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Mit finsterer Miene hielt sie ihm den Ring mit dem Symbol der aufgehenden Sonne vors Gesicht. »Mit mehr Machtbefugnis als die Trägerin dieses Rings?«

Er riß die Augen auf. »Nein, Prälatin. Natürlich nicht. Vergebt mir, ich habe Euch nicht erkannt.«

»Wie viele Personen befinden sich hinter dieser Tür?«

Das laute metallische Klicken des Bolzens hallte durch den Flur. »Nur die eine Schwester, Prälatin.«

»Und sie wird von Schwestern überwacht?«

»Nein, die haben für heute abend Schluß gemacht.«

Als sie auf der anderen Seite der Tür und damit außer Hörweite waren, lachte Warren stillvergnügt in sich hinein. »Ich denke, endlich habt Ihr eine Verwendung für diesen Ring gefunden.«

Verna wurde langsamer und blieb verwirrt stehen. »Warren, was glaubst du, wie der Ring nach dem Begräbnis auf das Postament gelangt ist?«

Warren schmunzelte noch, wenn auch verhaltener. »Nun, mal sehen…« Schließlich verschwand das Grinsen ganz. »Ich weiß es nicht. Was meint Ihr?«

Sie schüttelte den Kopf. »Er war von einem Lichtschild umgeben. Es gibt nicht viele, die ein solches Netz weben können. Falls, wie du sagst, Prälatin Annalina niemandem außer mir traute, wem hat sie dann vertraut, den Ring dorthin zu legen und ein solches Netz um ihn zu spinnen?«

»Keine Ahnung.« Warren warf sein feuchtes Gewand über die Schulter. »Kann es sein, daß sie das Netz selbst gesponnen hat?«

Verna runzelte die Stirn. »Vom Scheiterhaufen aus?«

»Nein. Ich meinte, könnte sie es gesponnen haben, um es dann von jemand anderem dorthin bringen zu lassen? Ihr wißt schon, so wie man einen Stock mit einem Bann belegt, damit ein anderer damit eine Lampe anzünden kann. Ich habe gesehen, wie Schwestern das machen, damit das Personal die Lampen anzünden kann, ohne eine Kerze mit sich herumtragen zu müssen, von der ihnen heißes Wachs auf die Finger oder auf den Fußboden tropft.«

Verna hob die Lampe an, um ihm in die Augen zu sehen. »Warren, das ist brillant.«

Er lächelte. Dann wurde sein Lachen dünner. »Bleibt die Frage: wer?«

Sie senkte die Lampe. »Vielleicht jemand vom Personal, dem sie vertraute. Jemand, der die Gabe nicht besitzt, damit sie nicht befürchten mußte, daß man ihn…« Sie blickte über die Schulter, den dunklen, menschenleeren Gang hinunter. »Du weißt schon, was ich meine.« Er nickte, als sie sich wieder in Bewegung setzte. »Ich muß der Sache nachgehen.«

Licht flackerte unter der Tür zu Schwester Simonas Zimmer: ein lautloses, zartes Flackern wie von Blitzen, das durch den Spalt unter ihrer Tür hindurchzüngelte. Der Schild sprühte Funken, sobald die Lichtimpulse auf ihn trafen, die Kraft mit Gegenkräften auflöste und die Magie mit einem Gegenstück erdete. Schwester Simona versuchte, den Schild zu durchbrechen.

Schwester Simona war verwirrt, daher war das zu erwarten gewesen. Die Frage war, warum funktionierte es nicht? Verna sah, daß der Schild rings um die Tür von der einfachen Art war, mit der man junge Zauberer einsperrte, wenn sie sich starrköpfig benahmen.

Verna öffnete sich ihrem Han und trat durch den Schild hindurch. Warren folgte ihr, als sie anklopfte. Das Flackern unter der Tür endete abrupt.

»Simona? Hier ist Schwester Verna Sauventreen. Du erinnerst dich doch noch an mich, nicht wahr, meine Liebe? Darf ich reinkommen?«

Es kam keine Antwort, also drehte Verna den Türknauf und drückte die Tür vorsichtig auf. Sie hielt die Lampe vor sich, so daß ihr gelblicher, schwacher Schein nach vorne fiel und die Dunkelheit im Innern zerriß. Die Zelle war leer bis auf ein Tablett mit einem Krug, Brot und Obst, einem Strohsack, einem Nachttopf und eine schmutzige, kleine Frau, die in der Ecke kauerte.

»Laß mich in Frieden, Dämon!« kreischte sie.

»Schon gut, Simona. Ich bin’s nur, Verna, und mein Freund Warren. Hab keine Angst.«

Simona blinzelte ins Licht, so als wäre gerade die Sonne aufgegangen. Verna stellte die Lampe nach hinten, um die Frau nicht zu blenden.

