Richard scheute sich nicht, ihnen in die Augen zu sehen. »Ihr wart bei denen, die mich sicher durch den Palast gelotst haben?« Sie nickten. »Dann schulde ich Euch ewig Dank. Was ist mit den anderen?«
»Die anderen sind im Palast geblieben, für den Fall, daß Ihr zurückkehrt, bevor wir Euch finden«, sagte Cara. »Kommandant General Trimack bestand darauf, daß Egan und Ulic ebenfalls mitkommen, da sie zur persönlichen Leibgarde von Meister Rahl gehören. Wir sind eine Stunde nach Euch aufgebrochen und haben versucht, Euch einzuholen.« Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Wir haben keine Zeit vergeudet, und doch habt Ihr uns gegenüber einen Tag gewonnen.«
Richard zog den Tragegurt seines Schwertes gerade. »Ich hatte es eilig.«
Cara zuckte die Achseln. »Ihr seid Meister Rahl. Nichts, was Ihr tut, kann uns überraschen.«
Richard fand, daß sie, als er unsichtbar geworden war, sogar sehr überrascht ausgesehen hatten, behielt das aber für sich.
Er sah sich in dem schwach beleuchteten, muffigen Raum um. »Was tut Ihr hier, an diesem Ort?«
Cara zog ihre Handschuhe aus und warf sie auf den Tisch. »Wir hatten vor, ihn während der Suche nach Euch als Stützpunkt zu benutzen. Wir sind erst seit kurzem hier. Diesen Ort haben wir gewählt, weil er in der Nähe des d’Haranischen Hauptquartiers liegt.«
»Man sagte mir, es befände sich in einem großen Gebäude hinter dem Markt.«
»Das stimmt«, meinte Hally. »Wir haben uns davon überzeugt.«
Richard musterte ihre durchdringenden, blauen Augen. »Ich war gerade auf dem Weg dorthin, als Ihr mich gefunden habt. Vermutlich kann es nicht schaden, Euch als Begleitung dabei zu haben.« Er lockerte das Mriswithcape an seinem Hals und kratzte sich im Nacken. »Wie habt Ihr mich in dieser großen Stadt gefunden?«
Die beiden Männer standen da und zeigten keinerlei Regung, die Frauen jedoch runzelten erstaunt die Stirn.
»Ihr seid Herrscher Rahl«, sagte Cara, offenbar in der Annahme, das reiche als Erklärung.
Richard stemmte die Fäuste in die Hüften. »Und?«
»Die Bande«, sagte Berdine. Der leere Ausdruck in seinem Gesicht schien sie verlegen zu machen. »Wir sind dem Herrscher Rahl verpflichtet.«
»Ich verstehe nicht, was das bedeutet. Was hat das damit zu tun, daß Ihr mich gefunden habt?«
Die Frauen sahen sich an. Cara neigte den Kopf zur Seite. »Ihr seid Lord Rahl, der Herrscher D’Haras. Wir sind D’Haraner. Wie ist es möglich, daß Ihr das nicht versteht?«
Richard strich sich die Haare aus der Stirn und stieß einen verzweifelten Seufzer aus. »Ich wurde in Westland erzogen, zwei Grenzen weit von D’Hara entfernt. Bis die Grenzen fielen, wußte ich nichts von D’Hara, und erst recht nichts von Darken Rahl. Bis vor ein paar Monaten wußte ich nicht einmal, daß Darken Rahl mein Vater ist.« Er wandte den Blick von ihren verwirrten Gesichtern ab. »Er hat meine Mutter vergewaltigt, und sie floh nach Westland, bevor ich geboren wurde, bevor die Grenzen eingerichtet wurden. Darken Rahl wußte bis zu seinem Tod weder von meiner Existenz noch daß ich sein Sohn bin. Was bedeutet es also, der Herrscher Rahl zu sein?«
Die beiden Männer standen immer noch reglos da, ohne eine Miene zu verziehen. Die vier Mord-Siths starrten ihn eine ganze Weile an. Die Flamme der Kerze spiegelte sich als Lichtpunkt in ihren Augen, während sie ein weiteres Mal seine Seele zu ergründen schienen. Er fragte sich, ob sie es schon bereuten, ihm die Treue geschworen zu haben.
