»Ich wünschte, Zedd wäre hier. Er könnte mir helfen, sie zu beherrschen — und zu lernen, sie zu gebrauchen. Ich vermisse ihn so.«
»Ich weiß«, sagte sie leise.
Obwohl sie beide schwer atmeten, hörte er die fernen Rufe von Soldaten und das Klirren von Stahl. Er witterte Rauch. Die Luft war voll davon.
Den heftigen Schmerz in seiner Schulter ignorierend, half er Kahlan auf, dann liefen die beiden die Straße hinunter bis zu einer Spitzkehre, von wo aus man einen Blick über die Stadt unten hatte.
Dort bremsten sie abrupt und kamen stolpernd zum Stehen. Kahlan stockte der Atem.
Richard sank schockiert auf die Knie. »Gütige Seelen«, sagte er leise, »was habe ich nur angerichtet.«
53
»Es ist Lord Rahl!« Stimmen trugen den Ruf durch den wilden, ungeordneten Haufen d’Haranischer Truppen weiter nach hinten. »Sammelt euch! Es ist Lord Rahl!«
Ein Schlachtruf wurde laut in der Luft des späten Nachmittags. Tausende von Stimmen übertönten den Lärm der Schlacht. Waffen wurden unter donnerndem Gebrüll in die verqualmte Luft gereckt. »Lord Rahl! Lord Rahl! Lord Rahl!«
Mit verbitterter Miene marschierte Richard durch die Soldaten im Hintergrund der Schlacht. Verwundete, blutende Männer kamen taumelnd auf die Beine und schlossen sich der Menge an, die ihm folgte.
Durch den Dunst des beißenden Rauchs konnte Richard den Hang hinab durch die Straßen bis zum verzweifelten Kampf der Männer in der vordersten Reihe dunkel uniformierter D’Haraner blicken. Jenseits davon flutete ein Meer aus Rot in die Stadt hinein und verdrängte seine Männer. Der Lebensborn. Von rechts und links und allen Seiten kamen sie, unerbittlich, unaufhaltsam.
»Es müssen weit über einhunderttausend sein«, murmelte Kahlan, offenbar zu sich selbst.
Richard hatte eine Streitmacht von einhunderttausend Mann auf die Suche nach Kahlan geschickt. Sie waren Wochen von der Stadt entfernt. Er hatte die Streitmacht in Aydindril fast halbiert und die Hälfte fortgeschickt. Und jetzt kam der Lebensborn aus dem Schoß der Kirche, um seinen Fehler auszunutzen.
Trotzdem hätten genug D’Haraner hier sein müssen, um einer solchen Zahl standzuhalten. Irgend etwas war verkehrt. Vollkommen verkehrt.
Gefolgt von einer wachsenden Menge Verwundeter, die sich hinter ihm herschleppte, erreichte Richard das, wie es schien, größte Gefecht. Der Lebensborn drängte von allen Seiten in die Stadt vor. Über der Königsstraße züngelten Flammen in den Himmel. Mitten in der weiten Fläche dunkler Uniformen erhob sich die weiße Pracht des Palastes der Konfessoren.
Offiziere kamen herbeigelaufen, deren Freude, ihn zu sehen, vom Anblick dessen, was gleich hinter ihnen geschah, gedämpft wurde. Die Schreie vom Kampfplatz fraßen sich ihm brennend in die Nerven.
Zu Richards Überraschung war seine eigene Stimme ruhig wie der Tod selbst. »Was ist hier eigentlich los? Das sind d’Haranische Soldaten. Wieso werden sie zurückgetrieben? Sie sind nicht in Unterzahl. Wie konnte der Lebensborn aus dem Schoß der Kirche so weit in die Stadt vordringen?«
Der kampferprobte Kommandeur sagte nur ein einziges Wort. »Mriswiths.«
Richard ballte die Fäuste. Gegen Mriswiths hatten diese Männer keine Chance. Ein Mriswith konnte in wenigen Minuten Dutzende von Soldaten niedermachen. Richard hatte lange Schlangen von Mriswiths in die Sliph hineinsteigen sehen — Hunderte von ihnen.
Vielleicht waren die D’Haraner zu Beginn nicht in der Unterzahl gewesen, jetzt jedoch waren sie es.
Schon begannen die Stimmen der Seelen zu ihm zu sprechen und übertönten die Schreie der Todesqualen. Er blickte hinauf zur matten Scheibe der Sonne hinter dem Qualm. Noch zwei Stunden Tageslicht.
Richards Blick traf sich mit denen dreier seiner Leutnants. »Ihr, Ihr und Ihr. Sucht Euch einen Trupp von der erforderlichen Größe zusammen.« Ohne sich umzudrehen, deutete er mit dem Daumen nach hinten auf Kahlan. »Bringt die Mutter Konfessor, meine Königin, in den Palast und beschützt sie.«
Der Blick in Richards Augen machte jede Bemerkung über den Ernst des Auftrags vollkommen unnötig, jede Warnung vor den Folgen eines Versagens überflüssig.
