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»Was willst du damit sagen?« Brogan funkelte die Alte wütend an. »Was will sie damit sagen?«

»Genau das, was sie sagt, Mylord. In Aydindril gab es immer schon viel Magie, in letzter Zeit jedoch sprüht es hier geradezu davon. Wo Magie im Spiel ist, kann man nicht immer nur den Augen trauen. Dieses Mädchen ist zwar jung, dennoch klug genug, um das zu wissen. Ein Mann Eures Standes weiß das sicher auch.«

»Es sprüht von Magie? Das bedeutet Unheil. Was wißt Ihr über die Günstlinge des Hüters?«

»Schrecklich sind sie, Mylord. Doch Magie an sich ist selbst nichts Unheilvolles, sie existiert, ganz ohne Falsch.«

Brogan ballte die Fäuste. »Magie ist der Einfluß des Hüters.«

Sie lachte erneut keckernd. »Das ist, als wollte man sagen, das glänzende Silbermesser an Eurem Gürtel sei der Einfluß des Hüters. Benutzt man es, um einen Harmlosen oder Unschuldigen zu bedrohen, dann ist der Besitzer des Messers böse. Benutzt man es jedoch zum Beispiel, um sein Leben gegen einen fanatischen Wahnsinnigen zu verteidigen, egal wie hoch sein Rang, dann ist der Besitzer des Messers gut. Das Messer ist keins von beiden, weil beide es benutzen können.«

Ihr Blick schien zu brechen, und ihre Stimme senkte sich zu einem Zischen. »Benutzt man sie jedoch zur Vergeltung, dann ist Magie die Verkörperung der Rache.«

»Nun denn, wird die Magie, die in der Stadt umgeht, nun Eurer Ansicht nach für gute oder für böse Zwecke eingesetzt?«

»Für beides, Mylord. Schließlich steht hier die Burg der Zauberer, und die Stadt ist somit ein Sitz der Macht. Über Tausende von Jahren haben hier Konfessoren und auch Zauberer geherrscht. Macht zieht Macht nach sich. Konflikte brechen aus. Auf einmal erscheinen schuppige Wesen, genannt Mriswiths, mitten aus der Luft und reißen jedem Unschuldigen die Gedärme aus dem Leib, der ihnen im Weg ist. Das unheilvollste Omen, das es jemals gab. Andere Magie schlummert im Verborgenen, um sich derer zu bemächtigen, die vorschnell oder unvorsichtig sind. Die Nacht selbst wimmelt nur so von Magie, getragen von den hauchzarten Schwingen der Träume.«

Sie linste ihn aus einem trüben blauen Auge an und fuhr fort. »Ein Kind, das vom Feuer fasziniert ist, kann leicht darin verbrennen. Ein solches Kind wäre gut beraten, sehr vorsichtig zu sein und bei der ersten Gelegenheit fortzulaufen, bevor es, ohne es zu wollen, die Hand in die Flamme hält. Es werden sogar Menschen auf den Straßen aufgegriffen, um ihre Worte durch ein Sieb aus Magie zu filtern.«

Brogan beugte sich mit einem gluterfüllten Blick vor. »Und was wißt Ihr über Magie, meine Dame?«

»Eine zwiespältige Frage, Mylord. Könntet Ihr Euch etwas deutlicher ausdrücken?«

Tobias hielt einen Augenblick inne, um das Wesentliche aus ihrem weitschweifigen Gerede herauszupicken. Er hatte schon oft mit Leuten wie ihr zu tun gehabt und spürte, daß sie versuchte, ihn mit List vom Thema und von seiner Fährte abzubringen.

Wieder setzte er sein höfliches Lächeln auf. »Nun, zum Beispiel sagt Eure Enkelin, sie habe gesehen, wie die Mutter Konfessor enthauptet wurde, das heiße aber nicht, sie sei tot. Ihr sagt, Magie könne so etwas bewirken. Eine solche Behauptung macht mich neugierig. Natürlich weiß ich, wie Magie die Menschen gelegentlich zum Narren halten kann, doch bislang habe ich nur gehört, daß sie kleine Täuschungen bewirkt. Könnt Ihr erklären, wie man den Tod rückgängig machen kann?«

»Den Tod rückgängig machen? Der Hüter allein hat dazu die Macht.«

Brogan preßte seinen Leib nach vorne gegen den Tisch. »Wollt Ihr behaupten, der Hüter selbst hätte sie wieder zum Leben erweckt?«

Sie lachte keckernd. »Nein, Mylord. Ihr verfolgt das, worauf Ihr aus seid, mit solcher Hartnäckigkeit, daß Ihr nur das hört, was Ihr hören wollt. Ihr habt gefragt, wie man den Tod rückgängig machen kann. Der Hüter kann den Tod rückgängig machen. Zumindest nehme ich das an, denn er ist der Herrscher der Toten, er hat Macht über das Leben und den Tod, daher ist es nur natürlich, wenn man annimmt, daß —«

