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»Sind alle anderen wohlauf?« Richards Stimme war vom Schreien heiser. »Ist sonst jemand verletzt?«

Stille erfüllte den Raum. Ein paar der Männer behandelten Wunden, die schmerzhaft, aber nicht lebensbedrohlich aussahen. Ulic und Egan, beide keuchend, beide die Schwerter noch immer in der Scheide, beide mit blutverschmierten Knöcheln, standen mitten zwischen den knienden Soldaten. Sie waren im Palast des Volkes gewesen, ihre Augen hatten bereits gesehen.

Gratch faltete seine Flügel ein und feixte. Wenigstens einer, dachte Richard, der sich ihm aus Freundschaft verbunden fühlte. Vier tote Mriswiths lagen hingestreckt auf dem Fußboden. Gratch hatte einen getötet und Richard drei — glücklicherweise, bevor sie jemand anderes hatten töten können. Es hätte leicht viel schlimmer kommen können. Cara strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während Berdine sich einen Glassplitter vom Kopf bürstete und Raina den Arm eines Soldaten losließ, so daß dieser nach vorne sackte und nach Luft schnappte.

Richards Blick wanderte am abgetrennten Oberkörper eines der auf dem Boden liegenden Mriswiths vorbei. Hally, deren rotes Leder einen scharfen Kontrast zu ihren blonden Haaren bildete, stand da, gebückt, die Hände auf den Bauch gepreßt. Ihr Strafer baumelte an seiner Kette von ihrem Handgelenk. Ihr Gesicht war leichenblaß.

Als Richard nach unten sah, überkam ihn ein Gefühl eiskalter Angst wie ein Kribbeln. Ihre rotes Leder hatte verborgen, was er jetzt entdeckte — sie stand in einer Lache aus Blut. Aus ihrem eigenen Blut.

Er sprang über den Mriswith hinweg und fing sie in den Armen auf.

»Hally!« Richard legte sie auf den Boden. »Bei den Seelen, was ist passiert?« Die Worte waren noch nicht aus seinem Mund, da wußte er es schon — dies war die Art, wie Mriswiths töteten. Die anderen drei Frauen eilten herbei und knieten hinter ihm, während er ihren Kopf in seinem Schoß bettete. Gratch hockte sich neben ihn.

Ihre blauen Augen trafen seine. »Lord Rahl…«

»Oh, Hally, es tut mir so leid. Ich hätte niemals zulassen dürfen, daß Ihr —«

»Nein … hört zu. Ich war so töricht, mich ablenken zu lassen … und er war schnell … trotzdem … als er mich aufschlitzte … da habe ich seine Magie eingefangen. Für einen Augenblick … bevor Ihr ihn getötet habt … gehörte sie mir.«

Wenn gegen eine Mord-Sith Magie eingesetzt wurde, konnten sie darüber die Kontrolle übernehmen und ihren Gegner hilflos machen. So hatte Denna ihn damals eingefangen.

»Oh, Hally, es tut mir so leid, daß ich nicht schnell genug war.«

»Es war die Gabe.«

»Was?«

»Seine Magie war genau wie Eure … wie die Gabe.«

Er strich ihr mit der Hand über die kalte Stirn, was ihn zwang, ihr weiter in die Augen zu sehen und nicht den Blick zu senken. »Die Gabe? Danke für die Warnung, Hally Ich stehe in Eurer Schuld.«

Sie griff mit ihrer blutigen Hand nach seinem Hemd. »Ich danke Euch, Lord Rahl … für meine Freiheit.« Sie mühte sich, holte stockend Atem. »So kurz sie auch war … sie war ihn wert … den Preis.« Sie sah zu ihren Schwestern des Strafers hinüber. »Beschützt ihn…«

Mit einem gräßlichen Pfeifen entwich die Luft aus ihren Lungen, zum letzten Mal. Ihre blinden Augen starrten zu Richard hoch.

Der zog ihren schlaffen Körper weinend an sich, eine verzweifelte Reaktion auf seine Unfähigkeit, das Geschehene zu ändern. Gratch legte ihr zärtlich eine Klaue auf den Rücken, und Cara eine Hand auf seine.

»Ich wollte nicht, daß eine von Euch stirbt. Bei den Seelen, das habe ich nicht gewollt.«

Raina drückte seine Schulter. »Das wissen wir, Lord Rahl. Das ist der Grund, weshalb wir Euch beschützen müssen.«

Richard beugte sich über Hally und legte sie behutsam auf dem Boden ab. Er wollte nicht, daß die anderen die entsetzliche Wunde sahen, die sie erlitten hatte. Sein suchender Blick entdeckte ganz in der Nähe ein Mriswithcape. Doch wandte er sich an einen Soldaten in der Nähe.

