Der General stellte einen Stiefel auf die goldene Strebe eines Sessels und hakte einen Daumen hinter seinen breiten Gürtel. »Ich sehe da keinen großen Unterschied. Aus meiner Erfahrung ist der Herrscher Rahl immer überzeugt, es am besten zu wissen, und will stets die Welt beherrschen. Ihr seid Eures Vaters Sohn. Krieg ist Krieg. Gründe machen für uns keinen Unterschied. Wir kämpfen, weil man es von uns verlangt, genau wie die auf der anderen Seite. Gründe bedeuten einem Mann nicht viel, der das Schwert schwingt, um seinen Kopf zu retten.«
Richard schlug krachend mit der Faust auf den Tisch. Gratch riß plötzlich hellwach die leuchtend grünen Augen auf. Am Rand seines Gesichtsfeldes sah Richard rotes Leder, das sich näherte.
»Die Männer, die die Schlächter von Ebinissia verfolgten, hatten einen Grund! Dieser Grund, und nicht die Beute war es, der ihnen die Kraft gab, die sie brauchten, um sich durchzusetzen. Sie waren ein Verband von fünftausend galeanischen Rekruten ohne jede Kampferfahrung, und doch haben sie General Riggs und seine Armee von über fünfzigtausend Mann besiegt.«
General Reibisch runzelte die Stirn. »Rekruten? Ihr täuscht Euch ganz bestimmt, Lord Rahl. Ich kenne Riggs, er ist ein erfahrener Soldat. Das waren kampfgestählte Truppen. Ich habe Berichte über diese Schlacht erhalten. Sie ergehen sich in schauerlichen Einzelheiten dessen, was diesen Männern beim Versuch, sich aus den Bergen freizukämpfen, zugestoßen ist. Auf diese Weise konnten sie nur von einer überwältigenden Übermacht vernichtet werden.«
»Dann besaß Riggs vermutlich als Soldat nicht die Erfahrung, die nötig gewesen wäre. Ihr habt Berichte aus zweiter Hand, ich aber habe die Geschichte aus einer unanfechtbaren Quelle, von jemandem, der selbst dabei war. Fünftausend Mann, Knaben eigentlich, kamen zufällig nach Ebinissia, nachdem Riggs und seine Leute damit fertig waren, die Frauen und Kinder dort niederzumetzeln. Diese Rekruten verfolgten Riggs und schlugen seine Armee vernichtend. Als es vorüber war, standen nicht einmal mehr tausend dieser jungen Männer auf den Beinen, doch weder Riggs noch ein einziger Soldat seiner Streitmacht lebte noch.«
Richard verschwieg, daß diese Rekruten ohne Kahlan, die ihnen alles beigebracht hatte, was sie tun mußten, die sie in die ersten Schlachten geführt und ihnen in der Hölle des Gefechts den Weg gewiesen hatte, wahrscheinlich innerhalb eines Tages in den Dreck gestampft worden wären. Aber er wußte auch, daß es ihr Pflichtgefühl gewesen war, das ihnen den Mut gegeben hatte, ihr zuzuhören und sich gegen eine unglaubliche Übermacht zu stellen.
»Das ist die Kraft der Motivation, General. Das ist es, was Männer erreichen können, wenn sie starke Gründe haben und für eine gerechte Sache kämpfen.«
Ein säuerlicher Ausdruck zog das Gesicht des Generals zusammen. »Die D’Haraner haben den größten Teil ihres Lebens gekämpft und wissen, was sie tun. Im Krieg geht es ums Töten. Man tötet die anderen, bevor diese einen töten können, das ist alles. Wer gewinnt, hat recht gehabt.
Gründe sind die Ausbeute des Sieges. Ist der Feind vernichtet, dann schreiben die Führer die Gründe in Büchern nieder und halten bewegende Reden darüber. Hat man gute Arbeit geleistet, dann ist von den Feinden niemand mehr übrig, der diesen Gründen widersprechen könnte. Wenigstens nicht bis zum nächsten Krieg.«
Richard kämmte sich mit den Fingern die Haare zurück. Was tat er hier eigentlich? Was glaubte er, erreichen zu können, wenn schon seine Mitstreiter nicht an das glaubten, was er sich vorgenommen hatte?
Oben, von der verputzten Kuppeldecke, blickten die gemalten Figuren von Magda Searus — der ersten Mutter Konfessor, wie Kahlan ihm erzählt hatte — und ihres Zauberers Merritt auf ihn herab. Mißbilligend, wie es schien.
»General, was ich heute abend versucht habe, als ich zu den Leuten sprach, hat damit zu tun, daß ich dem Töten ein Ende machen wollte. Ich wollte der Freiheit und dem Frieden eine Chance geben, damit sie endlich Wurzeln schlagen können.
Ich weiß, es klingt paradox, aber begreift Ihr nicht? Wenn wir uns ehrenvoll verhalten, dann werden sich uns alle rechtschaffenen Länder anschließen, die Frieden und Freiheit wollen. Wenn sie sehen, daß wir kämpfen, um dem Kämpfen ein Ende zu machen, und nicht einfach nur um der Eroberung und der Herrschaft oder der Beute willen, dann werden sie auf unserer Seite stehen, und die Kräfte des Friedens werden unschlagbar sein.