»Lebt sie oder lebt sie nicht!«

Die Alte blickte ihn erstaunt an. »Woher soll ich das wissen, Mylord?«

Brogan knirschte mit den Zähnen. »Ihr habt selbst gesagt, nur weil Leute gesehen haben, wie sie enthauptet wurde, heißt das nicht, daß sie tot ist.«

»Oh, sind wir jetzt wieder da angelangt, ja? Nun, mit Magie könnte man so etwas vollbringen, aber deshalb muß es ja nicht auch so gewesen sein. Ich sagte lediglich, daß Magie das kann. Dann habt Ihr die Witterung verloren und Euch danach erkundigt, ob man den Tod rückgängig machen kann. Das ist ganz etwas anderes, Mylord.«

»Wie, Weibstück! Wie kann Magie eine solche Täuschung bewirken!«

Sie zog die zerlumpte Decke hoch und wickelte sie sich gemütlich um die Schultern.

»Durch einen Todeszauber, Mylord.«

Brogan sah zu Lunetta hinüber. Ihre kleinen runden Augen waren starr auf die alte Frau gerichtet, dabei kratzte sie sich die Arme.

»Ein Todeszauber. Und was genau ist ein Todeszauber?«

»Nun, ich habe genaugenommen nie gesehen, wie einer ausgeübt wurde«, — sie lachte stillvergnügt, als hätte sie einen Scherz gemacht — »daher kann ich Euch nicht recht davon berichten, aber ich kann Euch sagen, was man mir erzählt hat, wenn Euch Kenntnisse aus zweiter Hand genügen.«

Brogan preßte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Fangt endlich an.«

»Jemandes Tod zu sehen, ihn zu begreifen, ist etwas, daß wir alle auf einer spirituellen Ebene verstehen. Der Anblick eines Körpers, der von einer Seele, seinem Geist, getrennt wird, das ist es, was wir als Tod begreifen. Ein Todeszauber kann einen echten Tod vortäuschen, indem er die Menschen glauben macht, sie hätten einen Toten, einen Körper ohne seine Seele gesehen, so daß sie das Ereignis instinktiv als wahr hinnehmen.«

Sie schüttelte den Kopf, so als fände sie dies gleichermaßen erstaunlich als auch empörend. »Das ist sehr gefährlich. Man muß dazu die Hilfe der Seelen erflehen, damit sie die Seele der betreffenden Person festhalten, während das Netz ausgeworfen wird. Geht irgend etwas schief, wird die Seele des Opfers hilflos in die Unterwelt verbannt — eine sehr unangenehme Weise zu sterben. Geht alles gut und geben die Seelen wieder her, was sie behütet haben, so wird es, wie man mir erzählt hat, gelingen, und der Betreffende lebt weiter. Wer Zeuge war, wird jedoch denken, er sei tot. Das ist allerdings sehr riskant. Ich habe zwar davon gehört, aber nie gesehen, daß es tatsächlich versucht wurde. Möglicherweise handelt es sich also nur um Gerede.«

Brogan saß still da und sortierte in Gedanken alles, was er heute erfahren hatte, kombinierte es mit jenem, was er vorher schon gewußt hatte. Wie mochte das alles zusammenpassen? Bestimmt hatte sie einen Trick benutzt, um der Gerechtigkeit zu entgehen, allerdings einen, den sie nicht ohne Mittäter hätte durchführen können.

Die Alte legte dem Mädchen die Hand auf die Schulter und wollte sich schlurfend entfernen. »Vielen Dank, daß wir uns bei Euch aufwärmen durften, Mylord, aber langsam werde ich Eurer wirren Fragen müde, außerdem habe ich Besseres zu tun.«

»Wer könnte einen solchen Todeszauber durchführen?«

Die alte Frau blieb stehen. Ihre verwaschenen blauen Augen begannen gefährlich zu leuchten. »Nur ein Zauberer, Mylord. Nur ein Zauberer mit ungeheurer Macht und großem Wissen.«

Brogans Blick hatte jetzt etwas Bedrohliches. »Und — gibt es hier in Aydindril Zauberer?«

Ihr bedächtiges Lächeln ließ ihre trüben Augen funkeln. Sie griff in eine Tasche unter ihrer Decke und warf eine Münze auf den Tisch, wo sie sich träge drehte, bis sie schließlich vor ihm liegenblieb. Brogan nahm die Silbermünze in die Hand und betrachtete argwöhnisch die Prägung.

»Ich habe etwas gefragt, alte Frau. Ich erwarte eine Antwort.«

»Ihr haltet sie in der Hand, Mylord.«

»So eine Münze habe ich noch nie gesehen. Was ist das hier für eine Abbildung? Sieht aus wie irgendein großes Gebäude.«

»Oh, das ist es auch, Mylord«, zischelte sie. »Es ist die Brutstätte von Rettung und Verdammnis, von Zauberern und Magie: der Palast der Propheten.«