»Das heißt, Ihr müßt glauben.«
Sämtliche Gesichter, die ihn anstarrten, leuchteten auf.
»Ja. So kann man es ausdrücken«, warf Egan ein. »Haben wir erst einmal in seine Herrschaft eingewilligt, sind wir dem Herrscher Rahl zeit seines Lebens verpflichtet. Stirbt er, nimmt der neue Herrscher Rahl seinen Platz ein, dem wir dann verpflichtet sind. Wenigstens ist es so vorgesehen. Diesmal jedoch ist etwas schiefgegangen und Darken Rahl, oder seiner Seele, gelang es, einen Teil von sich in dieser Welt zu bewahren.«
Richard richtete sich auf. »Das Tor. Die Kästchen im Garten des Lebens waren ein Tor zur Unterwelt, und eines von ihnen wurde geöffnet zurückgelassen. Als ich vor zwei Wochen zurückkam, habe ich es verschlossen und Darken Rahl so endgültig in die Unterwelt verbannt.«
Ulics Muskeln schwollen an, als er sich die Hände rieb. »Als Darken Rahl zu Beginn des Winters starb und Ihr vor dem Palast gesprochen habt, waren viele D’Haraner überzeugt, Ihr wärt der neue Lord Rahl. Andere dagegen nicht. Einige hielten noch immer an ihren Banden zu Darken Rahl fest. Wohl deshalb, weil, wie Ihr sagt, dieses Tor geöffnet war. Das war nie zuvor passiert, jedenfalls nicht, soweit ich gehört habe.
Als Ihr dann in den Palast zurückkamt und Darken Rahls Seele mit Hilfe Eurer Gabe besiegt habt, da habt Ihr auch die aufständischen Offiziere besiegt, die Euch öffentlich verunglimpft hatten. Durch die Verbannung von Darken Rahls Seele habt Ihr die Bande zerrissen, mit denen er einige von ihnen noch immer in die Pflicht nahm, und die übrigen am Palast von Eurer Machtbefugnis als Herrscher Rahl überzeugt. Jetzt sind sie Euch treu ergeben. Der ganze Palast. Sie alle fühlen sich Euch verpflichtet.«
»Genauso wie es sein sollte«, sagte Raina mit Entschiedenheit. »Ihr besitzt die Gabe, Ihr seid ein Zauberer. Ihr seid die Magie gegen die Magie, und die D’Haraner, Euer Volk, sind der Stahl gegen den Stahl.«
Richard hob den Kopf und sah ihr in die dunklen Augen. »Von diesen Banden, von dieser Geschichte ›Stahl gegen den Stahl und Magie gegen Magie‹ verstehe ich noch weniger als davon, was es heißt, Zauberer zu sein, und davon verstehe ich nahezu nichts. Ich weiß nicht, wie man Magie benutzt.«
Die Frauen starrten ihn einen Augenblick lang an, dann lachten sie, als hätte er einen Scherz gemacht.
»Das war kein Scherz. Ich weiß nicht, wie ich meine Gabe einsetzen kann.«
Hally klopfte ihm auf die Schulter und zeigte auf Gratch. »Ihr befehligt diese wilden Tiere, genau wie Darken Rahl. Wir können Tiere nicht befehligen. Ihr sprecht sogar mit ihm. Mit einem Gar!«
»Ihr versteht nicht. Ich habe ihn gerettet, als er noch ganz jung war. Ich habe ihn großgezogen, das ist alles. Wir sind Freunde geworden. Das ist keine Magie.«
Hally klopfte ihm erneut auf die Schulter. »Vielleicht kommt es Euch nicht vor wie Magie, Lord Rahl, doch von uns könnte das niemand.«
»Aber —«
»Wir haben heute gesehen, wie Ihr unsichtbar geworden seid«, sagte Cara. Sie hatte aufgehört zu lachen. »Wollt Ihr etwa behaupten, das sei keine Magie gewesen?«
»Na ja, wahrscheinlich war es wohl Magie, allerdings nicht so, wie Ihr denkt. Ihr begreift einfach nicht, daß —«
Cara zog die Augenbrauen hoch. »Lord Rahl, Ihr begreift es, weil Ihr die Gabe besitzt. Für uns ist es Magie. Ihr wollt doch nicht etwa behaupten, jemand von uns könnte das?«
Richard wischte sich mit der Hand durchs Gesicht. »Nein, Ihr könntet es nicht. Trotzdem ist es nicht das, was Ihr denkt.«
Raina bedachte ihn mit diesem Blick, mit dem sie einen immer dann ansah, wenn sie erwartete, daß man sich fügte und nicht widersprach — einem stählernen Blick, der seine Zunge zu lähmen schien. Er war zwar kein Gefangener der Mord-Siths mehr, und diese Frauen versuchten ihm zu helfen, trotzdem gab ihm dieser Blick zu denken.
