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Wenn er in Fahrt kam, sagte meine Mutter zu ihm:

— Ich könnte nicht so lange einfach drauflos erzählen … Wie machst du das?

Er schmückte seine Geschichten von Zuhause oft wunderbar aus. Und manchmal schlichen sich in eine witzige Handlung Requisiten, die etwas Trauriges und Mysteriöses an sich hatten, ein mit einem weißen Leintuch abgedeckter Vogelkäfig auf dem Dachboden oder ein kaputter Kompass, den er einmal in einem Fußstapfen gefunden hatte.

Dann, auf einmal sehr ernst, begann er davon zu erzählen, wie er eines Tages, während eine Kuh auf dem Hof seiner Eltern in den Wehen lag und schrecklich brüllte, über die Wiese gegangen war. Er war ganz allein, wie immer, wenn Kühe in den Wehen lagen, und er trat mit seinen Schuhen in Maulwurfshügel und sprach laut mit sich selbst. Da plötzlich begann er zu fliegen.

Meine Mutter veränderte ihre Sitzposition ein wenig, als sie das hörte. Sie richtete sich auf und ihr Blick suchte den meinen. Er verwandelte sich vor unseren Augen von einem amüsierten zu einem leidenschaftlichen Erzähler.

Er habe, so erzählte er, und seine Finger wurden zu flatternden Empfangsantennen, zuerst gar nicht glauben können, was ihm da geschah, dann habe er mit den Armen geflattert und es wieder gelassen, denn es sei gar nicht an den Armen gelegen, nein, er flog einfach drauflos, wie an einer unsichtbaren Schnur hochgezogen. Zuerst habe er natürlich Angst bekommen, dann habe er versucht, sich frei fallen zu lassen, in den Wind, der mit ihm spielte und ihn im Kreis herumwirbelte. Er war ein Herbstblatt, ein von Luftströmungen gefangenes Papierflugzeug, eine wirbelnde Schneeflocke. Er habe versucht, sich zu orientieren, vielleicht war alles am Ende nur ein Schwindelanfall, wie er es schon seit seiner Kindheit kannte, diese plötzlichen Attacken, die wie aus dem Nichts kamen, in denen einem der Boden unter den Füßen schwand und man fiel, gleichzeitig stieg, sich festhielt an seiner eigenen Kleidung, was aber nichts nützte. Aber diesmal sei es etwas anderes gewesen, er habe sich weit, bestimmt an die zwanzig Meter über dem Erdboden befunden, strampelnd und nirgends anstoßend, und es habe ihn zu seinem Entsetzen immer weiter in die Höhe gehoben. Die Wolken, die bedrohlich näher kamen, seien das erste gewesen, was ihm eine Ahnung von seinem nahen Tod eingegeben hatte, und er habe versucht zu schreien, er habe mit winziger Stimme um Hilfe geschrieen, aber natürlich habe ihn niemand hören können, weil alle um die klagende Mutterkuh versammelt waren und ihre Arme — er habe das nie wieder vergessen können — bis zum Ellbogen in ihr versenkt hatten. So wurde er tatsächlich einige Kilometer weit davongewirbelt und auf irgendeiner fremden Wiese vor einem fremden Gehöft ins Gras gesetzt, sodass er sich den linken Knöchel verstauchte, und –

Meine Mutter war aufgestanden, hielt meinen Vater am Knie, er schaute zu ihr auf. Sie schlug vor, in die Küche zu gehen, vielleicht etwas essen, nur eine Kleinigkeit.

— Du hast ja den ganzen Tag gearbeitet, du vergisst immer zu essen, sagte sie lachend.

Aus seiner Geschichte gerissen, starrte er sie entgeistert an.

— Ich kann schon gut auf mich selbst aufpassen, murmelte er. Ich weiß, wann ich esse und wann nicht.

Stille. Ich stand auf.

— Komm, setz dich wieder hin, sagte mein Vater.

Es war eine unsinnige Bitte, so etwas hatte er noch nie von mir verlangt. Ich ignorierte sie und ging aus dem Zimmer. Im Nacken fühlte ich, wie sein Blick mir folgte, mich an den Schultern zurückhalten wollte.

Wenig später sah ich ihn und meine Mutter in der Küche sitzen. Sie plauderten über irgendetwas Belangloses, meine Mutter erzählte einen Witz. In der Hand hielt sie ein Joghurt, mit dem sie meinen Vater fütterte. Dicke weiße Tropfen fielen vom Löffel zurück in den Becher. Hin und wieder kostete sie selbst davon, nur damit er nicht merkte, was mit ihm geschah.

Später musste sie ihm dabei helfen, von seinem Sessel aufzustehen.

