Merissas Lächeln war der reinste Hohn, doch das war ihm egal. Er wollte, brauchte weiter nichts als den Zwilling zu dem Yabree in seiner anderen Hand.
»Atme«, sagte die Sliph.
Richard sah geistesabwesend hinüber. Die Sliph betrachtete die Frau, die zusammengesunken auf dem Boden an der Wand lag. Er wollte gerade etwas sagen, da schlug Merissa den zweiten Yabree ein weiteres Mal gegen das Gestein.
Seine Beine wurden weich. Er legte seinen linken Arm, mit dem Yabree in der Hand, über die Mauer, um sich auf den Beinen zu halten.
»Atme«, sagte die Sliph noch einmal.
Richard kämpfte gegen den verzückenden Gesang an, der ihm summend in die Knochen fuhr, versuchte zu begreifen, wer das war, der dort an der Mauer lehnte, und zu dem die Sliph sprach. Es schien wichtig zu sein, er erinnerte sich jedoch nicht, wieso. Wer war das?
Merissas Lachen hallte durch den Raum, als sie erneut den Yabree anschlug.
Richard schrie hilflos auf, ein Gemisch aus Wonne und Verlangen.
»Atme«, sagte die Sliph erneut, beharrlicher diesmal.
Dann drang es langsam durch den betäubenden Gesang des Yabree zu ihm durch. Sein inneres Verlangen drängte an die Oberfläche, unterspülte die betäubende Melodie, die ihn gefangenhielt.
Kahlan.
Er sah sie an. Sie atmete nicht. In seinem Innern schrie eine Stimme um Hilfe.
Als der Yabree erneut zu singen begann, erschlafften seine Nackenmuskeln. Sein Blick irrte umher und heftete sich schließlich auf einen Gegenstand im Gestein unter ihm.
Ein Gefühl von Dringlichkeit setzte seine Muskeln in Bewegung. Er streckte die Hand aus. Seine Finger berührten es. Er umfaßte es mit einem Griff, und ein neues Verlangen fuhr ihm in die Glieder. Ein neues Verlangen, das er gut kannte.
Mit explosionsartiger Wut riß Richard das Schwert der Wahrheit aus dem steinernen Boden, und ein neuer Gesang hallte durch den Raum.
Merissa fixierte ihn mit mörderischem Blick, als sie den Yabree erneut gegen das Gestein schlug. »Du wirst sterben, Richard. Ich habe geschworen, in deinem Blut zu baden, und das werde ich auch tun.«
Mit allerletzter Kraft, gestärkt durch den Zorn des Schwertes, stemmte Richard sich gegen den oberen Mauerrand, reckte sich hinunter und stieß die Klinge in das Quecksilber der Sliph.
Merissa kreischte.
Silberne Adern schmolzen durch ihr Fleisch. Ihre Schreie hallten durch den Raum aus Stein, als sie die Arme in dem verzweifelten Versuch, der Sliph zu entkommen, in die Höhe reckte, doch es war zu spät. Ihr Körper machte eine Verwandlung durch, sie wurde so glänzend wie die Sliph — gleich einer silbernen Statue in einem Teich aus Silber. Die harten Züge ihres Gesichts gaben nach, und was einst Merissa gewesen war, löste sich im leisen Plätschern des Quecksilbers auf.
»Atme«, sagte die Sliph zu Kahlan.
Richard schleuderte den Yabree fort und rannte quer durch den Raum. Er nahm Kahlan in die Arme und trug sie zum Brunnen. Er legte sie über den Mauerrand, schlang seine Arme um ihren Unterleib und drückte zu.
»Atme, Kahlan! Atme!« Er preßte ihren Leib erneut zusammen. »Tu es für mich! Atme! Bitte, Kahlan, bitte!«
Ihre Lungen stießen das Quecksilber aus, dann holte sie keuchend, jäh und verzweifelt Luft, dann noch einmal.
Schließlich drehte sie sich in seinen Armen um und lehnte sich gegen ihn. »Oh, Richard, du hattest recht. Es war so wundervoll. Ich habe vergessen zu atmen. Du hast mich gerettet.«
»Aber er hat die andere umgebracht«, bemerkte die Sliph. »Ich habe ihn vor dem Gegenstand der Magie gewarnt, den er bei sich trägt. Mein Fehler ist es nicht.«
Kahlan betrachtete fassungslos das silberne Gesicht. »Von wem sprichst du?«
»Von der, die jetzt ein Teil von mir ist.«
»Merissa«, erklärte Richard. »Es ist nicht deine Schuld, Sliph. Ich mußte es tun, sonst hätte sie uns beide umgebracht.«
»Dann bin ich aus der Verantwortung entlassen. Danke, mein Gebieter.«
Kahlan wirbelte zu ihm herum und betrachtete das Schwert. »Was ist passiert? Was meinst du mit ›Merissa‹?«
Richard löste das Band an seinem Hals, griff über seine Schulter und zog das Mriswithcape von seinem Rücken.
