Zedd, das weiße Haar zerzaust, sah ihn mit einem Auge an. »Wenn ich wollte, daß die Frauen es tun, mein Junge, dann hätte ich dich wohl kaum gefragt, oder?«
Dann verschwand er mit wehendem Gewand. Die Tür zum Schlafzimmer schloß sich mit einem Knall. Richard rührte sich nicht, aus Angst, er könnte das winzige Etwas zerdrücken. Es war so klein, er konnte kaum glauben, daß es echt war. Und dann geschah etwas — Richard fing an zu schmunzeln. Dies war ein Mensch, eine Seele, neu in dieser Welt. Was er hier sah, war Magie.
Dann trug er das gebadete und in eine Decke gehüllte Wunder ins Schlafzimmer und war zu Tränen gerührt, als er sah, daß Elayne durchaus lebendig war. Seine zitternden Beine wollten ihn kaum tragen.
»Elayne, du kannst wirklich tanzen«, war alles, was ihm einfiel.
»Wie hast du nur so etwas Wundervolles zustande gebracht?« Die Frauen rings ums Bett starrten ihn an, als sei er nicht recht bei Trost.
Elayne lächelte, trotz ihrer Erschöpfung. »Irgendwann kannst du Bradley beibringen, wie man tanzt, mein hübscher, blauäugiger Freund.« Sie streckte ihre Hände aus. Ihr Strahlen wurde breiter, als Richard ihr das Kind sanft in die Arme legte.
»Nun, mein Junge, sieht ganz so aus, als hättest du es doch noch begriffen.« Zedd zog eine Braue hoch. »Und, hast du was gelernt?«
Inzwischen war Bradley bestimmt zehn und nannte ihn Onkel Richard.
Richard lauschte auf die Stille, riß sich von seinen Erinnerungen los und dachte darüber nach, was Cara gesagt hatte.
»Doch, das werdet Ihr«, erklärte er ihr schließlich mit sanfter Stimme. »Und wenn ich es Euch befehlen muß, Ihr werdet es tun. Ich möchte, daß Ihr das Wunder neugeborenen Lebens, das Wunder einer neuen Seele, in Euren Armen spürt, damit Ihr eine andere Magie als die des Strafers kennenlernt. Ihr werdet ihn baden, ihn in Decken wickeln, ihn ein Bäuerchen machen lassen, damit Ihr wißt, daß Eure zärtliche Fürsorge in dieser Welt gebraucht wird und daß ich mein eigenes Kind dieser Fürsorge anvertraue. Und Ihr werdet wie töricht mit ihm plappern, damit Ihr voller Freude über eine hoffnungsvolle Zukunft lachen könnt und darüber vielleicht vergeßt, daß Ihr in der Vergangenheit Menschen getötet habt.
Auch wenn Ihr alles andere nicht begreift, so hoffe ich doch, daß Ihr meine Gründe für das, was ich tun muß, wenigstens soweit versteht.«
Er lehnte sich gelöst in seinem Sessel zurück, entspannte zum ersten Mal seit Stunden seine Muskeln. Die Stille schien ihm in den Ohren zu klingen. Er dachte an Kahlan und ließ seine Gedanken treiben.
Cara murmelte etwas, die Lippen geschlossen, weinend, so leise, daß es in dem riesigen Saal und seiner gruftartigen Stille fast verlorenging. »Wenn Ihr beim Versuch, die Welt zu beherrschen, umkommt, breche ich Euch persönlich jeden einzelnen Knochen im Leib.«
Richard merkte, wie ein Lächeln seine Wangen spannte. In der Dunkelheit hinter seinen Lidern wirbelten dunkle Farbschlieren. Er war sich des Sessels, der ihn umgab, deutlich bewußt: des Sessels der Mutter Konfessor, Kahlans Sessel. Von hier aus hatte sie den Bund der Midlands regiert. Er spürte die wütenden Blicke der ersten Mutter Konfessor und ihres Zauberers auf sich, während er hier an diesem geheiligten Ort saß und die Kapitulation der Midlands und das Ende eines Bündnisses forderte, das sie als Grundlage für einen dauerhaften Frieden geschmiedet hatten.
Er war in diesen Krieg eingetreten, weil er für die gerechte Sache der Midlands kämpfte. Jetzt befehligte er ihre früheren Feinde und setzte seinen Verbündeten die Schwertspitze an die Kehle.
In einem einzigen Tag hatte er die Welt auf den Kopf gestellt.
Richard wußte, er brach das Bündnis aus den richtigen Gründen, doch es bereitete ihm Höllenqualen, was Kahlan darüber denken würde. Sie liebte ihn und würde es verstehen, redete er sich ein. Sie mußte.
Bei den Lieben Seelen, was würde Zedd denken?
