Brogan runzelte die Stirn. Er hatte Lord Rahl heute vieles sagen gehört, was ihm nicht gefiel, aber dies war das erste Mal, das er etwas nicht verstand. »Ich bin mir des Bösen, das ich verfolge, sehr gewiß, Lord Rahl. Seid nicht um meine Sicherheit besorgt.«
Brogan wollte sich schon abwenden, doch dann hielt er inne und sah über seine Schulter zurück. »Darf ich Euch zu Eurer Verlobung mit der galeanischen Königin gratulieren … ich glaube wirklich, ich werde langsam vergeßlich. Offenbar kann ich keine Namen mehr behalten. Verzeiht mir. Wie war gleich ihr Name?«
»Königin Kahlan Amnell.«
Brogan machte eine Verbeugung. »Natürlich. Kahlan Amnell. Ich werde es nicht wieder vergessen.«
14
Richard starrte auf die hohe Mahagonitür, nachdem sie sich geschlossen hatte. Es war erfrischend, einem Menschen zu begegnen, der von so arglosem Wesen war, daß er inmitten so vieler eleganter Menschen in den Palast der Konfessoren kam und dabei ein Gewand aus zerlumpten Flicken bunter Stoffe trug. Bestimmt hatten alle gedacht, sie sei verrückt. Richard blickte an seiner schlichten, schmutzigen Kleidung hinunter. Er fragte sich, ob sie ihn auch für verrückt gehalten hatten. Vielleicht war er es sogar.
»Lord Rahl«, fragte Cara, »woher wußtet Ihr, daß sie eine Magierin ist?«
»Sie war in ihr Han gehüllt. Konntet Ihr das nicht an ihren Augen ablesen?«
Ihr rotes Leder knarzte, als sie sich mit der Hüfte neben ihm an den Tisch lehnte. »Ob es sich bei einer Frau um eine Magierin handelt, wissen wir erst, wenn sie ihre Kraft gegen uns benutzt, vorher nicht. Was ist ein Han?«
Richard fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und gähnte. »Ihre innere Kraft — die Lebensenergie. Ihre Magie.«
Cara zuckte mit den Achseln. »Ihr besitzt Magie, deswegen könnt Ihr es erkennen. Wir können das nicht.«
Er strich mit dem Daumen über das Heft seines Schwertes, während er mit einem abwesenden Brummen antwortete.
Mit der Zeit hatte er, ohne es zu merken, eine Art Sinn für die Magie eines Menschen entwickelt — wenn jemand seine Magie tatsächlich benutzte, konnte er es ihm normalerweise an den Augen ansehen. Obwohl sie bei jedem Menschen einzigartig war, vielleicht gerade wegen der Eigentümlichkeit ihrer Magie, hatten sie etwas gemeinsam. Vielleicht lag es daran, daß er, wie Cara gemeint hatte, die Gabe besaß, oder vielleicht war es auch einfach die Erfahrung, weil er diesen charakteristischen, zeitlosen Blick in den Augen so vieler Menschen mit Magie gesehen hatte: bei Kahlan, Adie, der Knochenfrau, der Hexe Shota, Du Chaillu, der Seelenfrau der Baka Ban Mana, Darken Rahl, Schwester Verna, Prälatin Annalina und bei zahllosen anderen Schwestern des Lichts.
Die Schwestern des Lichts waren Magierinnen, und er hatte oft den einzigartigen Glanz entrückter Gespanntheit in ihren Augen entdeckt, wenn sie mit ihrem Han eins wurden. Manchmal, wenn sie in einen Schleier aus Magie gehüllt waren, meinte er fast, die Luft um sie herum würde knistern. Es gab Schwestern, die eine Aura von solcher Kraft auszustrahlen schienen, daß sich ihm die Nackenhaare sträubten, wenn sie vorübergingen.
Diesen selben Blick hatte Richard in Lunettas Augen bemerkt — sie war in ihr Han gehüllt gewesen. Was er nicht wußte, war warum — weshalb stand sie dort, tat nichts und berührte doch ihr Han. Magierinnen hüllten sich normalerweise nicht in ihr Han, es sei denn, sie verfolgten einen Zweck damit — genau wie er sein Schwert nicht ohne Grund zog und so seine Magie heraufbeschwor. Vielleicht erfreute es ganz einfach ihr kindliches Gemüt, eben wie diese bunten Flicken. Doch das mochte Richard nicht recht glauben.
Vielleicht hatte Lunetta versucht, in Erfahrung zu bringen, ob er die Wahrheit sprach. Er wußte nicht genug über Magie, um mit Sicherheit zu sagen, ob das möglich war. Dennoch schienen Magierinnen oft irgendwie zu wissen, wenn er nicht aufrichtig war, und gaben ihm bei jeder Lüge das Gefühl, daß es für sie auch nicht offensichtlicher hätte sein können, wenn sein Haar plötzlich in Flammen aufgegangen wäre. Er hatte nichts riskieren wollen und war darauf bedacht gewesen, sich vor Lunetta nicht bei einer Lüge ertappen zu lassen — vor allem nicht was Kahlans Tod anbetraf.