»Sie ist uns durch die Sliph gefolgt. Sie hat versucht, dich umzubringen, und … nun, sie wollte ein Bad mit mir nehmen.«
»Was?«
»Nein«, verbesserte die Sliph, »sie sagte, sie wolle ein Bad in deinem Blut nehmen.«
Kahlans Mund klappte auf. »Aber … was ist passiert?«
»Sie weilt jetzt bei mir«, sagte die Sliph. »Für alle Zeiten.«
»Das bedeutet, sie ist tot«, erklärte Richard. »Ich werde es dir erklären, sobald wir mehr Zeit haben.« Er drehte sich zu der Sliph um. »Danke für deine Hilfe, Sliph, aber jetzt will ich, daß du schläfst.«
»Natürlich, mein Gebieter. Ich werde schlafen, bis ich wieder gebraucht werde.«
Das glänzende Silbergesicht wurde weicher und verschmolz wieder mit dem Becken voll Quecksilber. Ohne zu wissen warum, kreuzte Richard die Handgelenke. Das glänzende Becken begann zu glühen. Die Sliph wurde ruhig und begann in den Brunnen zurückzusinken, erst langsam, dann immer schneller, bis sie ganz verschwunden war.
Als er sich aufrichtete, starrte Kahlan ihn an. »Ich glaube, du wirst mir allerhand erklären müssen.«
»Sobald wir Zeit dafür haben, das verspreche ich.«
»Wo sind wir überhaupt?«
»In den unteren Gefilden der Burg, am Fuß eines der Türme.«
»In den unteren Gefilden der Burg?«
Richard nickte. »Unterhalb der Bibliothek.«
»Unter der Bibliothek! Niemand kann unter die Ebene der Bibliotheken gelangen. Es gibt Schilde, die alle Zauberer seit Menschengedenken von den unteren Gefilden der Burg ferngehalten haben.«
»Wie auch immer, dort befinden wir uns, und auch darüber werden wir später reden müssen. Wir müssen hinunter in die Stadt.«
Sie verließen Kolos Raum und drückten sich augenblicklich flach an die Mauer. Im Becken hinter dem Geländer hockte die rote Königin der Mriswiths. Sie breitete die Flügel schützend über ein Gelege von hundert Eiern, groß wie Melonen, und trompetete einen Warnlaut aus, der durch das Innere des riesigen Turmes hallte.
Am spärlichen Licht, das durch die Öffnungen oben fiel, erkannte Richard, daß es später Nachmittag war. Es hatte weniger als einen Tag gedauert, Aydindril zu erreichen — zumindest hoffte er, daß es nur einen Tag gedauert hatte. Im Licht konnte er auch die ungeheuren Ausmaße des Geleges mit seinen fleckig grauen und grünen Eiern oben auf dem Felsgestein erkennen.
»Das ist die Königin der Mriswiths«, erklärte Richard hastig, während er übers Geländer kletterte. »Ich muß die Eier vernichten.«
Kahlan rief seinen Namen, versuchte, ihn zurückzuhalten, als er über das Geländer in das dunkle, schleimige Wasser sprang. Mit gezücktem Schwert watete Richard durch das hüfttiefe Wasser zu den glatten Steinen in der Mitte. Die Königin richtete sich auf ihren Krallen auf und stieß ein klackendes Bellen aus.
Ihr Kopf schob sich schlängelnd mit schnappenden Kiefern dicht an ihn heran. Genau in diesem Augenblick schwang Richard das Schwert. Der groteske Kopf schnellte zurück. Sie schleuderte ihm eine Wolke beißenden Geruchs entgegen, der eine deutliche Warnung enthielt. Richard watete unerbittlich weiter. Ihre Kiefer klafften auf, daß man die langen, spitzen Zähne sah.
Richard durfte nicht zulassen, daß Aydindril den Mriswiths in die Hände fielen. Und wenn er diese Eier nicht zerstörte, würde es noch mehr Mriswiths geben, mit denen man sich beschäftigen mußte.
»Richard! Ich habe versucht, die blauen Blitze einzusetzen, aber hier unten will es nicht funktionieren! Komm zurück!«
Die Königin schnappte zischend nach ihm. Richard stach nach dem Kopf, als er ihm nahe kam, doch sie blieb knapp außer Reichweite und brüllte wütend. Es gelang Richard, den Kopf in Schach zu halten, während er nach etwas zum Festhalten suchte.