Nachdem mein Vater den Lehrberuf ganz aufgegeben hatte, fuhren wir im Sommer zu meinen Großeltern. Im Haus meiner Großeltern gab es einen unbetretbaren Treppenaufgang, der mit einem Band abgesperrt war, das zu einer schwarzen Schleife verschnürt war. Ich freute mich auf diesen Treppenaufgang und seine Schleife, denn vielleicht würde ich dieses Mal mutig genug sein, hinaufzugehen und zu sehen, was sich im geheimnisvollen dritten Stock befand. Diese Hoffnung hatte ich selbst dann noch, als man mir erklärte, dass es dort nur zum Dachboden ging.

Am liebsten hatte ich meinen Großvater, den personifizierten Schaukelstuhl. Sein Leben fand fast ausschließlich in der Z-förmigen Sitzposition statt. Nicht dass er etwa gar nicht oder nur schwer gehen konnte, er ging ohne Probleme überallhin, auf die Toilette, an die Tür, wenn es klingelte, oder zum Fernseher, um das Programm umzuschalten (eine Fernbedienung existierte zwar, aber es war noch nicht ins Bewusstsein meiner Großeltern übergegangen, wozu sie gut war, und so wartete das kleine, schwarze Ding auf einem Fenstersims auf seinen Einsatz und setzte Staub an), aber sonst saß er im Grunde nur herum, und Gelegenheiten dazu gab es viele: Sitzbänke vor dem Haus und auf der Veranda, Küchen-, Wohnzimmer- und Balkonsessel, Gartenmöbel (Stühle wie abstrakte weiße Elefanten), eine Hollywoodschaukel (die streng genommen gar keine Schaukel mehr war, sondern eine steife, knarrende Erinnerung daran), eine Kloschüssel, ein Bidet, ein langes Sofa, das direkt auf den Fernseher blickte, und ein kleineres, das im rechten Winkel dazu stand, und diverse Hocker (besetzt von Blumentöpfen und Stapeln alter Zeitungen). Mein Großvater konnte nur schwer dazu gebracht werden, sich hinzulegen. Wenn er es einmal tat, weil er krank war oder dem Drängen meiner Großmutter nachgab, sah man auch, warum. Er wirkte auf sonderbar vervielfachte Weise erlegt und hilflos, so wie ein auf den Rücken gedrehter Käfer auf dem Bauch einer auf den Rücken gedrehten Schildkröte. Es hatte einige Versuche gegeben, ihn zum Liegen zu verführen: auf dem Sofa erschienen über Nacht plötzlich hübsche, kleine Plüschpolster, eine weiche Decke legte sich über die Holzbretter der Verandabank, und zwischen zwei besonders kräftigen Baumstämmen im Garten grinste eine weiße Hängematte, die sich im Wind hin und her wiegte wie eine geheimnisvoll winkende Jungfrau.

Aber er hatte allem widerstanden.

Nur wenn er saß, war er wirklich er selbst, dann sah er so zufrieden aus wie ein Frosch, der seine Backen aufblies. Zudem war er das seltene Beispiel eines Menschen, der tatsächlich den Eindruck vermittelte, dass er etwas tat, wenn er still irgendwo saß, so wie manche Leute bis in die Haarspitzen hinein beschäftigt zu sein scheinen, wenn sie eine Zigarette rauchen oder mit einer Hand in der Hosentasche ein langes Bücherregal abschreiten.

Meine Großmutter schimpfte mit ihm und befahl ihm alle möglichen Dinge, aber er verhielt sich immer hartnäckig und war störrisch wie ein altes, verrostetes Garagentor. Wenn er nach ihr rief, reagierte sie eine ganze Weile nicht, sondern sprach mit ihm wie mit einem klingelnden Telefon: Nur die Ruhe, bin ja schon unterwegs, schon gut, schon gut. Mein Vater kam mit ihr nicht aus, da sie selbst früher Volksschullehrerin gewesen war. Wenn sie mir etwas erklärte, sprach sie immer mit meinem Bauchnabel. Sie war es gewohnt, mit kleinen Menschen zu sprechen, die nicht das Geringste von dem verstanden, was sie sagte. Ihr Haar trug sie in dem speziellen Lehrerinnen-Kurzhaarschnitt, der sagte: Ich kann auf alle gängigen Schönheitsmerkmale verzichten, denn sie würden die jungen Burschen nur verwirren. Aber ich bin immer noch eine Frau. Um den Hals trug sie einen Strauß Seidentücher in Herbstfarben. Wenn irgendetwas im Haushalt zerbrach, etwa ein Teller oder eines der Weingläser, die ich aus Langeweile versucht hatte zu zersingen, ließ sie einen kurzen spitzen Schrei los, der unerhörte Ähnlichkeit mit dem Ruf des nacktkehligen Glockenvogels (Procnias nudicollis) hatte.