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Dank unbarmherziger Anstrengungen war es ihm gelungen, die Schande zu tilgen, daß jemand mit der Gabe in seine Familie hineingeboren worden war. Es hatte ihn den größten Teil seines Lebens gekostet, doch Tobias hatte seinem Familiennamen die Ehre zurückgegeben. Er hatte es allen gezeigt — er hatte die Schande zu seinen Gunsten umgemünzt und war der Erhabenste unter den Erhabenen geworden.

Tobias Brogan liebte seine Schwester — liebte sie so sehr, daß er ihr, wenn nötig, eigenhändig die Kehle durchschneiden würde, um sie aus den Fängen des Hüters, von der Folter des Makels, zu befreien, sollte sie jemals seiner Kontrolle entgleiten. Sie würde nur leben, solange sie von Nutzen war, nur solange sie ihnen dabei half, das Böse mit der Wurzel auszureißen, die Verderbten mit Stumpf und Stiel auszumerzen.

Ihm war bewußt, sie machte nicht viel her, eingehüllt in Fetzen bunten Tuches — aber das war das einzige, was ihr Freude machte und dafür sorgte, daß sie zufrieden blieb: wenn man sie mit unterschiedlichen Farben, ihren ›hübschen Sachen‹, wie sie sie nannte, drapierte —, der Hüter dagegen hatte Lunetta mit einem außergewöhnlichen Talent und einer außergewöhnlichen Macht ausgestattet. Dank zäher Bemühungen hatte Tobias sie davon befreit.

Dies war der schwache Punkt der Schöpfung des Hüters — der schwache Punkt in allem, was der Hüter schuf: es ließ sich von den Frommen als Werkzeug benutzen, wenn sie nur klug genug waren. Der Schöpfer stellte immer Waffen bereit, um die Gottlosigkeit zu bekämpfen, man brauchte nur nach ihnen zu suchen und die Weisheit, ja Kühnheit besitzen, sie zu benutzen. Das war es, was ihn an der Imperialen Ordnung beeindruckte — dort war man schlau genug, dies zu begreifen, und wendig genug, die Magie als Werkzeug einzusetzen, um Gottlosigkeit aufzuspüren und diese zu vernichten.

Wie er, so benutzte auch die Imperiale Ordnung die streganicha, und offenbar schätzte man sie und vertraute ihnen. Doch ihm gefiel nicht, daß man ihnen zugestand, frei und unbewacht herumzulaufen, um Informationen und Vorschläge zu beschaffen. Sollten sie sich allerdings jemals gegen die Sache wenden, nun, Lunetta war stets in seiner Nähe.

Trotzdem behagte es ihm nicht, dem Bösen so nahe zu sein. Es widerte ihn an, Schwester oder nicht.

Es dämmerte gerade, und die Straßen waren bereits dicht von Menschen bevölkert. Zudem gab es eine große Anzahl von Soldaten verschiedener Länder, die jeweils auf dem Gelände ihres Palastes patrouillierten, sowie andere, meist D’Haraner, die in der Stadt Streife gingen. Viele der Soldaten wirkten nervös, so als erwarteten sie jeden Augenblick einen Angriff. Man hatte Brogan versichert, es wäre alles unter Kontrolle. Da er nie etwas ohne genauere Prüfung glaubte, hatte er am Abend zuvor seine eigenen Patrouillen ausgesandt, und sie hatten ihm bestätigt, daß nirgendwo in der Nähe von Aydindril Rebellen aus den Midlands zu finden waren.

Brogan zog es stets vor einzutreffen, wenn man am allerwenigsten mit ihm rechnete, und in größerer Zahl einzutreffen, als man erwartete — nur für den Fall, daß er die Dinge selbst in die Hand nehmen mußte. Er hatte einen vollen Verband — fünfhundert Mann — mit in die Stadt gebracht, sollte sich jedoch herausstellen, daß es Ärger gab, konnte er immer seine Hauptstreitmacht nach Aydindril holen. Seine Hauptstreitmacht hatte sich als vollauf fähig erwiesen, jede Rebellion niederzuwerfen.

Wären die D’Haraner keine Verbündeten, ihre große Zahl hätte ihn alarmieren müssen. Brogan hatte zwar ein wohlbegründetes Vertrauen in das Können seiner Männer, doch nur die Eitlen kämpften Schlachten, wenn die Chancen ausgeglichen standen, und schon gar nicht gegen eine große Übermacht. Die Eitlen fanden in den Augen des Schöpfers keine freundliche Beachtung.

