Schließlich kam mir eine Idee. Ich bewegte mich rückwärts auf Tars Tarkas zu und unterbreitete ihm leise mein Vorhaben, ließ dabei jedoch die Wand keine Minute aus den Augen.
Der große Thark gab ein zustimmendes Grunzen von sich und begann wie geplant, sich rückwärts der Wand zu nähern, die ich im Blick hatte, während ich kurz vor ihm langsam auf sie zuschritt.
Zehn Fuß vor dem geheimen Zugang hieß ich meinen Gefährten stehenbleiben und auf das vereinbarte Zeichen warten. Nun drehte ich der Tür, durch die ich die unheilvoll brennenden Augen unseres eventuellen Henkers fast spüren konnte, den Rücken zu.
Schnell suchte ich den Spiegel auf Tars Tarkas’ Rücken und beobachtete eine Sekunde später das Wandteil, das seine wilden Schrecken über uns entladen hatte.
Ich mußte nicht lange warten, denn gleich darauf setzte sich die goldene Fläche in Bewegung. Daraufhin gab ich Tars Tarkas das Signal und sprang zu dem Teil der Drehtür, der sich von uns fortbewegte. Der Thark fuhr ebenfalls herum, zur Öffnung, die durch die Drehung entstanden war.
Mit einem Satz befand ich mich im Nebenraum, dem Menschen gegenüber, dessen bösartige Miene ich zuvor gesehen hatte. Er war muskulös, ungefähr so groß wie ich und sah aus wie ein Mensch von der Erde.
An seiner Seite hingen ein langes Schwert, ein Kurzschwert, ein Dolch und eine der tödlichen Radiumpistolen, wie man sie auf dem Mars trägt.
Weil ich nur mit dem langen Schwert ausgerüstet war, hätte er mir entsprechend den Kampfesregeln und –gesetzen von Barsoom mit einer ähnlichen oder kleineren Waffe gegenübertreten müssen. Dies schien meinem Gegner jedoch nicht in den Sinn zu kommen, denn kaum stand ich neben ihm, hatte er schon seinen Revolver auf mich gerichtet. Mir blieb nur eines übrig: Ich stieß ihm die Waffe mit dem langen Schwert aus der Hand, bevor er feuern konnte.
Nun zog er sein langes Schwert, und wir begannen, in der gleichen Bewaffnung, erbarmungslos aufeinander einzuschlagen, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte.
Er war ein ausgezeichneter Schwertkämpfer und schien sehr geübt zu sein, während ich bis zu diesem Morgen über zehn Jahre kein Schwert mehr in der Hand hatte.
Dennoch fielen mir meine Kampfschritte ziemlich schnell wieder ein, so daß der Mann nach wenigen Minuten einsehen mußte, es doch mit einem gleichwertigen Gegner zu tun zu haben.
Er wurde rot vor Wut, als er feststellte, daß ich jeden seiner Hiebe parierte, während sein Gesicht und Körper mit einem Dutzend kleinerer Verletzungen übersät waren. »Wer bist du, weißer Mann?« zischte er. »Daß du kein Barsoomier von draußen bist, erkennt man schon an deiner Hautfarbe. Und du bist nicht von uns.«
Sein letzter Satz war beinahe eine Frage.
»Und wenn ich vom Tempel Issus komme?« entgegnete ich, auf eine wilde Vermutung setzend. »Das Schicksal behüte!« rief er aus, und sein blutüberströmtes Gesicht wurde aschfahl.
Ich wußte nicht, was ich nun weiter sagen sollte, doch hob ich mir die Idee für die Zukunft auf, falls ich sie noch einmal brauchen sollte. Seiner Antwort nach war es durchaus möglich, daß es am Tempel Issus Menschen gab, die aussahen wie ich. Entweder der Mann fürchtete die Bewohner des Tempels, oder er hatte eine derartige Achtung vor ihnen, daß er den Zorn der Götter fürchtete, wenn er einen der Tempelbewohner verletzte oder kränkte.
Doch mein gegenwärtiger Umgang mit ihm war von anderer Natur und erforderte ein beträchtliches Abstraktionsvermögen. Es ging darum, ihm das Schwert zwischen die Rippen zu stoßen. Das gelang mir nach wenigen Sekunden und keinesfalls zu früh.
Schweigend hatten die angeketteten Gefangenen das Gefecht mitverfolgt. Es herrschte Totenstille, lediglich die aufeinandertreffenden Klingen, die leisen Schritte unserer nackten Füße und die wenigen Worte, die wir uns während des Zweikampfes durch die zusammengebissenen Zähne zuzischelten, waren zu hören.