Seine Arme ruhten schwer auf eben jener Stelle, wo auch Kahlans Arme gelegen hatten. Er stellte sich vor, wie ihre Arme sich um seinen Körper schlossen, so wie in der vergangenen Nacht, an dem Ort zwischen den Welten. Er glaubte nicht, daß er jemals in seinem Leben so glücklich gewesen war oder sich so geliebt gefühlt hatte.
Er meinte zu hören, wie jemand sagte, er solle sich ein Bett suchen. Doch da war er schon eingeschlafen.
17
Obwohl er bei seiner Rückkehr mehrere Tausend ungeschlachte d’Haranische Soldaten vorfand, die seinen Palast umstellten, war Tobias bei guter Laune. Die Dinge entwickelten sich prächtig — nicht wie ursprünglich geplant, aber prächtig trotz alledem. Die D’Haraner machten keinerlei Anstalten, ihn am Eintreten zu hindern, warnten ihn jedoch, es wäre besser, wenn er in dieser Nacht das Haus nicht noch einmal verlassen würde.
Ihre Unverschämtheit war ärgerlich, wesentlich mehr jedoch als die protokollarischen Verstöße der D’Haraner interessierte ihn die Alte, die Ettore für ihn bearbeitete. Er hatte Fragen und war gespannt auf die Antworten. Jetzt würde sie bereit sein, sie ihm zu geben. Ettore war in seinem Handwerk sehr geübt. Auch wenn dies das erste Mal war, daß man ihm die Vorbereitungen für ein Verhör anvertraute, ohne daß ein erfahrener Bruder sein Tun überwachte, so hatte er bereits Talent und eine sichere Hand bei dieser Aufgabe bewiesen. Ettore war mehr als bereit, diese Verantwortung zu übernehmen.
Tobias schüttelte den Schnee von seinem Cape auf den rubinroten und goldenen Teppich, bemühte sich erst gar nicht, seine Stiefel abzuputzen, ehe er forschen Schritts den blitzblanken Vorraum zu den Korridoren durchquerte, die zur Treppe führten. Die weitläufige Eingangshalle wurde von Lampen aus geschliffenem Glas erleuchtet, die vor polierten Silberreflektoren hingen und deren Licht über das vergoldete Balkenwerk tanzte. Wachen in karminroten Capes, die durch den Palast patrouillierten, berührten mit den Fingerspitzen ihre Stirn und verneigten sich vor ihm. Tobias machte sich nicht die Mühe, ihren Salut zu erwidern.
Dicht gefolgt von Galtero und Lunetta, sprang er die Treppe, zwei Stufen auf einmal nehmend, hinunter. Die Wände oben waren mit reich verzierter Täfelung verkleidet, geschmückt mit Porträts von Mitgliedern des nicobaresischen Königshauses und kunstvollen Wandteppichen, auf denen ihre sagenhaften, weitgehend erfundenen Heldentaten dargestellt waren, die Mauern im unteren Stockwerk dagegen bestanden aus schlichten Steinquadern, kalt sowohl fürs Auge als auch sonst. In dem Raum, den er ansteuerte, würde es allerdings warm sein.
Er strich seinen Schnäuzer mit den Knöcheln glatt und erschrak, als er die Schmerzen in seinen Gliedern spürte. Die Kälte schien seinen Knochen in letzter Zeit mehr zuzusetzen. Er mahnte sich, dem Werk des Schöpfers mehr Aufmerksamkeit zu widmen und weniger solch weltlichen Dingen. Der Schöpfer hatte ihm an diesen Abend mehr als großzügige Hilfe gewährt, die durfte nicht umsonst gewesen sein.
In den oberen Stockwerken wurden die Flure von Soldaten der Kompanie bewacht, unten waren die tristen Gänge menschenleer. Hier gab es weder einen Weg in den Palast hinein noch aus ihm heraus. Galtero, immer auf der Hut, beobachtete die gesamte Länge des Ganges draußen vor der Tür des Verhörzimmers. Lunetta wartete geduldig lächelnd. Tobias hatte ihr erklärt, sie habe ihre Sache gut gemacht, insbesondere mit dem letzten Bann, und sein Wohlwollen spiegelte sich in ihrem strahlenden Gesicht wider.
Tobias betrat den Raum und sah sich Ettores wohlvertrautem, breiten Grinsen gegenüber.
Über seinen Augen jedoch lag der matte Glanz des Todes.
Tobias erstarrte.
Ettore hing an einem Seil, das an den beiden Enden eines eisernen Bolzens festgemacht war, den man ihm durch die Ohren getrieben hatte. Seine Füße baumelten dicht über einer dunklen, geronnenen Lache.
Der saubere Schnitt eines Rasiermessers führte in der Mitte rings um seinen Hals. Darunter hatte man ihm jeden Zentimeter Haut abgezogen. Bleiche Streifen davon lagen seitlich auf einem blutigen Haufen.
Dicht unterhalb des Brustkorbs klappte ein Schnitt. Auf dem Boden vor seinem leise schwingenden Körper lag seine Leber.