»Richard«, stammelte Fräulein Sanderholt, »wie habt Ihr das gemacht? Wie habt Ihr Euch unsichtbar gemacht?«
»Es ist das Cape. Er macht mich nicht wirklich unsichtbar, aber irgendwie kann es seine Farbe ändern, sich dem Hintergrund anpassen und so das Auge täuschen. Vermutlich braucht man Magie, damit das Cape funktioniert, und Ihr besitzt keine. Ich dagegen wurde mit der Gabe geboren, deshalb funktioniert es bei mir.« Richard sah sich nach den toten Mriswiths um. »Ich denke, es ist am besten, wenn wir die Capes verbrennen, damit sie nicht in falsche Hände fallen.«
Richard sagte Gratch, er solle die Capes von oben auf der Treppe holen, während er sich bückte, um die unten liegenden einzusammeln.
»Richard, meint Ihr, es könnte … gefährlich sein, die Capes dieser unheilvollen Geschöpfe zu benutzen?«
»Gefährlich?« Richard richtete sich auf und kratzte sich im Nacken. »Ich wüßte nicht, wieso. Es wechselt doch nur die Farbe, sonst nichts. Wißt Ihr, so wie manche Frösche oder Salamander die Farbe wechseln können, um sich dem anzupassen, worauf sie hocken, wie zum Beispiel einem Felsen, einem Baumstamm oder einem Blatt.«
Sie half ihm, so gut ihre verletzten Hände es zuließen. »Ich habe diese Frösche gesehen. Ich hielt es immer für eines der Wunder unseres Schöpfers, daß sie das konnten.« Sie sah lächelnd zu ihm hoch. »Vielleicht hat der Schöpfer Euch mit demselben Wunder gesegnet, weil Ihr die Gabe besitzt. Er sei gelobt, Sein Segen hat geholfen, uns zu retten.«
Als Gratch ihr die übrigen Capes reichte, eines nach dem anderen, damit sie sie auf das Bündel packen konnte, legte sich ein Gefühl der Besorgnis auf Richards Brust. Er hob den Kopf und sah den Gar an.
»Gratch, du spürst doch keine weiteren Mriswiths mehr, oder?«
Der Gar reichte Fräulein Sanderholt das letzte Cape, dann ließ er den Blick aufmerksam in die Ferne schweifen. Schließlich schüttelte er den Kopf. Richard atmete erleichtert auf.
»Hast du eine Idee, wo sie hergekommen sein könnten, Gratch? Irgendeine bestimmte Richtung?«
Wieder drehte sich Gratch langsam um und betrachtete sorgsam prüfend die Umgebung. Einen totenstillen Augenblick lang richtete sich seine Aufmerksamkeit auf die Burg der Zauberer, wanderte dann aber weiter. Schließlich zuckte er die Achseln und machte ein kleinlautes Gesicht.
Richard ließ den Blick über die Stadt Aydindril schweifen, musterte sorgfältig die Truppen der Imperialen Ordnung, die er unten erkennen konnte. Sie setzten sich aus Männern vieler Nationen zusammen, hatte man ihm erzählt, doch die Kettenhemden, Panzer und das dunkle Leder, das die meisten trugen, kannte er: D’Haraner.
Richard knotete das letzte lose Ende um die Capes, schnürte sie zu einem festen Bündel zusammen und warf das Ganze auf den Boden. »Was ist mit Euren Händen passiert?«
Sie hielt sie ihm hin und drehte sie. Die Bandage aus weißem Tuch war mit getrockneten Flecken aus Bratenfett, Soßen und Ölen verschmutzt, war schmuddelig von der Asche und dem Ruß der Feuer. »Man hat mir die Fingernägel mit Zangen rausgezogen, damit ich gegen die Mutter Konfessor aussage … gegen Kahlan.«
»Und — habt Ihr?« Sie wendete den Blick ab, und Richard wurde rot, als ihm klar wurde, wie seine Frage geklungen haben mußte. »Tut mir leid, das ist mir so rausgerutscht. Niemand kann erwarten, daß Ihr Euch ihren Forderungen unter Folter widersetzt. Die Wahrheit ist solchen Menschen gleichgültig. Kahlan würde niemals glauben, daß Ihr sie verraten habt.«
Sie zuckte mit einer Schulter und ließ die Hände sinken. »Ich habe mich geweigert, die Dinge zu sagen, die ich über sie erzählen sollte. Sie verstand, genau wie Ihr gesagt habt. Kahlan selbst befahl mir, gegen sie auszusagen, damit sie mir nicht noch mehr antun. Dennoch, es war die reinste Qual, solche Lügen auszusprechen.«
»Ich wurde mit der Gabe geboren, aber ich weiß nicht, wie man sie benutzt, sonst würde ich versuchen, Euch zu helfen.« Er wand sich vor Mitgefühl. »Lassen denn die Schmerzen wenigstens inzwischen nach?«
»Ich fürchte, jetzt, wo die Imperiale Ordnung im Besitz von Aydindril ist, haben die Schmerzen gerade erst begonnen.«
»Waren es die D’Haraner, die Euch das angetan haben?«
»Nein. Ein keltonischer Zauberer hat es angeordnet. Kahlan hat ihn bei ihrer Flucht getötet. Die meisten Soldaten der Imperialen Ordnung in Aydindril sind allerdings D’Haraner.«
»Wie haben sie die Menschen in der Stadt behandelt?«
Sie rieb sich mit den bandagierten Händen über die Arme, als fröstelte sie in der winterlichen Luft. Richard hätte ihr fast sein Cape um die Schultern gelegt, besann sich jedoch eines Besseren und half ihr statt dessen, ihr Tuch zurechtzurücken.