Doch als mein Widersacher leblos zu Boden sackte, schrie eine der Gefangenen auf: »Dreh dich um! Hinter dir!« Als ich bei der ersten Silbe herumfuhr, sah ich mich einem zweiten Mann von der Rasse meines besiegten Gegners gegenüber.
Er hatte sich leise aus einem dunklen Gang an mich herangeschlichen und stand bereits mit erhobenem Schwert vor mir, als ich ihn erblickte. Tars Tarkas war nirgendwo zu sehen, und der Geheimgang in der Wand, durch den ich gekommen war, verschlossen.
Wie sehr wünschte ich ihn herbei! Seit vielen Stunden kämpfte ich nun schon ohne Pause. Ich hatte Erfahrungen und Abenteuer hinter mir, die jedem Mann die Lebenskraft aussaugen mußten. Außerdem hatte ich seit fast vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen oder gegessen.
Ich war erschöpft und spürte zum ersten Mal seit Jahren Zweifel, ob ich es mit meinem Gegner aufnehmen konnte. Indes blieb mir nichts anderes übrig, als auf den Mann einzudringen, und das so schnell und energisch wie möglich. Meine einzige Rettung bestand darin, ihn durch die Heftigkeit meiner Attacke zur Strecke zu bringen. Sollte der Kampf länger dauern, war ich verloren.
Doch der Mann war offenbar anderer Meinung, denn er trat zurück, parierte meinen Schlag, wich aus, bis mich seine Bemühungen fast völlig zu Boden gebracht hatten.
Er war ein besserer Schwertkämpfer als mein vorheriger Gegner. Ich muß zugeben, daß er mich schön bei Atem hielt und am Ende kurz davor war, einen armseligen Narren aus mir zu machen und mich zu töten.
Ich spürte, wie ich immer schwächer wurde, bis schließlich die Dinge vor meinen Augen zu verschwimmen begannen und ich mehr schlafend als wach umherstolperte und taumelte. In diesem Augenblick spielte er mir den hübschen kleinen Streich, der mich fast das Leben kostete.
Er jagte mich umher, bis ich mit dem Rücken zum Leichnam seines Gefährten stand. Dann drang er so heftig auf mich ein, daß ich zurückweichen mußte, und als ich mit der Ferse an den Toten stieß, stolperte ich nach hinten.
Mit lautem Krachen schlug mein Kopf auf dem harten Boden auf. Das rettete mir das Leben, denn der Aufprall klärte mir den Kopf, und durch den Schmerz geriet ich so in Rage, daß ich in diesem Moment meinen Gegner mit bloßen Händen in Stücke hätte reißen können. Ich glaube, das wäre auch geschehen, hätte ich nicht mit der rechten Hand ein kaltes Stück Metall gestreift, als ich mich beim Aufstehen stützte.
Die Hand des Soldaten reagiert instinktiv, wenn sie mit einem Instrument des Kriegshandwerks in Kontakt kommt. Ohne hinzusehen oder nachdenken zu müssen, war mir augenblicklich klar, daß mir der Revolver des Toten zur Verfügung stand, den ich ihm aus der Hand gestoßen hatte und der nun auf dem Boden lag.
Die Spitze seines glänzenden Schwertes auf mein Herz gerichtet, sprang der Mann, der mich überlistet hatte, auf mich zu. Dabei kam aus seinem Mund das grausame und höhnische Gelächter, das ich bereits in dem Raum der Geheimnisse vernommen hatte.
Und so starb er auch, die dünnen Lippen gekräuselt in dem. haßerfüllten Lachen, eine Kugel vom Revolver seines Gefährten im Herzen.
Er fiel mit voller Wucht auf mich, wobei mich der Griff des Schwertes am Kopf getroffen haben mußte, denn beim Aufprall seines Körpers verlor ich das Bewußtsein.
4. Thuvia
Kampfeslärm brachte mich in die Gegenwart zurück. Einen Augenblick lang wußte ich nicht, wo ich war und woher die Geräusche kamen, die mich wieder zu Bewußtsein kommen ließen. Dann vernahm ich hinter der kahlen Wand neben mir Schritte, grimmiges Knurren, metallisches Waffengeklirr und den schweren Atem eines Mannes.
Ich stand auf und sah mich schnell an diesem Ort um, wo man mir soeben einen solch herzlichen Empfang bereitet hatte. Die Gefangenen und die wilden Tiere, die an der gegenüberliegenden Wand angekettet waren, bedachten mich mit unterschiedlichen Blicken voller Neugier, Verdruß, Überraschung oder Hoffnung.
Letztere zeichnete sich deutlich auf dem hübschen und intelligenten Gesicht der jungen, roten Marsfrau ab, die mir mit ihrer Warnung das Leben gerettet hatte.