Simona kniff die Augen zusammen und sah hoch. »Verna?«

»Ganz recht.«

Simona küßte ihren Ringfinger ein dutzendmal, sprudelte über vor Dankesbezeugungen und Lobpreisungen für den Schöpfer. Sie rutschte auf Händen und Knien über die Erde, griff nach Vernas Saum und küßte ihn wieder und wieder.

»Oh, danke, daß Ihr gekommen seid.« Sie rappelte sich mühsam hoch. »Beeilt Euch! Wir müssen fliehen!«

Verna packte die zierliche Frau bei den Schultern und setzte sie auf ihre Bettstatt. Mit zarter Hand strich sie ihr eine graue Haarsträhne aus dem Gesicht.

Ihre Hand erstarrte.

Simona hatte einen Ring um den Hals. Deswegen hatte sie den Schild nicht durchbrechen können. Verna hatte noch nie gesehen, daß eine Schwester einen Rada’Han trug. Sie hatte Hunderte Burschen und junger Männer gesehen, die einen trugen, nie jedoch eine Schwester. Der Anblick drehte ihr den Magen um. Man hatte ihr beigebracht, in dunkler Vergangenheit habe man den Rada’Han Schwestern um den Hals gelegt hat, die den Verstand verloren hatten. Geschah es, daß jemand mit der Gabe vom Wahn befallen wurde, dann war das, als schleuderte man auf einem belebten Marktplatz mit Blitzen um sich. Diese Menschen mußten kontrolliert werden. Trotzdem…

»Simona, du bist in Sicherheit. Du befindest dich im Palast, unter dem wachsamen Auge des Schöpfers. Dir wird kein Leid geschehen.«

Simona brach in Tränen aus. »Ich muß fliehen. Bitte, laßt mich gehen. Ich muß fliehen.«

»Warum mußt du fliehen, meine Liebe?«

Die Frau wischte sich die Tränen aus ihrem schmutzigen Gesicht. »Weil er kommt.«

»Wer?«

»Der aus meinen Träumen. Der Traumwandler.«

»Wer ist dieser Traumwandler?«

Simona wich erschrocken zurück. »Der Hüter.«

Verna zögerte. »Dieser Traumwandler ist der Hüter?«

Sie nickte so heftig, daß Verna dachte, sie würde sich den Hals ausrenken. »Manchmal. Manchmal ist er auch der Schöpfer.«

Warren beugte sich vor. »Was?«

Simona erschrak. »Bist du es? Bist du derjenige, welcher?«

»Ich bin Warren, Schwester. Nur ein Schüler, sonst nichts.«

Simona legte einen Finger an ihre aufgeplatzten Lippen. »Dann solltest du ebenfalls fliehen. Er kommt. Er hat es auf die mit der Gabe abgesehen.«

»Dieser Kerl aus deinen Träumen?« fragte Verna. Simona nickte wild. »Was tut er in deinen Träumen?«

»Er quält mich. Tut mir weh. Er…« Sie küßte wie besessen den Ringfinger, flehte um den Schutz des Schöpfers. »Er sagt, ich müsse meinem Eid entsagen. Er trägt mir Dinge auf. Er ist ein Dämon. Manchmal, um mich zu täuschen, gibt er vor, er sei der Schöpfer. Aber ich weiß, daß er es ist. Ich weiß es. Er ist ein Dämon.«

Verna nahm die verängstigte Frau in den Arm. »Das ist nur ein Alptraum, Simona. Es ist nicht wirklich. Versuche, das zu erkennen.«

Simona schüttelte wild den Kopf. »Nein! Das ist kein Traum, sondern Wirklichkeit. Er kommt! Wir müssen fliehen!«

Verna lächelte voller Mitgefühl. »Woher willst du das wissen?«

»Hat er mir selbst gesagt. Er kommt.«

»Siehst du denn nicht, meine Liebe? Das ist doch nur im Traum passiert, nicht im Wachzustand. Es ist nicht wirklich.«

»Die Träume sind wirklich. Wenn ich wach bin, weiß ich es ebenso.«

»Jetzt bist du wach. Weißt du es jetzt auch, meine Liebe?« Simona nickte. »Und woher weißt du es, wenn du wach bist, und er nicht in deinem Kopf sitzt, um es dir einzureden wie im Traum?«

»Ich kann sein Signal hören.« Ihr Blick wanderte von Vernas Gesicht zu Warren und wieder zurück. »Ich bin nicht verrückt. Bin ich nicht. Hört Ihr die Trommeln nicht?«

»Doch, Schwester, wir hören die Trommeln.« Warren lächelte. »Aber das ist nicht Euer Traum. Das sind nur die Trommeln, die die bevorstehende Ankunft des Kaisers ankündigen.«

Simona legte wieder einen Finger an die Lippen. »Des Kaisers?«

»Ja«, tröstete Warren sie, »des Kaisers der Alten Welt. Er besucht die Stadt. Das ist alles. Deswegen die Trommeln.«