»Lord Rahl«, sagte sie mit sanfter Stimme, die den stillen Raum erfüllte, »im Palast des Volkes habt Ihr gegen die Seele von Darken Rahl gekämpft. Ihr, ein einfacher Mensch, habt gegen die Seele eines mächtigen Zauberers gekämpft, der aus der Unterwelt, der Welt der Toten, zurückgekehrt war, um uns alle zu vernichten. Er besaß keine körperliche Existenz, er war nur eine Seele, belebt allein durch Magie. Einen solchen Dämon konntet Ihr nur durch eigene Magie bekämpfen.
Während des Kampfes habt Ihr durch Magie hervorgerufene Blitze im Palast umhergeschleudert und so die Rebellenführer vernichtet, die sich Euch widersetzten und Darken Rahl zum Triumph verhelfen wollten. Wer Euch im Palast noch nicht verpflichtet war, der war es nach diesem Tag. Keiner von uns hat je in seinem ganzen Leben etwas Vergleichbares gesehen wie die Magie, die knisternd an jenem Tag durch den Palast fegte.«
Sie beugte sich zu ihm vor, hielt ihn weiter mit ihrem dunklen Blick gefangen, während ihre leidenschaftliche Stimme durch die Stille schnitt. »Das war Magie, Lord Rahl. Wir alle sollten vernichtet, von der Welt der Toten verschlungen werden. Ihr habt uns gerettet. Ihr habt Euren Teil des Bündnisses eingehalten, Ihr wart die Magie gegen die Magie. Ihr seid der Herrscher Rahl. Wir alle würden unser Leben für Euch opfern.«
Richard merkte, wie er das Heft des Schwertes mit seiner Linken fest umklammerte. Er spürte die erhabenen Lettern des Wortes WAHRHEIT, die sich in sein Fleisch gruben.
Es gelang ihm, sich von Rainas Blick zu lösen, dann betrachtete er die übrigen. »Alles was Ihr sagt, ist richtig, dennoch ist es nicht so einfach, wie Ihr denkt. Es steckt mehr dahinter. Ihr sollt nicht glauben, ich konnte diese Dinge tun, weil ich wußte, wie es funktioniert. Es ist einfach passiert. Darken Rahl hat sein ganzes Leben lang studiert, um Zauberer zu werden, um Magie anwenden zu können. Ich weiß fast nichts darüber. Ihr setzt zuviel Vertrauen in mich.«
Cara zuckte mit den Achseln. »Wir haben verstanden. Ihr müßt noch mehr über Magie lernen. Das ist gut. Es ist immer gut, etwas hinzuzulernen. Ihr werdet uns von größerem Nutzen sein, wenn Ihr noch mehr lernt.«
»Nein, Ihr versteht nicht…«
Sie legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Egal, wieviel Ihr wißt, es gibt immer noch mehr. Niemand weiß alles. Das ändert nichts. Ihr seid der Herrscher Rahl. Euch sind wir verpflichtet.« Sie drückte seine Schulter. »Selbst wenn wir wollten, niemand von uns könnte etwas daran ändern.«
Auf einmal wurde Richard ruhig. Im Grunde wollte er es ihnen gar nicht ausreden. Er konnte ihre Hilfe, ihre Ergebenheit gut gebrauchen. »Ihr habt mir schon einmal geholfen, mir vielleicht dort draußen auf der Straße den Hals gerettet, aber ich möchte nicht, daß Ihr mehr Vertrauen in mich setzt, als ich verdiene. Ich will Euch nichts vormachen. Ich will, daß Ihr mir folgt, weil das, was wir tun, richtig ist, und nicht wegen irgendwelcher mit Magie geschmiedeter Bande. Das wäre Sklaverei.«
»Lord Rahl«, erwiderte Raina, und zum erstenmal schwankte ihre Stimme, »wir waren Darken Rahl verpflichtet. Damals hatten wir ebensowenig die Wahl wie jetzt. Er hat uns aus unseren Häusern geraubt, als wir noch klein waren, uns ausgebildet und dazu mißbraucht…«
Richard stand auf und legte ihr den Zeigefinger an die Lippen. »Ich weiß. Schon gut. Jetzt seid Ihr frei.«
Cara packte ihn am Hemd und riß sein Gesicht dicht vor ihres. »Begreift Ihr nicht? Viele von uns haben Darken Rahl gehaßt, und trotzdem waren wir gezwungen, ihm zu dienen. Wir waren ihm verpflichtet. Das war Sklaverei.
Auch wenn Ihr nicht alles wißt, für uns ist das nicht wichtig. Dessen ungeachtet sind wir Euch als Herrscher Rahl verpflichtet. Zum erstenmal in unserem Leben ist dies keine Last. Gäbe es die Bande nicht, würden wir uns genauso entscheiden. Das ist keine Sklaverei.«