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Er beschwor sich, nicht die Phantasie mit sich durchgehen zu lassen. Überall in der Stadt hatten die Mriswiths Soldaten und andere Menschen getötet. In ein paar Wochen würde Zedd zurück sein und wissen, was zu tun war. Wochen? Nein, eher würde es wohl gut einen Monat dauern, vielleicht zwei. Konnte er solange warten?

Vielleicht sollte er nachsehen gehen. Aber auch das konnte töricht sein. Die Burg war ein Ort mächtiger Magie, und über Magie wußte er nichts, außer daß sie gefährlich war. Damit würde er nur weiteren Ärger heraufbeschwören. Und Ärger hatte er schon genug. Trotzdem, vielleicht sollte er alleine nachsehen gehen. Das wäre vielleicht das beste.

»Euer Abendessen ist da«, sagte Ulic.

Richard drehte sich wieder um. »Was? Oh, danke.«

Fräulein Sanderholt brachte ein silbernes Tablett, beladen mit dampfendem Gemüseeintopf, Schwarzbrot, dick mit Butter bestrichen, eingelegten Eiern, Kräuterreis mit braunem Rahm, Schafskoteletts, Erbsen in weißer Soße und einem Becher Tee mit Honig.

Sie setzte das Tablett mit einem freundlichen Augenzwinkern ab. »Eßt ordentlich, das wird Euch guttun, und dann ruht Euch aus, Richard.«

Die einzige Nacht, die er im Palast der Konfessoren verbracht hatte, hatte er im Ratssaal geschlafen, auf Kahlans Sessel. »Wo?«

Sie zuckte die Achseln. »Nun, Ihr könntet übernachten in K —« Sie hielt inne, fing sich. »Ihr könntet im Gemach der Mutter Konfessor übernachten. Das ist das eleganteste Zimmer im Palast.«

Dort hatten er und Kahlan ihre Hochzeitsnacht verbringen sollen. »Im Augenblick würde ich mich nicht wohl dabei fühlen. Gibt es noch ein anderes Bett, das ich benutzen könnte?«

Fräulein Sanderholt machte eine Bewegung mit ihrer bandagierten Hand. Die Bandagen waren jetzt nicht mehr ganz so umfangreich und sauberer. »Diesen Gang hinunter, bis zum Ende und dann rechts gibt es eine Reihe Gästezimmer. Im Augenblick haben wir keine Gäste, Ihr könnt Euch also nach Belieben eines aussuchen.«

»Wo werden die Mord-Si … Wo schlafen Cara und ihre beiden Freundinnen?«

Sie schnitt eine Grimasse und deutete in die entgegengesetzte Richtung. »Ich habe sie in die Gemächer für das Personal geschickt. Dort teilen sie sich ein Zimmer.«

Je weiter weg, desto besser, soweit es ihn betraf. »Das war sehr nett von Euch, Fräulein Sanderholt. Ich werde dann also eines der Gästezimmer nehmen.«

Sie stieß Ulic mit dem Ellenbogen an. »Was wollt ihr großen Kerle denn zu essen?«

»Was habt Ihr denn?« fragte Egan und legte dabei eine für ihn seltene Begeisterung an den Tag.

Sie zog herausfordernd eine Braue hoch. »Warum kommt ihr nicht in die Küche und sucht euch selber etwas aus?« Sie sah, wie sie hinüber zu Richard blickten. »Es ist nur ein kleines Stück. Ihr werdet nicht weit von eurem Schützling fort sein.«

Richard warf die Seiten des schwarzen Mriswithcapes über die Armlehnen seines Sessels. Er winkte sie fort, nahm einen Löffel Gemüseeintopf und einen Schluck Tee. General Reibisch schlug sich die Faust vors Herz und wünschte ihnen eine gute Nacht. Richard erwiderte den Salut mit einer schwungvollen Gebärde der Hand, in der er das Schwarzbrot hielt.

20

Es war eine Erleichterung, endlich alleine zu sein. Er war es leid, daß Menschen bereitstanden, um auf sein Kommando hin zu springen. Zwar hatte er versucht, den Soldaten ein wenig von ihrer Befangenheit zu nehmen, trotzdem waren sie stets angespannt, wenn er sie begleitete, und schienen zu befürchten, er würde sie mit seiner Magie niedermachen, falls es ihnen nicht gelang, Brogans Fährte zu finden. Sogar nachdem er erklärt hatte, er habe Verständnis dafür, daß sie es nicht geschafft hatten, ließ ihre Befangenheit nicht nach. Erst gegen Ende waren sie ein wenig unbekümmerter geworden, doch noch immer behielten sie ihn ständig im Auge, für den Fall, daß er leise einen Befehl erteilte, den sie vielleicht überhören könnten. Von Menschen umgeben zu sein, die ihm soviel Ehrfurcht entgegenbrachten, zehrte an Richards Nerven.