»Die D’Haraner haben zwar im letzten Herbst Aydindril eingenommen, und im Kampf sind ihre Soldaten brutal vorgegangen, aber seit sie jeglichen Widerstand niedergeschlagen und die Stadt übernommen haben, sind sie, solange ihre Befehle befolgt werden, nicht mehr so grausam. Vielleicht ist es ihnen wichtiger, daß ihre Beute unversehrt bleibt.«
»Das könnte sein. Was ist mit der Burg? Haben sie die auch eingenommen?«
Sie warf einen Blick über die Schulter, den Berg hinauf. »Ich bin mir nur nicht sicher, aber ich glaube nicht. Die Burg ist durch Banne geschützt, und nach dem, was man mir erzählt hat, fürchten sich die D’Haranischen Truppen vor Magie.«
Richard rieb sich nachdenklich das Kinn. »Was geschah, nachdem der Krieg mit D’Hara vorüber war?«
»Offenbar haben die D’Haraner, wie andere auch, Verträge mit der Imperialen Ordnung geschlossen. Nach und nach übernahmen die Keltonier das Ruder. Die D’Haraner stellten zwar noch immer den größten Teil der Kampftruppen, duldeten aber stillschweigend die keltonische Herrschaft über die Stadt. Keltonier fürchten Magie nicht so sehr wie die D’Haraner. Prinz Fyren von Kelton und dieser keltonische Zauberer beherrschten den Rat. Da mittlerweile Prinz Fyren, der Zauberer und der Rat tot sind, weiß ich nicht genau, wer im Augenblick das Sagen hat. Vermutlich die D’Haraner, womit wir weiterhin der Gnade der Imperialen Ordnung ausgeliefert wären.
Nun, da die Mutter Konfessor und die Zauberer fort sind, mache ich mir Sorgen, was aus uns wird. Ich weiß, sie mußten fliehen, sonst wären sie ermordet worden, aber…«
Ihre Stimme verlor sich, daher beendete er den Satz für sie. »Seit die Midlands geschaffen wurden und man Aydindril als deren Herzstück gründete, hat hier niemand anderes regiert als die Mutter Konfessor.«
»Ihr kennt Euch in der Geschichte aus?«
»Kahlan hat mir ein wenig darüber erzählt. Es betrübt sie zutiefst, daß sie Aydindril verlassen mußte, doch ich versichere Euch, wir werden nicht zulassen, daß Aydindril und die Midlands an die Imperiale Ordnung fallen.«
Fräulein Sanderholt wandte sich resigniert ab. »Was einmal war, ist nicht mehr. Mit der Zeit wird die Imperiale Ordnung die Geschichte dieses Ortes umschreiben, und die Midlands werden in Vergessenheit geraten.
Richard, ich weiß, Ihr könnt es kaum erwarten, aufzubrechen und Euch ihr anzuschließen. Sucht Euch einen Ort, wo Ihr Euer Leben in Frieden und Freiheit leben könnt. Seid nicht verbittert über das, was verloren ist. Wenn Ihr zu Kahlan kommt, dann erklärt ihr, daß es zwar Menschen gab, die bei ihrer Scheinhinrichtung gejubelt haben, daß aber viel mehr Menschen verzweifelt waren, als sie von ihrem Tod erfuhren. In den Wochen nach ihrer Flucht habe ich die Seite gesehen, die sie nicht gesehen hat. Es gibt hier böse, habgierige Menschen wie überall — aber es gibt auch gute Menschen, die sie immer in Ehren halten werden. Wir sind zwar jetzt Untertanen der Imperialen Ordnung, doch die Erinnerung an die Midlands wird, solange wir leben, in unseren Herzen weiterbestehen.«
»Danke, Fräulein Sanderholt. Ich weiß, es wird ihr Mut machen, zu hören, daß sich nicht alle innerlich von ihr und den Midlands abgewendet haben. Aber verzweifelt nicht! Solange die Midlands in unseren Herzen weiterbestehen, gibt es noch Hoffnung. Wir werden uns behaupten.«