Tobias hob eine Hand und ließ die Pferde langsamer gehen, damit sie nicht eine Schwadron D’Haranischer Fußsoldaten niedertrampelten, die den Weg der Kolonne kreuzte. Er hielt es für unglücklich, daß sie, aufgefächert in einer Schlachtformation, die seinem fliegenden Keil ähnelte, die Hauptdurchgangsstraße überquerten, aber vielleicht waren die D’Haraner, denen man den Auftrag gegeben hatte, in der eroberten Stadt zu patrouillieren, dazu gezwungen, Straßenräubern und Taschendieben ihre Macht zu demonstrieren.

Die D’Haraner, die Waffen gezogen und sichtlich bei schlechter Stimmung, beäugten die Kavalleriekolonne, als würden sie nach Anzeichen für eine Bedrohung Ausschau halten. Brogan fand es recht eigenartig, daß sie ihre Waffen nicht in der Scheide trugen. Eine vorsichtige Truppe, diese D’Haraner.

Was sie sahen, schien sie nicht zu beunruhigen, und so gingen sie im selben Tempo weiter. Brogan schmunzelte — unbedeutendere Männer als sie hätten einen Schritt zugelegt. Ihre Waffen, größtenteils Schwerter oder Streitäxte, waren weder verziert noch kunstvoll, und das allein verlieh ihnen ein um so eindrucksvolleres Aussehen. Es waren Waffen, die getragen wurden, weil sie sich als wirkungsvoll erwiesen hatten, und nicht, um damit anzugeben.

Obwohl zahlenmäßig gut um das Zwanzigfache unterlegen, betrachteten die Männer in dunklem Leder und Kettenhemden all das blankgeputzte Metall ohne großes Interesse: Glanz und Präzision stellten oft nichts anders als Eitelkeit zur Schau, und wenn sich in diesem Fall darin Brogans Disziplin widerspiegelte und seine tödliche Liebe zum Detail verriet, so wußten die D’Haraner dies vermutlich nicht. Wo er und seine Soldaten besser bekannt waren, genügte der Anblick ihrer karminroten Capes, um starke Männer erbleichen zu lassen, und das Funkeln ihrer blankgeputzten Rüstungen reichte, um einen Feind in die Flucht zu schlagen.

Als sie, von Nicobarese kommend, das Rang’Shada-Gebirge überquert hatten, war Brogan auf eine der Armeen der Imperialen Ordnung gestoßen, die aus Soldaten vieler Nationen, größtenteils jedoch D’Haranern, bestand. Der General der D’Haraner, Briggs, der seinen Rat aufmerksam und interessiert angenommen hatte, hatte ihn zutiefst beeindruckt. Und zwar so sehr, daß er einen Teil seiner Truppen bei ihm zurückgelassen hatte, um bei der Eroberung der Midlands zu helfen. Die Imperiale Ordnung war auf dem Weg in die heidnische Stadt Ebinissia, dem Sitz der Krone von Galea, gewesen, um sie zu unterwerfen. Wenn der Schöpfer ihnen wohlgesonnen war, dann hatten sie Erfolg gehabt.

Brogan hatte erfahren, daß die D’Haraner nicht viel von Magie hielten, und das hatte ihm gefallen. Daß sie Magie darüber hinaus fürchteten, empörte ihn. Magie war der Zutritt des Hüters in die Welt des Menschen. Den Schöpfer mußte man fürchten. Magie, die Hexenkunst des Hüters, mußte man vernichten. Bis zum Niederreißen der Grenze im vergangenen Frühjahr war D’Hara über Generationen von den Midlands abgeriegelt gewesen, D’Hara und sein Volk waren für Brogan zu großen Teilen noch immer etwas Unbekanntes, ein weites, neues Gebiet, das nach Erleuchtung und möglicherweise nach Läuterung verlangte.

Darken Rahl, der Führer D’Haras, hatte die Grenze zu Fall gebracht und dadurch seinen Truppen ermöglicht, die Midlands im Sturm zu erobern und unter anderem auch Aydindril einzunehmen. Hätte er sich mehr auf die Angelegenheiten der Menschen beschränkt, wäre es Rahl vielleicht gelungen, die gesamten Midlands in seine Gewalt zu bringen, bevor man dort Armeen gegen ihn aufstellen konnte. Doch er war mehr daran interessiert gewesen, Magie zu betreiben, und das hatte seinen Untergang zur Folge gehabt. Nach Darken Rahls Tod, nach seiner Ermordung durch einen Bewerber für den Thron, wie man Brogan erzählt hatte, hatten sich die D’Haranischen Truppen der Imperialen Ordnung und ihren Zielen angeschlossen.