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Dann drehte sie sich zu dem wutschnaubenden Zauberer um. »Wir sollten besser aufbrechen, wenn wir Nathan erwischen wollen.« Sie gab ihm einen Klaps auf die knochige Schulter. »Es wird nicht lange dauern. Sobald wir ihn eingeholt haben, nehme ich dir den Halsring ab, das verspreche ich dir.«

52

Der Hagenwald war so finster und wenig einladend wie immer, dennoch war Richard sicher, daß die Mriswiths verschwunden waren. Während ihres Marsches durch den finsteren Wald hatte er nicht einen einzigen von ihnen erspürt. Der Ort wirkte zwar bedrohlich, war aber verlassen. Die Mriswiths waren alle nach Aydindril aufgebrochen. Er schauderte, wenn er daran dachte, was das bedeutete.

Kahlan seufzte nervös und faltete die Hände, als sie in das freundlich lächelnde, quecksilbrige Antlitz der Sliph starrte. »Bevor wir es tun, möchte ich dir für den Fall, daß es schiefgeht, noch etwas sagen. Ich weiß, was geschehen ist, als du hier gefangen warst, und ich mache dir keinen Vorwurf daraus, Richard. Du dachtest, ich liebe dich nicht, und du warst allein. Das verstehe ich.«

Richard beugte sich stirnrunzelnd vor. »Was redest du da? Was habe ich getan?«

Sie räusperte sich. »Merissa. Sie hat mir alles erzählt.«

»Merissa!«

»Ja. Ich verstehe das und gebe dir keine Schuld. Du dachtest, du würdest mich nie wiedersehen.«

Richard zog ein erstauntes Gesicht. »Merissa ist eine Schwester der Finsternis. Sie will mich umbringen.«

»Aber sie hat mir erzählt, sie sei deine Ausbilderin gewesen, als du hier warst. Sie sagte, daß … Na ja, ich bin ihr begegnet, und sie ist wunderschön. Du warst einsam, und ich mache dir keinen Vorwurf daraus.«

Richard packte sie an den Schultern und zwang sie, ihren starren Blick von der Sliph abzuwenden. »Ich weiß nicht, was Merissa dir erzählt hat, Kahlan, aber was ich dir jetzt erzähle, ist die reine Wahrheit: Seit dem Tag, als ich dir begegnet bin, habe ich nie eine andere geliebt als dich. Niemanden. Sicher, als du mich gezwungen hast, den Halsring anzulegen, und ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen, da war ich einsam, aber ich habe deine Liebe nie verraten, selbst dann nicht, als ich dachte, ich hätte sie verloren. Obwohl ich glaubte, daß du mich nicht mehr willst, habe ich niemals … weder mit Merissa noch mit einer anderen.«

»Wirklich?«

»Wirklich.«

Sie lächelte ihr ganz besonderes Lächeln, daß sie nur ihm und niemand sonst schenkte. »Adie hat versucht, mir dasselbe einzureden. Ich wollte nur, daß du es weißt. Ich fürchte mich ein wenig vor diesem Ding und habe Angst, ich könnte darin ertrinken.«

»Die Sliph hat dich erfühlt und sagt, du kannst reisen. Du besitzt ein Element Subtraktiver Magie. Nur wer beide Seiten der Magie besitzt, kann reisen. Es wird funktionieren. Du wirst sehen.« Er lächelte aufmunternd. »Man braucht keine Angst davor zu haben, das verspreche ich dir. Es ist ein vollkommen neues Gefühl. Es ist wundervoll. Bist du bereit?«

Sie nickte. »Ich bin soweit.« Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn so fest, daß sie ihm die Luft aus den Lungen preßte. »Aber wenn ich ertrinke, sollst du wissen, wie sehr ich dich liebe.«

Richard half ihr auf die Steinmauer hinauf, die die Sliph umgab, dann ließ er den Blick durch den dunklen Wald jenseits der Ruinen wandern. Er wußte nicht, ob dort tatsächlich Augen waren, die sie beobachteten, oder ob er dies bloß befürchtete. Jedenfalls spürte er keine Mriswiths, und das würde er, wenn einer von ihnen sie beobachtete. Offensichtlich machten ihn wohl nur seine früheren Erlebnisse im Hagenwald so unruhig.

»Wir sind bereit, Sliph. Weißt du, wie lange es dauern wird?«

»Ich bin lang genug«, kam hallend die Antwort.

Seufzend packte Richard Kahlans Hand noch fester. »Tu, was man uns sagt.« Sie nickte und holte noch ein paarmal keuchend Luft. »Ich bin bei dir. Hab keine Angst.«

Der flüssige Silberarm hob sie hoch, und die dunkle Nacht wurde pechschwarz. Richard drückte fest Kahlans Hand, als sie in die Tiefe stürzten, denn er wußte, wie schwer ihm das Atmen in der Sliph beim ersten Mal gefallen war. Als sie den Händedruck erwiderte, befanden sie sich bereits im schwerelosen Nichts.

