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»Ich bin überrascht, meine Dame, daß Ihr überhaupt etwas hört, soviel, wie Ihr redet.«

Ihr Gesicht wurde so rot wie ihre Lippen. Tobias blieb ihre vorhersehbare, empörte Entgegnung erspart, als auf der anderen Seite des Saals Bewegung in die Menge kam. Er war nicht groß genug, um über die Köpfe hinwegsehen zu können, also wartete er geduldig ab, denn Lord Rahl würde sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf das erhöhte Podium begeben. Für diesen Fall wählte er seinen Standort mit Bedacht. Nah genug, um den Mann einschätzen zu können, doch nicht so nah, um aufzufallen. Im Gegensatz zu den anderen Gästen war ihm bewußt, daß heute abend nicht zu einem gesellschaftlichen Anlaß eingeladen worden war. Vermutlich würde es stürmisch werden, und wenn es blitzte, war er nicht gern der höchste Baum. Tobias Brogan — im Gegensatz zu den Narren, die um ihn herumstanden — wußte, wann Vorsicht geboten war.

Auf der anderen Seite des Saales machten die Gäste eilig einer Staffel d’Haranischer Soldaten Platz, die wie ein Keil den Weg freiräumte. Es folgte eine dichte Formation aus Lanzenträgern, die paarweise ausscherten, um einen Korridor zu schaffen. Die Staffel nahm vor dem Podium Aufstellung, ein grimmig entschlossener Keil aus d’Haranischen Muskeln und Stahl. Die flinke Präzision war beeindruckend. Hochrangige d’Haranische Offiziere marschierten durch den Korridor und stellten sich neben das Podium. Tobias blickte über Lunettas Kopf hinweg in Galteros eiskalte Augen. Wahrlich, ein geselliger Abend würde das nicht werden.

Nervöses, erwartungsvolles Gemurmel wurde in der Menge laut, während man dessen harrte, was als nächstes geschehen würde. Dem Geraune nach zu urteilen, das Tobias mitbekam, war dergleichen im Palast der Konfessoren mehr als beispiellos. Tuschelnd machten sich rotgesichtige Würdenträger einander in ihrer Empörung Luft über den ihrer Ansicht nach nicht hinnehmbaren Einsatz bewaffneter Truppen im Ratssaal — einem Ort, der für diplomatische Verhandlungen gedacht war.

Brogan war Diplomatie gegenüber unempfänglich — Blut war eindrucksvoller und wirkte dauerhafter. Zunehmend schien ihm, als wüßte Lord Rahl dies ebenfalls, im Gegensatz zu dem Meer kriecherischer Gesichter, das sich im Saale drängte.

Tobias wußte, was dieser Lord Rahl wollte. Das war schließlich zu erwarten gewesen, denn immerhin hatten die D’Haraner den größten Teil der Last für die Imperiale Ordnung auf sich genommen. In den Bergen war er auf eine Streitmacht gestoßen, die größtenteils aus D’Haranern bestand, und die auf dem Weg nach Ebinissia war. Die D’Haraner hatten Aydindril eingenommen, dafür gesorgt, daß kein Chaos ausbrach und der Imperialen Ordnung dann die Herrschaft überlassen. Im Namen der Imperialen Ordnung hatten sie ihren Kopf im Kampf gegen die Rebellen hingehalten, andere dagegen, wie die Keltonier, wie Herzog Lumholtz, hatten ihre Machtpositionen behalten und die Befehle weitergegeben, um die D’Haraner in die Spitzen der feindlichen Klingen laufen zu lassen.

Lord Rahl hatte zweifellos die Absicht, innerhalb der Imperialen Ordnung einen hohen Rang für sich zu beanspruchen, und würde den versammelten Vertretern ihre Zustimmung abnötigen. Fast wünschte sich Tobias, man hätte Speisen angeboten. Dann hätte er beobachten können, wie all die intriganten Funktionäre sich daran verschluckten, während der neue Lord Rahl seine Forderungen stellte.

Die beiden D’Haraner, die als nächste eintraten, waren so riesig, daß Tobias ihr Näherkommen über die Köpfe der Menge hinweg verfolgen konnte. Als sie schließlich genau vor ihm standen und er ihre Lederrüstung, ihren Kettenpanzer und die gespitzten Dornenreifen über ihren Ellenbogen sah, raunte ihm Galtero über Lunettas Kopf hinweg zu: »Die beiden habe ich schon mal gesehen.«

»Wo?« raunte Tobias zurück.

