Techniken, die sie sich als junge Frau zugelegt hatte, um mit ihrem Innenleben zurechtzukommen. Listen, Briefe, Alkohol. Ich versuchte zu entziffern, was für eine Liste es gewesen war, Restaurants, die sie in Zukunft gerne besuchen würde, oder Weihnachtswünsche oder einfach nur eine Liste mit interessanten Buchtiteln, aber sie hatte mit einem Edding-Stift gearbeitet, und außer ein paar Fragmenten von Wörtern war in der schwarzen Strichwolke nichts mehr zu erkennen.

Ich wanderte ein wenig durch die Wohnung, öffnete Schubladen und Fensterläden, um ihr durch beiläufige und harmlose Geräusche zu signalisieren, dass ich nach Hause gekommen war, dann hielt ich es nicht länger aus und ging ins Badezimmer. Es war stockdunkel und in der Dunkelheit hörte man Wasser schwappen. Nach einer Weile gewöhnten sich meine Augen an die Lichtverhältnisse und nahmen etwas wahr. Ein geheimnisvoll im Raum schwebendes Gesicht. Mein Gesicht. Ich stand vor dem Spiegel. Lydia räusperte sich. An ihrem Räuspern konnte man hören, dass das Wasser, in dem sie lag, eiskalt war.

Die Welt der Männer und die Welt der Frauen

Am meisten ärgerte Walter die alberne Formulierung Frauengeschichte, die er gegenüber seiner ahnungslosen Schwester gebraucht hatte. Als wäre er vor der Menstruation seiner Geliebten davongelaufen. Dabei lag seine letzte Bekanntschaft mit einer Frau in Wirklichkeit schon eine ganze Weile zurück.

Jessica, die erste Frau, mit der er ein Verhältnis hatte, war etwas älter gewesen als er und hatte ein schlimmes Alkoholproblem. Walter konnte sich nicht mehr an ihren Nachnamen erinnern, er wusste nur noch, dass er irgendwie schnuckelig gewesen war. Oft musste er sie, wenn sie in ihrem Bademantel auf dem Klo eingeschlafen war, mitten in der Nacht zurück ins Bett tragen, wo sie einen unangenehmen Geruch nach Schweiß und Magensäure verbreitete. Wenn sie wieder einigermaßen nüchtern geworden war, hatte sie einen unerhörten sexuellen Appetit, aber man durfte nicht mit ihr reden, sonst brach sie in Tränen aus oder beschwor das Jüngste Gericht herauf. Als Walter begann, seine Besuche bei ihr einzuschränken, wurde sie misstrauisch und begann ihn zu verfolgen. Wenn sie ihn dann mit Freunden antraf, schrie sie ihn ohne zu zögern an und erntete mehr als einmal die Bemerkung: Ist das deine Mutter, Walter? Dass er darauf nie antwortete, sondern nur schweigend zu Boden blickte, machte sie verrückt vor Wut, und sie bedrohte ihn lallend mit dem Tod, während sie mit ihrem Gleichgewicht kämpfte.

Er blieb mehrere Monate mit ihr zusammen, dann warf sie ihn eines Nachts einfach aus ihrer Wohnung, ignorierte schluchzend und wenig später würgend über der Kloschüssel sein inständiges Klopfen und schickte ihm dann sogar die Krawatte, die er in ihrem Schlafzimmer vergessen hatte, mit der Post. Tage später rief er sie an, aber sie hob nicht ab, also ging er zu ihr und klingelte unten an der Haustür. Ihr Kopf erschien an einem Fenster, dann tauchte ihre Hand mit einem Glas Wasser auf. Walter konnte gerade noch ausweichen und wurde nur an den Beinen etwas nass. Auf dem nassen Asphalt lag eine einsame Brausetablette und zischte.

Walter hatte kein Glück mit den Frauen. Er hatte versucht, Monologe und Essays über dieses Thema zu schreiben, und mancher bemerkenswerte Satz war ihm dabei auch gelungen, aber im Großen und Ganzen fielen ihm nur Gemeinplätze ein, für die er sich hinterher schämte. Er kam auf den Gedanken, dass er Frauen im Grunde nicht verstand, dass sie ihn faszinierten und irritierten, und obwohl er schon öfter das Glück hatte, mit einer zusammen gewesen zu sein, wurde er doch das Gefühl nicht los, von ihnen zu viel zu verlangen. Anfangs hatte es zwar immer geklappt und alles, aber je mehr er über sein Verhältnis zu Jessica, Magda und Nina (diese drei waren es bisher gewesen) nachdachte, desto seltsamer und unnötiger erschienen sie ihm. Natürlich, sie waren im Allgemeinen friedlicher als Männer, sie waren weniger grotesk, verbittert und von Zwangsvorstellungen zerquält, aber dennoch — die Art etwa, wie sie gleich zu Beginn einer Beziehung Geständnisse einforderten, unentwegt Geständnisse, Beichten und Berichte, vorzugsweise nachts, unter Tränen. Erst dann fühlten sie sich zugehörig und akzeptiert, wenn sie den Männern lange Geständnisse über ihre Vergangenheit abgerungen hatten, denn dann konnten sie dem Leben, das der Mann bisher geführt hatte, ohne sie, leichter vergeben und sich einreden, sie wären die Erste und die Einzige. Alle Frauen wollten im Grunde der Kaiser von China sein, der, an dessen Namen Walter sich jetzt nicht erinnern konnte, der die große Mauer bauen und alle Bücher in seinem Reich verbrennen ließ, damit die Geschichte mit ihm begann und nichts vor ihm war als ein chaotisches Zeitalter erinnerungsloser Barbarei. Und dann, wenn diese Vorarbeit getan war, dachte Walter, und das runde Gesicht von Jessica, der ersten Frau, mit der er Sex gehabt hatte, erschien vor ihm, wenn diese Vorarbeit getan war, erlaubten sie dem Mann unter großen emotionalen Vorbereitungen, sie zu entjungfern, und auch damit brach ein neues Zeitalter an und die Glocken läuteten und sie lagen still da und himmelten die Zimmerdecke an und konnten bestimmt nie wieder einschlafen. Und manchmal riefen sie einen mitten in der Nacht an und erklärten, wie frisch und neu sich alles seither anfühlte: Und wie ist das für dich? Bitte sag mir alles, sag mir, wie du das empfunden hast … Ihre große, ewig unstillbare Neugier. Ein Leben aus endlosen Verhören. Wo bist du gerade mit deinen Gedanken. An wen denkst du, wenn du. Was bedeute ich dir. An was denkst du. Was denkst du im Augenblick, wenn du in mir. Wenn du mit mir. Wenn du ohne mich. Wenn du ganz allein in der Wohnung. Was hältst du von einem Urlaub, nur wir beide. Wie lange soll das noch so weiter. Wo warst du gestern. Wieso antwortest du nicht mehr auf meine.