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Gratch ging hinter Richard, Ulic und Egan vor ihm, Cara und Berdine zu seiner Linken, und Hally und Raina zu seiner Rechten. Die Ordnung war nicht zufällig. Ulic und Egan hatten darauf bestanden, ihn in die Mitte zu nehmen, da sie die Leibwächter Lord Rahls wären. Die Frauen hatten nicht viel von dieser Idee gehalten und angeführt, sie seien die letzte Verteidigungslinie. Gratch war es egal gewesen, wo er ging, solange er nahe bei Richard sein konnte.

Richard hatte laut werden müssen, um dem Streit ein Ende zu machen. Er hatte ihnen erklärt, daß Ulic und Egan vorne gehen würden, um notfalls den Weg freizuräumen, die Mord-Siths die beiden Flanken sichern sollten und Gratch hinter ihm gehen würde, da der Gar über sie alle hinwegblicken konnte. Offenbar waren alle damit zufrieden gewesen, da sie glaubten, genau die Plätze bekommen zu haben, die sich als bester Schutz für Lord Rahl erweisen würden.

Ulic und Egan hatten ihre Capes über die Schultern nach hinten geworfen. Dadurch waren die Reifen mit den geschärften Spitzen, die sie oberhalb der Ellenbogen trugen, sichtbar, ihre Schwerter jedoch beließen sie in der Scheide an ihrem Gürtel. Die vier Frauen, vom Hals bis zu den Zehen in enggeschnittenes, blutrotes Leder gekleidet, auf dessen Brust der Stern mit Halbmond der Mord-Siths zu sehen war, hielten ihre Strafer in Fäusten, die in Handschuhen aus blutrotem Leder steckten.

Richard kannte die Schmerzen nur zu gut, die es bereitete, einen Strafer zu halten. Genau wie jener Strafer, mit dem Denna ihn ausgebildet und den sie ihm geschenkt hatte, schmerzte, wann immer er ihn in die Hand nahm, so litten auch diese Frauen unter der Magie ihrer eigenen Strafer. Dieser Schmerz, das wußte Richard, kam einer Folter gleich. Mord-Siths jedoch waren darin ausgebildet, Qualen auszuhalten und rühmten sich hartnäckig ihrer Fähigkeit, diese zu ertragen.

Richard hatte versucht, sie zu überzeugen, ihre Strafer aufzugeben, doch das wollten sie nicht. Wahrscheinlich hätte er es ihnen befehlen können, doch damit hätte er ihnen die Freiheit wieder genommen, die er ihnen gerade erst gewährt hatte, und das lag nicht in seiner Absicht. Sollten sie tatsächlich ihren Strafer aufgeben, dann mußten sie dies selbst entscheiden. Irgendwie glaubte er nicht recht daran. Nachdem er das Schwert der Wahrheit so lange getragen hatte, konnte er durchaus verstehen, daß Wünsche manchmal mit Prinzipien unvereinbar waren. Er haßte das Schwert, wäre es am liebsten losgewesen, doch jedesmal hatte er wieder darum gekämpft, es zu behalten.

Gut fünfzig oder sechzig Soldaten liefen auf dem Platz draußen vor dem rechteckigen, zweistöckigen Gebäude umher, welches das d’Haranische Kommando besetzt hatte. Nur sechs davon, oben auf dem Absatz vor dem Eingang, schienen wirklich Wache zu halten. Ohne das Tempo zu verringern, bahnten sich Richard und sein kleines Gefolge einen schnurgeraden Weg mitten durch die Traube der Soldaten auf die Treppe zu. Die Soldaten taumelten zurück und machten Platz. Der Schock bei diesem seltsamen Anblick stand ihnen ins Gesicht geschrieben.

Sie gerieten nicht in Panik, so wie die Menschen auf dem Markt, doch wichen die meisten aus dem Weg. Die zornigen Blicke der vier Frauen scheuchten die anderen ebenso wirkungsvoll zurück wie blankgezogener Stahl. Einige der Männer griffen nach den Heften ihrer Schwerter und zogen sich ein paar Schritte weit zurück.

»Macht Platz für Lord Rahl!« rief Ulic. Ohne Ordnung stolperten die Soldaten zur Seite. Verwirrt, aber nicht bereit, ein Risiko einzugehen, verneigten sich einige.

Richard, in sein Mriswithcape gehüllt, betrachtete das Ganze ein wenig entrückt, weil er sich konzentrierte.

Bevor jemand die Geistesgegenwart aufbrachte, sie anzuhalten oder zu befragen, hatten sie die Gruppe der Soldaten hinter sich gelassen und stiegen das Dutzend Stufen zu der einfachen, eisenbeschlagenen Tür hinauf. Einer der Posten oben, ein Mann ungefähr von Richards Größe, war wohl nicht recht sicher, ob er sie einlassen sollte. Er stellte sich vor die Tür.

