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Für die alte, sterbende Religion, genannt Magie, war kein Platz mehr in der Welt. Jetzt herrschte die Imperiale Ordnung, und der Ruhm des Schöpfers würde dem Menschen den Weg weisen. Tobias Brogans Gebete waren erhört worden. Jeden Tag dankte er dem Schöpfer, daß er ihn in diesen Zeiten leben ließ und er mittendrin dabeisein durfte. Er konnte sehen, wie die Blasphemie der Magie besiegt wurde, und er konnte die Rechtschaffenen in die letzte Schlacht führen. Hier wurde Geschichte gemacht, und er war ein Teil davon.

Tatsächlich: erst kürzlich war der Schöpfer Tobias im Traum erschienen und hatte ihm gesagt, wie sehr ihn seine Bemühungen erfreuten. Seinen Männern gegenüber verschwieg er dies, man hätte ihn für vermessen halten können. Durch den Schöpfer geehrt zu werden war Lohn genug. Natürlich hatte er Lunetta davon erzählt und ihr damit große Ehrfurcht eingeflößt. Schließlich geschah es nicht oft, daß der Schöpfer beschloß, direkt zu einem seiner Kinder zu sprechen.

Brogan gab seinem Pferd einen festen Schenkeldruck, um wieder Tempo zuzulegen, während er beobachtete, wie die D’Haraner in einer Seitenstraße weiterzogen. Keiner von ihnen drehte sich um und sah nach, ob sie verfolgt oder angegriffen wurden, aber nur ein Narr hätte dies für Selbstgefälligkeit gehalten — und Brogan war kein Narr. Die Menge teilte sich, um die Kolonne durchzulassen, und machte ihr weiträumig Platz, als sie weiterritt, die Königsstraße hinunter. Brogan erkannte einige Soldatenuniformen vor den verschiedenen Palästen wieder: Sandarier, Jarier und Keltonier. Galeaner sah er keine — offenbar hatte die Imperiale Ordnung in Ebinissia, dem Sitz der Krone von Galea, gute Arbeit geleistet.

Schließlich entdeckte Brogan Truppen aus seiner Heimat. Mit einer ungeduldigen Handbewegung winkte er eine Gruppe heran. Mit blähenden Capes, die karminrot verkündeten, wer sie waren, stürmten sie vorbei an den Schwertträgern, an den Lanzenträgern, an den Standartenträgern und schließlich an Brogan. Unter dem Lärm eiserner Hufe auf Straßenpflaster stürmten die Reiter geradewegs die weiten Stufen des Nicobaresischen Palastes hinauf. Das Gebäude war so protzig wie alle anderen auch, mit seinen sich verjüngenden, gekehlten Säulen aus seltenem, weiß gemasertem, braunem Marmor, einem schwer zu findenden Stein, den man in den Bergen im Osten von Nicobarese gebrochen hatte. Diese Verschwendungssucht ärgerte ihn.

Die regulären Soldaten, die den Palast bewachten, taumelten beim Anblick der berittenen Männer zurück und rissen die Hände erschrocken zum Salut hoch. Die Gruppe der Reiter drängte sie weiter nach hinten und öffnete so einen breiten Durchgang für den Lord General.

Oben auf der Treppe, zwischen Statuen auf sich aufbäumenden Hengsten aus lederbraunem Stein, stieg Brogan ab. Er warf die Zügel einem aschfahlen Mann der Palastwache zu, blickte lächelnd hinaus auf die Stadt, die Augen auf den Palast der Konfessoren geheftet. Heute war Tobias Brogan bei guter Laune. In letzter Zeit wurde das immer seltener. Er sog die frische Luft tief in sich hinein: es war der Morgen eines neuen Tages.

Der Mann, der seine Zügel übernommen hatte, verbeugte sich, als Brogan sich wieder umdrehte. »Lang lebe der König.«

Brogan richtete sein Cape. »Das kommt ein wenig spät.«

Der Mann räusperte sich, nahm seinen Mut zusammen. »Sir?«

»Der König«, sagte Brogan und strich seinen Schnäuzer glatt, »hat sich als ein ganz anderer herausgestellt, als wir alle, die wir ihn liebten, dachten. Man hat ihn für seine Sünden verbrannt. Und jetzt kümmere dich um mein Pferd.« Er winkte einen anderen Posten herbei. »Du — lauf zum Koch und sage ihm, ich habe Hunger. Ich mag es nicht, wenn man mich warten läßt.«

Der Posten zog sich unter Verbeugungen zurück, während Brogan zu dem Mann hinaufsah, der noch immer hoch zu Roß saß. »Galtero.« Der Mann lenkte sein Pferd näher heran, sein karminrotes Cape hing schlaff in der stillen Luft. »Nehmt die Hälfte der Männer und bringt sie zu mir. Ich werde frühstücken und dann das Urteil über sie fällen.«

Sanft strich er mit seinen knochigen Fingern gedankenverloren über das Kästchen an seinem Gürtel. Bald würde er die Trophäe aller Trophäen in seine Sammlung aufnehmen. Er lächelte grimmig bei dem Gedanken. Die Ehre der moralischen Wiedergutmachung würde ihm zufallen.

