Richard hob den Kopf und sah ihr in die blauen Augen. »Hally, ich könnte Euch küssen.«
Ihr Lächeln erlosch augenblicklich. »Lord Rahl, Ihr habt erklärt, wir seien frei. Wir müssen uns nicht länger unterwerfen…« Sie klappte ihren Mund zu, als sie scharlachrot wurde, wie die anderen Frauen auch. Hally senkte den Kopf und senkte den Blick zum Boden. Ihre Stimme war ein unterwürfiges Geflüster. »Vergebt mir, Lord Rahl. Wenn Ihr das von uns verlangt, werden wir uns natürlich bereitwillig opfern.«
Richard hob ihr Kinn mit den Fingerspitzen an. »Hally, das war bloß eine Redewendung. Wie Ihr schon sagtet, Ihr seid zwar in die Pflicht genommen, aber diesmal nicht als Sklaven. Ich bin nicht nur der Herrscher Rahl, ich bin auch der Sucher der Wahrheit. Ich hoffe, Ihr habt Euch deshalb entschlossen, mir zu folgen, weil es um eine gerechte Sache geht. Der sollt Ihr Euch verpflichtet fühlen, nicht mir. Ihr braucht niemals zu befürchten, daß ich Euch die Freiheit wieder nehme.«
Hally schluckte. »Danke, Lord Rahl.«
Richard wedelte mit der Schriftrolle. »Und jetzt laßt uns aufbrechen, damit dieser General Reibisch den neuen Herrscher Rahl kennenlernt, und ich mich endlich den Dingen zuwenden kann, die ich tun muß.«
Berdine legte ihm eine Hand auf den Arm und hielt ihn zurück. »Lord Rahl, die Zeilen des Kommandanten General Trimack sind als Hilfe gedacht. Sie allein werden die Truppen nicht für Euch in die Pflicht nehmen können.«
Richard stemmte die Fäuste in die Hüften. »Ihr vier habt die schlechte Angewohnheit, mir etwas vor die Nase zu halten, um es dann gleich wieder fortzuziehen. Was muß ich sonst noch tun? Ein bißchen bunte Magie?«
Die vier nickten, als hätte er endlich ihren Plan erraten.
»Was!« Richard beugte sich zu ihnen. »Soll das heißen, der General verlangt, daß ich einen magischen Trick vorführe, um mich auszuweisen?«
Cara fühlte sich gar nicht wohl in ihrer Haut und nickte. »Lord Rahl, das sind doch nur Worte, geschrieben auf Papier. Sie sollen Euch unterstützen, Euch hilfreich sein, Euch aber nicht die Arbeit abnehmen. Am Palast in D’Hara ist das Wort des Kommandant Generals Gesetz, nur Ihr steht im Rang höher. Aber im Feld ist das nicht so. Hier ist General Reibisch das Gesetz. Ihr müßt ihn überzeugen, daß Ihr im Rang höher steht als er.
Diese Männer sind nicht leicht zu überzeugen. Der Herrscher Rahl muß also den Eindruck einer Persönlichkeit von furchteinflößender Macht und Stärke erwecken. Um die Bande zu erbitten, müssen sie überwältigt sein, so wie die Truppen im Palast, als Ihr die Mauern mit Blitzen überzogen habt. Wie Ihr schon sagtet, sie müssen glauben. Um zu glauben, braucht es mehr als Worte auf Papier. General Trimacks Brief ist als Teil davon gedacht, aber er kann nicht alles sein.«
»Magie«, murmelte Richard und ließ sich auf den wackeligen Stuhl sinken. Er rieb sich das Gesicht, versuchte, trotz seiner Müdigkeit nachzudenken. Er war der Sucher, ernannt von einem Zauberer — eine Stellung von Macht und Verantwortung. Der Sucher war sich selbst Gesetz. Er hatte vorgehabt, diesen Besuch als Sucher zu unternehmen. Er konnte es noch immer als Sucher tun. Er wußte, was es hieß, der Sucher zu sein.
Trotzdem, wenn die D’Haraner in Aydindril ihm ergeben wären…
Bei aller Müdigkeit, ein Gedanke war klar: Er mußte für Kahlans Sicherheit sorgen. Er mußte seinen Kopf gebrauchen, nicht nur sein Herz. Er konnte ihr nicht einfach hinterherrennen, ohne zu bedenken, was sonst noch vor sich ging. Er mußte es tun. Er mußte die D’Haraner für sich gewinnen.
Richard sprang auf. »Habt Ihr Eure rote Lederkleidung mitgebracht?« Mord-Siths trugen rote Lederkleidung, wenn sie entschlossen waren, jemandem Disziplin beizubringen — auf Rot war Blut nicht zu erkennen. Wenn eine Mord-Sith ihr rotes Leder trug, brachte sie damit zum Ausdruck, daß sie eine Menge Blut erwartete — und jeder wußte, es würde nicht das ihre sein.