Galtero betrachtete die Männer und schüttelte den Kopf. »Draußen auf der Straße irgendwo.«

Tobias drehte sich wieder um, und zu seiner Überraschung erblickte er drei Frauen in rotem Leder, die den beiden riesenhaften D’Haranern folgten. Nach den Berichten, die Tobias gehört hatte, konnte es sich bei ihnen nur um Mord-Siths handeln. Mord-Siths standen in dem Ruf, äußerst gefährlich für den zu sein, der Magie besaß und sich ihnen widersetzte. Tobias hatte sich einmal der Dienste einer dieser Frauen versichern wollen, doch man hatte ihm erzählt, daß sie nur dem Herrscher von D’Hara dienten und unnachsichtig gegen jeden vorgingen, der ihnen irgendwelche Angebote machte. Nach dem, was er gehört hatte, waren sie nicht käuflich, für welchen Preis auch immer.

Machten die Mord-Siths die Menge schon nervös, dann raubte ihr das, was danach kam, den Atem. Kinnladen fielen beim Anblick einer monströsen Bestie mit Krallen, Reißzähnen und Flügeln herunter. Selbst Tobias versteifte sich beim Anblick des Gar. Kurzschwänzige Gars galten als äußerst aggressive, blutrünstige Rohlinge, die alles Lebendige fraßen, was ihnen unterkam. Seit dem Fall der Grenze im vergangenen Frühjahr hatten Gars dem Lebensborn nicht wenig Ärger bereitet. Im Augenblick trabte diese Bestie ganz ruhig hinter den drei Frauen her. Tobias überprüfte, ob sein Schwert locker in der Scheide steckte, und bemerkte, daß Galtero dasselbe tat.

»Bitte, Lord General«, greinte Lunetta, »ich will jetzt fort.« Sie kratzte sich heftig an den Armen.

Brogan packte sie am Oberarm, riß sie an sich heran und redete zwischen zusammengepreßten Zähnen auf sie ein. »Du wirst dir diesen Lord Rahl jetzt aufmerksam ansehen, oder ich habe keine Verwendung mehr für dich. Hast du verstanden? Und hör mit dem Gekratze auf!«

Ihre Augen wurden wässrig, als er ihr den Arm verdrehte. »Ja, Lord General.«

»Paß genau auf, was er sagt.«

Sie nickte, während die beiden riesenhaften D’Haraner ihre Plätze am jeweiligen Ende des Podiums einnahmen. Die drei Frauen in rotem Leder stiegen zwischen ihnen hinauf und ließen einen Platz in der Mitte frei, vermutlich für den Lord Rahl, wenn er denn endlich kam. Der Gar stand hochaufragend hinter den Sesseln.

Die blondköpfige Mord-Sith in der Mitte des Podiums sah sich mit einem durchdringenden Blick, der sich Stille ausbat, im Saal um.

»Bewohner der Midlands«, sagte sie, hob einführend den Arm und deutete auf den leeren Sessel oberhalb des Tisches, »hiermit stelle ich Euch Lord Rahl vor.«

Ein Schatten nahm in der Luft Gestalt an. Plötzlich zeichnete sich ein schwarzer Umhang ab, und als dieser weit auseinandergerissen wurde, stand dort oben auf dem Podium ein Mann.

Jene, die ganz vorne standen, wichen erschrocken zurück. Vereinzelt schrien Leute entsetzt auf. Einige riefen den Schöpfer an, er solle sie beschützen, andere flehten, die Seelen möchten ihnen zur Hilfe kommen, wieder andere fielen auf die Knie. Viele verstummten vor Schreck, dennoch wurden einige der Zierschwerter zum ersten Mal aus Furcht blank gezogen. Als ein D’Haraner aus der ersten Reihe der Staffel sie mit leiser, eisiger Stimme ermahnte, die Waffen in die Scheide zurückzustecken, stießen sie die Klingen widerstrebend in ihre Hüllen zurück.

Lunetta kratzte sich heftig, als sie zu dem Mann hochblickte, doch diesmal hinderte Brogan sie nicht daran. Selbst er spürte, wie das Unheil der Magie ihm eine Gänsehaut bereitete.

Der Mann dort oben wartete geduldig, bis die Menge still geworden war, dann sprach er mit ruhiger Stimme.

»Ich bin Richard Rahl, von den D’Haranern Lord Rahl genannt. Andere Völker kennen mich unter anderen Titeln. Prophezeiungen aus ferner Vergangenheit, noch vor der Entstehung der Midlands, haben mir diesen Namen eingetragen.« Er stieg vom Tisch herunter und stellte sich zwischen die Mord-Siths. »Doch es ist die Zukunft, über die zu sprechen ich vor Euch trete.«