»Gib mir deinen Umhang.«

Der Mann riß sich den Umhang runter, als stünde er in Flammen. Richard schloß Hally die Augen, dann deckte er sie mit dem Umhang zu, während er gegen den Drang ankämpfte, sich zu übergeben.

»Wir werden ihr ein angemessenes d’Haranisches Begräbnis bereiten, Lord Rahl.« General Reibisch, der neben ihm stand, deutete auf den Tisch. »Zusammen mit Edwards.«

Richard schloß die Augen und sprach ein Gebet an die Guten Seelen, damit sie über Hallys Seele wachten. Dann erhob er sich.

»Nach der Andacht.«

Der General kniff ein Auge zu. »Lord Rahl?«

»Sie hat für mich gekämpft. Sie ist bei dem Versuch gestorben, mich zu beschützen. Bevor sie zur Ruhe gebettet wird, soll ihre Seele sehen, daß das nicht umsonst war. Hally und Euer Mann werden heute nachmittag nach der Andacht zur Ruhe gebettet.«

Cara beugte sich zu ihm und raunte, »Lord Rahl, vollständige Andachten werden in D’Hara abgehalten, aber doch nicht an der Front. An der Front ist nur eine Meditation üblich.«

General Reibisch nickte kleinlaut. Richard ließ den Blick durch den Raum schweifen. Sämtliche Augen waren auf ihn gerichtet. Die Wand hinter den Gesichtern war mit Mriswithblut bespritzt. Richard blickte den General fest entschlossen an.

»Was Ihr in der Vergangenheit getan habt, interessiert mich nicht. Heute wird es eine vollständige Andacht geben, hier in Aydindril. Morgen könnt Ihr von mir aus wieder tun, was Ihr gewohnt seid. Heute werden alle D’Haraner in und um die Stadt eine vollständige Andacht abhalten.«

Der General strich sich nervös durch den Bart. »Lord Rahl, in diesem Gebiet gibt es eine große Anzahl von Soldaten. Sie alle müssen benachrichtigt werden und —«

»Ausflüchte interessieren mich nicht, General Reibisch. Wir haben einen schweren Weg vor uns. Wenn Ihr dieser Aufgabe nicht gewachsen seid, dann erwartet bitte nicht, daß ich darauf vertraue, daß Ihr andere bewältigen könnt.«

General Reibisch warf rasch einen Blick über die Schulter zu den Offizieren, so als wollte er sagen, er sei im Begriff, sein Wort zu geben und sie ebenfalls darauf festzulegen. Er wandte sich wieder zu Richard und schlug sich mit der Faust aufs Herz. »Bei meinem Wort als Soldat im Dienste D’Haras, dem Stahl gegen den Stahl, es wird geschehen, wie Lord Rahl befiehlt. Heute nachmittag werden alle D’Haraner die Ehre haben, eine vollständige Andacht für den neuen Herrscher Rahl abzuhalten.«

Der General sah kurz zu dem Mriswith unter der Ecke des Tisches. »Ich habe noch nie gehört, daß ein Herrscher Rahl Stahl gegen Stahl an der Seite seiner Männer kämpft. Es war, als hätten die Seelen selbst Eure Hand geführt.« Er räusperte sich. »Wenn Ihr gestattet, Lord Rahl, darf ich Euch fragen, welcher schwere Weg vor uns liegt?«

Richard betrachtete das narbenübersäte Gesicht des Mannes. »Ich bin ein Kriegszauberer. Ich kämpfe mit allem, was ich habe — mit Magie und mit Stahl.«

»Und meine Frage, Lord Rahl?«

»Ich habe Eure Frage soeben beantwortet, General Reibisch.«

Ein gezwungenes Lächeln verzog die Mundwinkel des Generals.

Ohne daß Richard es wollte, fiel sein Blick auf Hally. Der Umhang konnte die Wunde nicht vollständig verdecken. Kahlan hätte gegen einen Mriswith noch viel weniger eine Chance. Er glaubte abermals, sich übergeben zu müssen.

»Ihr sollt wissen, daß sie so gestorben ist, wie sie es wollte, Lord Rahl«, sprach ihm Cara leise ihr Beileid aus. »Als Mord-Sith.«

Er versuchte sich das Lächeln vorzustellen, das er nur wenige Stunden gekannt hatte. Es gelang ihm nicht. In seinen Gedanken erschien immer wieder nur die entsetzliche Wunde, die er gerade ein paar Sekunden lang betrachtet hatte.

Richard ballte seine Fäuste, um die Übelkeit zu vertreiben, und sah die drei verbliebenen Mord-Sith zornig funkelnd an. »Bei den Seelen, ich will dafür sorgen, daß ihr alle im Bett sterbt, zahnlos und alt. Macht Euch mit dem Gedanken vertraut!«