Hally lächelte verschmitzt, als sie die Arme vor der Brust verschränkte. »Ohne ihre rote Lederkleidung geht eine Mord-Sith nirgendwohin.«
Cara klimperte erwartungsvoll mit ihren Lidern. »Ihr habt einen Plan, Lord Rahl?«
»Ja.« Richard lächelte sie gefaßt an. »Sie brauchen eine Demonstration von Macht und Stärke? Sie wollen einen Beweis von furchteinflößender Magie? Sie sollen Magie bekommen. Wir werden sie damit überschütten.« Er hob warnend den Zeigefinger. »Aber Ihr müßt genau tun, was ich sage. Ich will nicht, daß jemand zu Schaden kommt. Ich habe Euch nicht befreit, um mitansehen zu müssen, wie Ihr jetzt getötet werdet.«
Hally fixierte ihn mit einem eisernen Blick. »Mord-Sith sterben nicht alt und zahnlos im Bett.«
Richard sah in diesen Augen einen Schatten jenes Irrsinns, der diese Frauen zu erbarmungslosen Waffen machte. Er hatte selbst einiges davon durchgestanden, was man ihnen angetan hatte, er wußte, was es hieß, mit diesem Wahn zu leben. Er sah ihr in die Augen und versuchte mit sanfter Stimme, das Eisen zu erweichen. »Wenn Ihr getötet werdet, Hally, wer soll mich dann beschützen?«
»Wenn wir unser Leben opfern müssen, werden wir das tun — denn sonst wird es keinen Lord Rahl geben, den man beschützen muß.« Ein unerwartetes Lächeln milderte Hallys Blick. »Wir wollen, daß Lord Rahl im Bett stirbt — alt und zahnlos. Was müssen wir tun?«
Zweifel machten sich in ihm breit. War sein Ehrgeiz von demselben Wahn verzerrt? Nein. Er hatte keine Wahl. Dies würde Leben retten, nicht kosten.
»Ihr vier legt Euer rotes Leder an. Wir warten draußen, während Ihr Euch umzieht. Ich erkläre Euch alles, sobald Ihr fertig seid.«
Hally packte ihn am Hemd, als er sich zum Gehen wenden wollte. »Jetzt, da wir Euch gefunden haben, werden wir Euch nicht mehr aus den Augen lassen. Ihr werdet hierbleiben, während wir uns umziehen. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch umdrehen.«
Seufzend kehrte Richard ihnen den Rücken zu und verschränkte die Arme. Die beiden Soldaten standen da und sahen zu. Richard runzelte die Stirn und gab ihnen mit einer Bewegung zu verstehen, daß sie sich ebenfalls umdrehen sollten. Gratch legte den Kopf zur Seite und zog ein verwundertes Gesicht. Achselzuckend tat er es Richard nach und drehte sich um.
»Wir sind froh, daß Ihr Euch entschieden habt, diese Männer in die Pflicht zu nehmen, Lord Rahl«, sagte Cara. Er hörte, wie sie etwas aus ihren Bündeln hervorzogen. »Ihr werdet viel sicherer sein, wenn Euch eine ganze Armee beschützt. Sobald Ihr sie in die Pflicht genommen habt, werden wir alle zusammen sofort nach D’Hara aufbrechen. Dort seid Ihr in Sicherheit.«
»Wir gehen nicht nach D’Hara«, sagte Richard über die Schulter. »Es gibt eine wichtige Angelegenheit, um die ich mich kümmern muß. Ich habe andere Pläne.«
»Pläne, Lord Rahl?« Fast konnte er Rainas Atem in seinem Nacken spüren, als sie sich aus ihrem braunen Lederanzug schälte. »Was für Pläne?«
»Was glaubt Ihr, welche Pläne der Herrscher Rahl hat? Ich habe vor, die Welt zu erobern.«
9
Es war nicht nötig, sich mit Gewalt einen Weg zu bahnen, vor ihnen wich die Menschenmenge auseinander wie eine Herde Schafe vor Wölfen. Mütter nahmen im Laufen ihre Kinder auf den Arm, Männer stürzten, auf allen vieren kriechend, mit dem Gesicht in den Schnee, um fortzukommen, Händler ließen ihre Waren im Stich, während sie wie wahnsinnig geworden um ihr Leben rannten, und zu beiden Seiten fielen Ladentüren krachend zu.
Die Panik, überlegte Richard, war ein gutes Zeichen. Wenigstens wurden sie nicht übersehen. Es war natürlich auch schwer, einen sieben Fuß großen Gar zu übersehen, der am hellichten Tag mitten durch die Stadt spazierte. Gratch hatte vermutlich einen Mordsspaß. Die übrigen teilten seine naive Sicht der bevorstehenden Aufgabe offenbar nicht und hatten eine grimmig-entschlossene Miene aufgesetzt, während sie in der Straßenmitte einhermarschierten.