Kahlan protestierte lauthals. Richard riß das Schwert aus der Scheide.
»Sofort.«
Die Männer sprangen auf und taten, wie ihnen befohlen, drängten Kahlan zurück, während sie ihn anschrie. Richard sah weder hin, noch hörte er auf ihre Worte.
Er hatte sich bereits seinem lebendigen Zorn hingegeben. Magie und Tod tanzten gefährlich in seinen Augen. Schweigende Männer wichen langsam in einem immer größer werdenden Kreis vor ihm zurück.
Richard zog die Klinge durch das Blut auf seinem Arm, um dem Schwert einen Vorgeschmack zu geben. Der Druck des Zorns erhöhte sich.
Er drehte den Kopf, die Augen des Todes suchten die wandelnden Toten. Im doppelten Aufbrausen des Zorns des Schwerts und seines ganz persönlichen nahm er nichts mehr wahr als die kochende Wut in seinem Innern, und doch wußte er, das genügte noch nicht. In rascher Folge riß er sämtliche Schranken nieder und entfesselte alle Magie, hielt nichts zurück. Er war eins mit den Seelen in seinem Innern, mit der Magie, mit dem Verlangen. Er war der wahre Sucher, und mehr als das.
Er war der zum Leben erwachte Bringer des Todes.
Und dann setzte er sich in Bewegung, schob sich durch die Männer hindurch, die versuchten, zur Front zu gelangen, durch die in dunkles Leder gehüllten Soldaten, die sich, ächzend vor Entschlossenheit, mit den eingebrochenen Soldaten in karminroten Capes und blitzenden Rüstungen Handgemenge lieferten, durch Ladenbesitzer, die zum Schwert gegriffen hatten, durch junge Burschen aus der Stadt mit Lanzen und Kinder mit Knüppeln.
Stolzen Schritts ging er vorwärts, streckte die Männer des Lebensborns nur nieder, wenn sie versuchten, ihm den Weg zu versperren. Er hatte es auf eine tödlichere Gefahr abgesehen als sie.
Richard sprang mitten im Gewühl auf einen umgestürzten Karren. Männer drängten sich um ihn, um Schaden von ihm fernzuhalten. Sein Raubvogelblick wanderte über die Szene. Schaden anzurichten, das war seine Absicht.
Vor ihm überflutete ein Meer aus roten Capes das dunkle Gestade aus toten D’Haranern. Die Zahl der d’Haranischen Toten war erschreckend, doch er hatte sich in der Magie verloren, und der Gedanke an etwas anderem als den Feind war kaum mehr als Bodensatz im Hexenkessel seines Zorns.
Irgendwo im hintersten Winkel seines Verstandes schrie eine Stimme in Richard beim Anblick von soviel Tod auf, der Schrei verlor sich jedoch im Getöse seines Zorns.
Richard spürte ihre Gegenwart, bevor er sie sah. Eine fließende Bewegung, die wie mit Sicheln in lebendiges Fleisch schnitt und eine Ernte aus Tod einfuhr. Der Lebensborn aus dem Schoß der Kirche drängte hinter ihnen nach und überrannte die dezimierten D’Haraner.
Richard hob das Schwert der Wahrheit und legte sich die karminrote Klinge an die Stirn. Er gab sich mit seinem ganzen Selbst hin.
»Klinge«, flehte er eindringlich, »sei mir heute treu.«
Bringer des Todes.
»Tanze mit mir, Tod«, raunte er. »Ich bin bereit.«
Mit dumpfem Schlag landeten die Stiefel des Suchers auf der Straße. Seine Instinkte verschmolzen mit denen all derer, die die Klinge zuvor geführt hatten. Er trug ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihr Können wie eine zweite Haut.
Er ließ sich von der Magie leiten, die wiederum wurde getrieben vom Sturm seines Zorns und seines Willens. Er ließ der Gier zu töten freien Lauf und schlüpfte durch die Reihen der Männer.
Flink wie der Tod fand seine Klinge ihr erstes Ziel, und ein Mriswith ging zu Boden.
Vergeude deine Kraft nicht, indem du Menschen tötest, die die andern töten können, flüsterten ihm die Stimmen der Seelen zu. Töte nur die, die sie nicht töten können.
Richard folgte dem Rat der Stimmen und erspürte die Mriswiths ringsum, manche von ihnen in ihren Capes verborgen. Er tanzte mit dem Tod, und gelegentlich ereilte sie das Ende, bevor sie ihn kommen sahen. Er tötete, ohne Kraft zu vergeuden, ohne je ein zweites Mal zuzuschlagen. Jeder Hieb seiner Klinge traf auf Fleisch.