Brogan hatte sich zweifellos für die Mutter Konfessor interessiert. Richard hätte ihm gerne geglaubt — was er sagte, ergab durchaus Sinn. Möglicherweise war es einfach die Sorge um Kahlans Sicherheit, die ihn allem gegenüber mißtrauisch machte.
»Der Mann bedeutet Ärger und scheint sich hier niederlassen zu wollen«, sagte er gegen seinen Willen laut.
»Wollt Ihr, daß wir ihm die Flügel stutzen, Lord Rahl?« Berdine ließ ihren Strafer, der an einer Kette an ihrem Handgelenk hing, hochschnappen und fing ihn in ihrer Hand auf. Sie zog eine Braue hoch. »Oder vielleicht etwas anderes, ein wenig tiefer?« Die anderen beiden Mord-Siths lachten amüsiert in sich hinein.
»Nein«, meinte Richard müde. »Ich habe mein Wort gegeben. Ich habe alle Leute gebeten, etwas Beispielloses zu tun, etwas, das ihr Leben für immer verändern wird. Ich muß zu meinem Wort stehen und ihnen allen Gelegenheit geben, zu erkennen, daß dies richtig ist und zum Wohl der Allgemeinheit geschieht und die beste Chance auf Frieden darstellt.«
Gratch gähnte, daß man seine Reißzähne sehen konnte, und ließ sich auf dem Boden hinter Richards Sessel nieder. Richard hoffte, daß der Gar nicht so müde war wie er selbst. Ulic und Egan schienen dem Gespräch nicht zuzuhören. Sie standen entspannt da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, reglos und hochaufragend wie die Säulen rings um den Saal. Ihre Augen jedoch wirkten keinesfalls entspannt, sie behielten die Ecken und die Nischen stets im Blick und paßten auf, obwohl der riesige Saal, abgesehen von der Achtergruppe auf dem prunkvollen Podium, verlassen war.
Nachdenklich rieb General Reibisch mit seinem fleischigen Daumen über den knollig-goldenen Fuß einer Lampe am Rand des Podiums. »Lord Rahl, war es Euch ernst damit, als Ihr sagtet, die Männer sollen nicht behalten, was sie erobert haben?«
Richard sah in die besorgten Augen des Generals. »Ja. Das ist die Art unserer Feinde, nicht unsere. Wir kämpfen für die Freiheit, nicht um der Beute willen.«
Der General wich seinem Blick aus und pflichtete ihm nickend bei.
»Habt Ihr dazu etwas anzumerken, General?«
»Nein, Lord Rahl.«
Richard ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. »General Reibisch, ich war Waldführer, seit ich alt genug war, daß man mir vertrauen konnte. Nie zuvor mußte ich eine Armee befehligen. Ich gebe gern zu, daß ich über die Position, in der ich mich plötzlich wiederfinde, nicht allzuviel weiß. Ich könnte Eure Hilfe gebrauchen.«
»Meine Hilfe? Welche Art von Hilfe, Lord Rahl?«
»Eure Erfahrung könnte mir von Nutzen sein. Ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr Eure Meinung sagen würdet, anstatt damit hinterm Berg zu halten und immer nur ›Ja, Lord Rahl‹ zu sagen. Kann sein, daß ich nicht einer Meinung mit Euch bin, kann sein, daß ich wütend werde, aber ich werde Euch nicht dafür bestrafen, wenn Ihr mir Eure Gedanken mitteilt. Wenn Ihr Euch meinen Befehlen widersetzt, werde ich Euch ablösen lassen, aber es steht Euch frei, zu sagen, was Ihr davon haltet. Das ist eines der Dinge, für die wir kämpfen.«
Der General verschränkte die Hände hinter seinem Rücken. Seine Armmuskeln glänzten unter dem Kettenpanzer, und unter den Ringen aus Metall konnte Richard auch die weißen Narben seines Ranges erkennen. »Bei den d’Haranischen Soldaten ist es Brauch, die Besiegten auszuplündern. Die Männer erwarten das.«
»In der Vergangenheit haben Führer das vielleicht toleriert oder sogar ermutigt, aber ich werde das nicht tun.«
Ein Seufzer war Kommentar genug. »Wie Ihr wünscht, Lord Rahl.«
Richard rieb sich die Schläfen. Er hatte Kopfschmerzen, weil er zu wenig geschlafen hatte. »Begreift Ihr nicht? Hier geht es nicht darum, Länder zu erobern und anderen etwas wegzunehmen, hier geht es darum, die Unterdrückung zu bekämpfen.«