Immer wieder gingen ihm dieselben kummervollen Gedanken durch den Kopf, während er seinen Eintopf in sich hineinlöffelte. Er hätte kaum besser schmecken können, auch wenn er nicht halb verhungert gewesen wäre. Er war nicht frisch zubereitet, sondern hatte eine gute Weile auf dem Herd geköchelt, was ihm jenen reichen Geschmack verliehen hatte, den keine andere Zutat als die Zeit hervorbringen konnte.

Als er von seinem Becher Tee aufsah, stand Berdine in der Tür. Seine Muskeln spannten sich. Sie fing an zu sprechen, bevor er ihr sagen konnte, sie solle wieder gehen.

»Herzogin Lumholtz aus Kelton ist hier und wünscht Lord Rahl zu sprechen.«

Richard saugte sich einen Brocken Eintopf aus den Zähnen und heftete den Blick auf Berdine. »Ich bin nicht daran interessiert, Bittsteller zu empfangen.«

Der Tisch allein verhinderte, daß Berdine noch näher kam. Sie warf ihren braunen Zopf nach hinten. »Ihr werdet sie empfangen.«

Richard strich mit den Fingerspitzen über die vertrauten Kerben und Kratzer auf dem Hickorygriff des Messers an seinem Gürtel. »Die Bedingungen der Kapitulation stehen nicht zur Diskussion.«

Berdine stützte sich mit den Knöcheln auf den Tisch und beugte sich zu ihm vor. Ihr Strafer, am Ende einer feinen Kette an ihrem Handgelenk, kreiste um ihre Hand. Ihre blauen Augen funkelten kalt. »Ihr werdet sie empfangen.«

Richard spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. »Ihr habt meine Antwort gehört. Eine andere werdet Ihr nicht bekommen.«

Sie ließ nicht locker. »Und ich habe mein Wort gegeben, daß Ihr sie empfangt. Ihr werdet mit ihr sprechen.«

»Das einzige, was ich mir von Vertretern Keltons anhören werde, ist ihre bedingungslose Kapitulation.«

»Und die werdet Ihr auch hören.« Die melodische Stimme stammte von einer Silhouette, die sich in der Tür abzeichnete. »Vorausgesetzt, Ihr seid bereit, mich anzuhören. Ich bin nicht gekommen, um Drohungen auszustoßen, Lord Rahl.«

Richard hörte den Unterton von Angst, in ihrer leisen, bescheidenen Art zu sprechen. Es weckte in ihm ein Gefühl von Sympathie.

»Bittet die Dame herein« — sein funkelnder Blick wanderte zurück zu Berdine — »und macht auf dem Weg zum Bett die Tür hinter Euch zu.« Er ließ mit seinem Ton keinen Zweifel daran, daß dies ein Befehl war, und er keine Übertretung dulden würde.

Ohne eine Regung zu zeigen, ging Berdine zur Tür und bat den Gast herein. Richard erhob sich, als die Herzogin in den warmen Schein des Feuers trat. Berdine warf ihm einen leeren Blick zu und schloß dann die Tür, doch er bemerkte es kaum.

»Bitte, Herzogin Lumholtz, tretet ein.«

»Danke, daß Ihr mich empfangt, Lord Rahl.«

Einen Augenblick lang betrachtete er schweigend ihre braunen Augen, ihre geschwungenen roten Lippen und ihren dichten schwarzen Haarschopf, dessen Locken ihr makelloses, strahlendes Gesicht rahmten. Richard wußte, daß in den Midlands die Länge des Haares einer Frau ihren gesellschaftlichen Rang verriet. Die lange, verschwenderische Pracht dieser Frau zeugte von hohem Rang. Längeres Haar hatte er nur bei einer Königin gesehen, und dann noch bei der Mutter Konfessor.

Benommen holte er Luft, und plötzlich besann er sich auf seine Manieren. »Bitte, laßt mich Euch einen Sessel holen.«

Er hatte das Äußere der Herzogin nicht so in Erinnerung, diese reine, für sich einnehmende Eleganz — andererseits war er ihr auch noch nie so nahe gewesen. In seiner Erinnerung war sie protzig, mit überflüssigem Glitter, zuviel Schminke und einem Kleid, das alles andere war als schlicht und vornehm wie das, welches sie jetzt trug. Es war aus einfacher, geschmeidiger rosenfarbener Seide geschneidert, die leicht über die Rundungen ihres Körpers floß, ihren üppigen Körper umschmeichelte und knapp unterhalb des Busens gerafft war.

Richard stöhnte innerlich, als er sich an ihre letzte Begegnung erinnerte. »Herzogin, es tut mir leid, daß ich im Ratssaal so schauderhafte Dinge zu Euch gesagt habe. Könnt Ihr mir je verzeihen? Ich hätte auf Euch hören sollen. Ihr wolltet mich nur vor Lord General Brogan warnen.«