Zur Zeit legt der Aggressor die Regeln fest, und wir haben nur eine Wahclass="underline" zu kämpfen oder uns zu unterwerfen, aber…«
Mit einem niedergeschlagenen Seufzer ließ er den Kopf an die Sessellehne sinken. Er schloß die Augen, konnte den Blick des Zauberers Merritt oben nicht länger ertragen. Merritt sah aus, als wollte er jeden Augenblick zu einem Vortrag über die Torheit der Vermessenheit ansetzen.
Soeben hatte er öffentlich bekanntgegeben, daß er die Welt beherrschen wollte, aus Gründen, die selbst seine eigenen Gefolgsleute für leeres Gerede hielten. Plötzlich kam er sich vor wie ein hoffnungsloser Narr. Er war nichts weiter als ein Waldführer, den man zum Sucher gemacht hatte, kein Herrscher. Nur weil er die Gabe besaß, begann er zu glauben, er könne etwas bewirken. Die Gabe. Er wußte nicht einmal, wie er seine Gabe benutzen konnte.
Wie konnte er so vermessen sein, zu glauben, das könne funktionieren? Er war so müde, daß er nicht mehr klar denken konnte. Er wußte nicht einmal mehr, wann er zuletzt geschlafen hatte.
Er wollte niemanden beherrschen. Er wollte bloß, daß alles aufhörte, damit er bei Kahlan sein und sein Leben leben konnte, ohne kämpfen zu müssen. Die vorletzte Nacht mit ihr zusammen war die reine Wonne gewesen. Das war alles, was er sich wünschte.
General Reibisch räusperte sich. »Ich habe nie zuvor für irgend etwas gekämpft. Ich meine, aus einem anderen Grund als dem, daß es meine Pflicht war. Vielleicht ist die Zeit gekommen, es auf Eure Art zu versuchen.«
Richard löste sich von der Sessellehne und sah den Mann stirnrunzelnd an. »Sagt Ihr das nur, weil Ihr glaubt, daß ich es hören will?«
»Nun«, antwortete der General, während er mit dem Daumennagel in den Eichelschnitzereien auf der Schreibtischkante polkte, »die Seelen wissen, niemand wird dies glauben, aber ich bin überzeugt, daß sich Soldaten den Frieden mehr als alle anderen wünschen. Wir wagen nur deshalb nicht, davon zu träumen, weil wir soviel Morden sehen, daß wir mittlerweile denken, es könne gar nicht anders sein. Und wenn man zu lange grübelt, dann verweichlicht man, und wenn man verweichlicht, bringt einen das um. Tritt man aber auf, als sei man erpicht aufs Kämpfen, stimmt das den Feind nachdenklich, und er überlegt, ob er einem einen Grund liefern soll. Ganz wie das Paradoxon, von dem Ihr gesprochen habt.
Wenn man all dies Kämpfen und Morden erlebt, fragt man sich, ob es eine andere Möglichkeit gibt als das zu tun, was von einem verlangt wird — Menschen umzubringen. Man fragt sich, ob man eine Art Ungeheuer ist, das zu nichts anderem taugt. Vielleicht war es das, was mit diesen Soldaten passiert ist, die Ebinissia angegriffen haben. Vielleicht haben sie einfach nur der Stimme in ihrem Kopf nachgegeben.
Wenn uns das gelingt, vielleicht würde dann das Töten tatsächlich endgültig aufhören, wie Ihr sagt.« Er drückte einen langen Splitter zurück, den er gelockert hatte. »Vermutlich hofft ein Soldat immer, daß er sein Schwert niederlegen kann, wenn er erst einmal alle Menschen umgebracht hat, die ihn töten wollen. Die Seelen wissen, daß niemand das Töten mehr haßt als gerade die, die dazu gezwungen sind.« Er stieß einen langen Seufzer aus. »Ah, aber das will niemand glauben.«
Richard lächelte. »Ich glaube es.«
Der General sah auf. »Man findet nur selten jemand, der wirklich begreift, was es heißt zu töten. Die meisten verherrlichen es entweder, oder sie fühlen sich abgestoßen, denn sie wissen nicht, wie schmerzlich die Tat selbst ist, wie quälend die Verantwortung. Ihr seid gut im Töten. Es freut mich, daß Ihr es nicht genießt.«
Richard löste den Blick vom General und suchte das tröstliche Dunkel des Schattens hinter den Bögen zwischen den Marmorsäulen. Wie er den versammelten Vertretern erklärt hatte, war er in einer Prophezeiung erwähnt worden. Eine der ältesten Prophezeiungen bezeichnete ihn auf Hoch-D’Haran als fuer grissa ost dmuka, — den Bringer des Todes. Dieser Name traf dreifach zu: auf denjenigen, der das Reich der Toten und die Welt der Lebenden zusammenbringen konnte, indem er den Schleier zur Unterwelt zerriß, auf den, der die Seelen der Toten herbeirief, was er immer dann tat, wenn er die Magie seines Schwertes benutzte und mit den Toten tanzte, und im gemeinsten Sinn des Wortes auf den, der tötet.