»Ihr werdet warten, bis —«

»Mach Platz für Lord Rahl, du Narr!« knurrte Egan, ohne seine Schritte zu verlangsamen.

Der Blick des Postens blieb an den Armreifen hängen. »Was …?«

Immer noch ohne langsamer zu werden, schlug Egan dem Mann mit dem Handrücken ins Gesicht und stieß ihn so zur Seite. Der Posten stürzte vom Treppenabsatz. Zwei der anderen sprangen hinterher, um Platz zu machen, und die anderen drei öffneten die Tür und gingen rückwärts hindurch.

Richard zuckte innerlich zusammen. Er hatte ihnen allen, selbst Gratch, klargemacht, daß niemand zu Schaden kommen sollte, es sei denn, es wäre unumgänglich. Die Vorstellung, was die einzelnen jeweils für unumgänglich hielten, bereitete ihm Sorgen.

Drinnen stürzten ihnen Soldaten, die den Aufruhr draußen gehört hatten, aus Fluren entgegen, die von wenigen Lampen spärlich erleuchtet wurden. Als sie Ulic und Egan und die goldenen Reifen über ihren Ellenbogen sahen, zogen sie zwar nicht die Waffen, erweckten aber auch nicht den Anschein, als wären sie weit davon entfernt. Ein bedrohliches Knurren von Gratch hielt sie zurück. Der Anblick der Mord-Siths in ihrem roten Leder ließ sie stehenbleiben.

»General Reibisch!« war alles, was Ulic sagte.

Ein paar der Soldaten traten ein Stück vor.

»Lord Rahl wünscht General Reibisch zu sprechen«, sagte Egan mit ruhiger Autorität. »Wo ist er?«

Die Männer starrten ihn argwöhnisch an, sagten aber nichts. Ein stämmiger Offizier zur Rechten, die Hände in die Hüften gestemmt und einen wütenden Ausdruck in seinem pockennarbigen Gesicht, bahnte sich einen Weg durch seine Männer.

»Was ist hier los?«

Er machte einen Schritt nach vorn, einen zuviel, und drohte ihnen mit dem Finger. Im Nu hatte Raina ihren Strafer auf seiner Schulter und warf ihn damit auf die Knie. Sie drehte den Strafer nach oben und drückte die Spitze in das Nervenende an der Seite seines Halses. Sein Schrei gellte durch die Flure. Die übrigen Männer zuckten vor Schreck zurück.

»Ihr habt die Fragen zu beantworten«, sagte Raina in dem unmißverständlichen, glühenden Tonfall einer Mord-Sith, die alles uneingeschränkt unter Kontrolle hat, »und nicht zu stellen.« Der Mann zuckte am ganzen Körper, während er schrie. Raina beugte sich zu ihm hinunter, ihr rotes Leder knarzte. »Ich gebe Euch noch eine einzige Chance. Wo ist General Reibisch?«

Sein Arm zuckte hoch, unkontrolliert zitternd, trotzdem gelang es ihm, in die ungefähre Richtung des mittleren der drei Flure zu zeigen. »Tür … Ende … des Ganges.«

Raina zog ihren Strafer zurück. »Danke.« Der Mann brach zusammen wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Richard war so konzentriert, daß er es sich nicht leisten konnte, aus Mitgefühl zu zucken. So groß die Schmerzen auch waren, die ein Strafer bereiten konnte, Raina hatte ihn nicht benutzt, um damit zu töten. Der Mann würde sich wieder erholen. Die anderen Soldaten jedoch verfolgten mit aufgerissenen Augen, wie er sich in unendlichen Höllenqualen wand. »Verbeugt euch vor dem Herrscher Rahl«, zischte sie. »Ihr alle.«

»Herrscher Rahl?« erkundigte sich eine von Panik erfüllte Stimme.

Hally zeigte auf Richard. »Der Herrscher Rahl.«

Die Soldaten rissen verwirrt die Augen auf. Raina schnippte mit den Fingern und zeigte auf den Boden. Sie fielen auf die Knie. Bevor sie dazu kamen, nachzudenken, waren Richard und seine Begleitung bereits unterwegs, den Gang hinunter. Die Schritte ihrer Stiefel auf dem breitbohligen Holzboden hallten von den Wänden wider. Ein paar der Männer zogen ihre Schwerter blank und folgten ihnen.

Am Ende des Ganges stieß Ulic die Tür zu einem großen Raum mit hoher Decke auf, den man allen Schmuckes beraubt hatte. Da und dort schimmerten noch Spuren der ehemals blauen Farbe durch den neuen weißen Putz hindurch. Gratch, der die Nachhut bildete, mußte sich bücken, damit er durch die Tür paßte. Richard ignorierte das mulmige Gefühl, daß sie gerade in eine Schlangengrube eintraten.