Das vertraute Gefühl des Dahinschießens und gleichzeitigen Treibens stellte sich wieder ein, und Richard wußte, daß sie auf dem Weg nach Aydindril waren. Wie zuvor gab es weder warm noch kalt, hatte man nicht das Gefühl, von der quecksilbrigen Feuchtigkeit der Sliph durchweicht zu werden. Seine Augen nahmen hell und dunkel in einem einzigen, geisterhaften Bild wahr, während seine Lunge sich mit der süßen Gegenwart der Sliph füllte, sobald er ihr seidiges Wesen einatmete.

Richard freute sich, weil er wußte, daß Kahlan die gleiche Verzückung empfand wie er. Er spürte es am sanften Druck ihrer Hand. Sie ließen sich los, um sich mit Schwimmbewegungen durch den stillen Strom zu bewegen.

Richard schwamm weiter durch Dunkelheit und Licht. Er merkte, daß Kahlan seinen Knöchel packte, um sich von ihm ziehen zu lassen.

Zeit war ohne Bedeutung. Während er mit Kahlan an seinem Knöchel dahinschwebte, hätte dies das Flackern eines Augenblicks sein können oder das langsame Dahinziehen eines Jahres. Wie schon zuvor, kam das Ende unvermittelt.

Bilder des Raumes in der Burg der Zauberer explodierten rings um sie herum, da er aber wußte, was ihn erwartete, blieb der Schrecken diesmal aus.

Atme, sagte die Sliph.

Er ließ einen süßen Atemzug ab, leerte seine Lungen von dem Gefühl der Verzückung und sog die fremde Luft in sich hinein.

Er spürte, wie Kahlan hinter ihm hochkam, und in der Stille von Kolos Kammer hörte er, wie sie die Sliph ausstieß und die Luft einatmete. Richard tauchte auf. Die Sliph fiel von ihm ab, als er sich die Mauer hinaufstemmte und darüberschwang. Als seine Füße den Boden berührten, drehte er sich um und bückte sich, um Kahlan herauszuhelfen.

Merissa lächelte ihn an.

Richard erstarrte. Nur langsam setzte sein Verstand wieder ein. »Wo ist Kahlan! Du bist mir über die Bande verpflichtet! Du hast einen Eid geschworen!«

»Kahlan?« antwortete die melodiöse Stimme. »Sie ist gleich hier.« Merissa faßte nach unten in das Quecksilber. »Aber du wirst sie nicht mehr brauchen. Und ich halte meinen Eid — einen Eid, den ich mir selbst geschworen habe.«

Sie hob Kahlans erschlafften Körper an ihrem Kragen in die Höhe. Mit Hilfe ihrer Kraft hievte sie Kahlan aus dem Brunnen der Sliph. Kahlan schlug gegen die Mauer und sackte, ohne zu atmen, am Boden zusammen.

Bevor Richard zu ihr eilen konnte, schlug Merissa die Klingen eines Yabree gegen das Felsgestein. Der süße Gesang ergriff von ihm Besitz und machte seine Beine schlaff und unbrauchbar, während er wie gebannt Merissas lächelndes Gesicht anstarrte.

»Der Yabree singt für dich, Richard. Sein Gesang ruft dich.«

Sie schwebte auf ihn zu, brachte den summenden Yabree näher heran. Sie hielt ihn in die Höhe, drehte das prachtvolle Objekt seiner Begierde, stellte es zur Schau, quälte ihn damit. Richard leckte sich über die Lippen, als das schnurrende Gesumm des Yabree ihm in die Knochen fuhr. Der kraftvoll vibrierende Klang zog ihn in seinen Bann.

Sie kam langsam näher, bot ihm den Yabree endlich an. Zu guter Letzt berührten seine Finger ihn, und der Gesang strömte durch jede Faser seines Körpers, schmeichelte sich in jeden Winkel seiner Seele. Lächelnd verfolgte Merissa, wie seine Finger sich um das Heft schlossen. Das Gefühl, ihn in den Händen zu halten, erfüllte ihn mit einem wohligen Schaudern. Seine Finger schlossen sich in quälender Lust fester.

Sie zog einen weiteren Yabree aus dem silbrigen Becken hervor. »Das ist nur die eine Hälfte, Richard. Du brauchst beide.«

Sie lachte, ein angenehmes Geräusch voller Schwung, und schlug den zweiten Yabree gegen das Gestein. Der Gesang machte ihn fast blind vor Sehnsucht, damit berührt zu werden. Nur mit Mühe konnte er verhindern, daß seine Knie einknickten. Er mußte den zweiten Yabree haben. Er beugte sich über die Mauer und reckte sich danach.