Es war Richard unangenehm, seine Abstammung vor diesen Menschen auszubreiten, die er kaum kannte. »Ihr habt mir noch immer nicht erklärt, wie Ihr es geschafft habt, mich zu finden.«
Als Berdine ihr Cape abnahm und es auf ihre Sachen warf, legte Cara ihm die Hand auf die Schulter und drängte ihn, sich auf den Stuhl zu setzen. So wie das Holz unter seinem Gewicht nachgab, zweifelte er, ob es ihn tragen würde, doch der Stuhl hielt. Sie sah zu den beiden Männern auf. »Vielleicht könnt Ihr ihm die Bande erklären, da Ihr sie am stärksten spürt. Ulic?«
Ulic trat von einem Bein aufs andere. »Ich werde es Euch erklären, wie man es uns beigebracht hat.«
Richard deutete auf eine Bank, gab Ulic so zu verstehen, daß er sich setzen solle. Es war ihm unangenehm, daß der Mann ihn überragte wie ein Berg mit Armen. Ein prüfender Blick über die Schulter zeigte, daß Gratch zufrieden sein Fell putzte, seine leuchtend grünen Augen aber auf die Leute gerichtet hielt. Richard lächelte ihm beruhigend zu. Gratch war noch nicht oft in der Gesellschaft von Menschen gewesen, und im Hinblick auf das, was er vorhatte, war Richard daran gelegen, daß er sich wohl fühlte. Das Gesicht des Gar verzog sich zu einem faltenreichen Lächeln, seine Ohren jedoch blieben lauschend aufgerichtet. Richard hätte zu gern gewußt, wieviel Gratch verstand.
Ulic zog eine Bank heran und setzte sich. »Vor langer Zeit —«
»Wie lange?« unterbrach ihn Richard.
Ulic rieb mit dem Daumen über den Knochengriff des Messers an seinem Gürtel und dachte über die Frage nach. Seine tiefe Stimme schien die Kerzenflammen zu ersticken. »Vor langer Zeit … während der Anfänge von D’Hara. Ich glaube, vor mehreren tausend Jahren.«
»Was geschah denn nun während der Anfänge von D’Hara?«
»Also, daher stammen die Bande. Während dieser Anfänge überzog der erste Herrscher Rahl das d’Haranische Volk mit seiner Macht, seiner Magie, um es zu beschützen.«
Richard zog eine Braue hoch. »Ihr meint, um euch zu beherrschen.«
Ulic schüttelte den Kopf. »Es handelte sich um ein feierliches Bündnis. Das Haus Rahl« — dabei tippte er auf den reich verzierten, in das Leder über seiner Brust geritzten Buchstaben R — »sollte die Magie sein, und das Volk der D’Haraner der Stahl. Wir beschützen ihn, und er beschützt dafür uns. Wir waren einander verpflichtet.«
»Wozu sollte ein Zauberer den Schutz von Stahl benötigen? Zauberer besitzen Magie.«
Ulics Lederuniform knarzte, als er einen Ellenbogen auf sein Knie stützte und sich mit einem nüchtern werdenden Ausdruck vorbeugte. »Ihr besitzt Magie. Hat sie Euch immer beschützt? Weder könnt ihr immer wach bleiben noch immer wissen, wer hinter Euch steht, oder die Magie schnell genug herbeirufen, wenn es viele sind. Selbst wer Magie besitzt, stirbt, wenn ihm jemand die Kehle aufschlitzt. Ihr braucht uns.«
In diesem Punkt mußte Richard ihm recht geben. »Und was haben diese Bande nun mit mir zu tun?«
»Nun, das feierliche Bündnis, die Magie, verbindet das Volk von D’Hara mit dem Herrscher Rahl. Stirbt der Herrscher Rahl, gehen die Bande an seinen Erben mit der Gabe über.« Ulic zuckte mit den Achseln. »Die Bande sind die Magie dieser Verbindung. Alle D’Haraner spüren sie. Wir verstehen sie von Geburt an. An diesen Banden erkennen wir den Herrscher Rahl. Wenn der Herrscher Rahl in der Nähe ist, können wir seine Gegenwart fühlen. Auf diese Weise haben wir Euch gefunden.«
Richard packte die Armlehnen des Sessels und beugte sich vor. »Wollt Ihr damit sagen, daß alle D’Haraner mich spüren können und wissen, wer ich bin?«
»Nein. Es steckt noch mehr dahinter.« Ulic schob einen Finger unter seinen Lederharnisch, um sich an der Schulter zu kratzen, während er darüber nachdachte, wie er die Sache am besten erklären sollte.
Berdine stellte einen Fuß neben Ulic auf die Bank, stützte sich auf einen Ellenbogen und kam ihm zur Hilfe. Ihr dicker, brauner Zopf fiel nach vorne über ihre Schulter. »Seht Ihr, zuallererst müssen wir den Herrscher Rahl anerkennen. Damit meine ich, wir müssen seine Herrschaft förmlich akzeptieren. Diese Einwilligung erfolgt nicht im Rahmen einer Zeremonie, sondern eher im Sinne eines Einvernehmens mit dem Herzen. Es muß sich nicht unbedingt um eine Anerkennung handeln, die wir uns wünschen, und in der Vergangenheit war dies, wenigstens bei uns, auch nicht der Fall. Nichtsdestotrotz erfolgt diese Anerkennung bedingungslos.«