»Lunetta.« Sie sah starren Blicks zum Palast der Konfessoren hinüber, die winzigen Flicken zerlumpten Tuches fest um sich gerafft, während sie träge an den Armen kratzte. »Lunetta!«

Sie zuckte zusammen, endlich hatte sie ihn gehört. »Ja, Lord General?«

Er warf sein karminrotes Cape nach hinten über seine Schulter und zog die Schärpe, die seinen Rang verkündete, gerade. »Komm, frühstücke mit mir. Wir werden uns unterhalten. Ich erzähle dir von dem Traum, den ich letzte Nacht hatte.«

Sie riß aufgeregt die Augen auf. »Schon wieder ein Traum, mein Lord General? Ja, ich möchte wirklich gerne davon hören. Ihr erweist mir eine Ehre.«

»Allerdings.« Sie folgte ihm in den nicobaresischen Palast, als er durch die hohen, messingbeschlagenen Doppeltüren schritt. »Wir haben verschiedene Dinge zu besprechen. Du wirst aufmerksam zuhören, nicht wahr, Lunetta?«

Sie folgte ihm schlurfend auf den Fersen. »Ja, mein Lord General. Immer.«

An einem Fenster mit einem schweren, blauen Vorhang blieb er stehen. Er zog sein Uniformmesser und schnitt an der Seite ein großes Stück ab, darunter auch einen Streifen der Bordüre mit goldenen Quasten. Lunetta fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, wiegte sich hin und her, verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und wartete.

Brogan lächelte. »Etwas Hübsches für dich, Lunetta.«

Sie riß es mit glänzenden Augen aufgeregt an sich, hielt es mal hier-, mal dorthin und suchte nach der Stelle, wo sie es am besten zu den anderen stecken konnte. Vor Wonne jauchzte sie. »Danke, Lord General. Es ist wunderschön.«

Er marschierte davon, und Lunetta mußte sich sputen, um mit ihm Schritt zu halten. Porträts von Angehörigen des Königshauses hingen vor der kostbaren Täfelung, und unter den Füßen erstreckten sich bis in die Ferne kostbare Teppiche. Mit Blattgold verzierte Türrahmen faßten zu beiden Seiten oben abgerundete Türen ein. Das Karminrot seines Umhangs blitzte in Spiegeln mit goldenen Rahmen auf.

Ein Diener in braunweißer Livree betrat unter Verbeugungen den Gang und deutete mit ausgestrecktem Arm in die Richtung des Speisesaales, bevor er sich hastig zurückzog, sich alle paar Schritte verbeugend und mit Seitenblicken vergewissernd, daß er allem Unheil aus dem Wege ging.

Tobias Brogan war kein Mann, der einem mit seiner Größe Furcht einflößte, doch die Diener, die Bediensteten, die Palastwache und halb angezogenen Beamten, die in die Halle stürmten, um zu sehen, was all die Aufregung verursacht hatte, erbleichten, als sie ihn erblickten — den Lord General höchstpersönlich, den Mann, der den Lebensborn aus dem Schoß der Kirche befehligte.

Auf sein Wort hin wurden Verderbte für ihre Sünden verbrannt, ob es Bettler waren oder Soldaten, Lords oder Ladies — oder sogar Könige.

5

Schwester Verna stand wie erstarrt vor den Flammen, aus deren Tiefe sich flüchtige Wirbel glitzernder Farben und schimmernder Strahlen voller schwankender Bewegungen lösten, Fingern gleich, die sich im Tanz verdrehten, die Luft ansogen, die im Vorüberziehen an ihren Kleidern riß, und die eine Hitze abstrahlten, die sie alle zurückgetrieben hätte, wären ihre Schilde nicht gewesen. Die riesige, blutrote Sonne stand halb aufgegangen über dem Horizont und nahm den Flammen, die die Leichen aufgezehrt hatten, endlich ein wenig von ihrem grellen Schein. Einige der Schwestern in ihrer Nähe schluchzten leise.

Wohl über einhundert Jungen und junge Männer standen um das Feuer, und doppelt so viele Schwestern des Lichts und Novizinnen standen dort, umringt von ihrem Kreis. Bis auf eine Schwester und einen jungen Mann, die symbolisch den Palast bewachten und natürlich jene Schwester, die verrückt geworden war und die man zu ihrem eigenen Besten in eine leere, abgeschirmte Zelle gesperrt hatte, standen sie alle auf dem Hügel oberhalb von Tanimura und sahen zu, wie die Flammen gen Himmel schlugen. Und trotz der Gegenwart so vieler Menschen wurde jeder einzelne von einer unergründlichen Einsamkeit ergriffen und stand zurückgezogen da, in sich gekehrt und ins Gebet vertieft. Wie vorgeschrieben, sprach während des Begräbnisrituals niemand ein Wort.