Das lange Schwert des großen Thark fuhr aus der Scheide, Thuvia erschauderte und wich an meine Seite.
6. Die schwarzen Piraten von Barsoom
»Was ist?« fragte ich das Mädchen. Als Antwort wies sie zum Himmel.
Ich sah nach oben und erblickte Schatten, die in rasendem Tempo hoch über Tempel, Hof und Garten kreisten.
Fast im selben Moment blitzte oben Mündungsfeuer auf. Die seltsamen Flugkörper gaben donnernde Schüsse ab, die vom Tempel und Festungswall lautstark erwidert wurden.
»Die schwarzen Piraten von Barsoom, mein Prinz«, sagte Thuvia.
In großen Kreisen fegten die Flugzeuge der Plünderer über den Verteidigungstruppen der Therns hinweg und gingen zusehends tiefer.
Eine Salve nach der anderen gaben sie in Richtung der Tempelwachen ab, die ihrerseits durch die dünne Luft in Richtung der blitzschnellen, nicht greifbaren Flieger feuerten.
Als die Piraten ihre Höhe immer weiter verringerten, strömte eine Armee der Therns aus den Tempeln in die Gärten und Höfe.
Ihr Auftauchen rief etwa zwanzig Flieger aus allen Richtungen herbei.
Die Therns gaben mit Gewehren, auf die Schilde gestützt, Feuer, doch die schrecklichen schwarzen Flugzeuge kamen unaufhaltsam näher. Die meisten waren kleine Flieger für zwei, drei Leute. Es gab wenige größere, doch diese blieben hoch oben in der Luft und ließen aus dem Kielschacht Bomben auf den Tempel fallen.
Schließlich gingen die Piraten, offenbar einem Befehl folgend, mit einemmal in unserer unmittelbaren Nachbarschaft inmitten der Soldaten der Therns nieder, ohne sich von ihnen beeindrucken zu lassen.
Die Mannschaften warteten kaum darauf, daß ihre Flugzeuge aufsetzten, sondern sprangen von teuflischer Wut beseelt zwischen die Therns. Nie zuvor hatte ich ein solches Gemetzel miterlebt. Ich hatte immer geglaubt, die grünen Marsmenschen seien die grausamsten Krieger im ganzen Universum, doch die Unbändigkeit, mit der die schwarzen Piraten sich auf ihre Widersacher warfen, ging über alles hinaus, was ich bisher gesehen hatte.
Im hellen Schein der beiden herrlichen Monde konnte man das Geschehen deutlich mitverfolgen. Die hellhaarigen, weißhäutigen Therns kämpften mit dem Mut der Verzweiflung gegen ihre ebenholzfarbenen Feinde.
Hier trampelte ein kämpfendes Knäuel auf einem prächtigen Pimalienbeet herum, dort fand der Krummdolch eines Schwarzen das Herz eines Therns und ließ den Gegner tot am Fuße einer schönen Statue aus leuchtendem Rubin zurück. Drüben preßten ein Dutzend Therns einen Piraten auf eine Bank aus Smaragd, deren schillernde Oberfläche ein mit Diamanten geschaffenes Muster von fremdartiger, barsoomischer Schönheit zeigte.
Ein Stück seitwärts standen Thuvia, der Thark und ich. Das Kampfgeschehen war noch nicht zu uns vorgedrungen, doch die Kämpfer kamen von Zeit zu Zeit nahe genug, daß wir ihre Gesichter erkennen konnten.
Die schwarzen Piraten interessierten mich brennend. Bei meinem früheren Aufenthalt auf dem Mars hatte ich Gerüchte über sie vernommen, die nicht viel mehr als Legenden waren. Doch hatte ich sie weder je zu Gesicht bekommen noch mit jemandem gesprochen, der sie schon einmal gesehen hatte.
Im allgemeinen hieß es, daß sie auf dem kleineren Mond lebten, von wo sie in längeren Abständen Barsoom Besuche abstatteten. Wo immer sie sich blicken ließen, vollbrachten sie die fürchterlichsten Verbrechen, beim Abzug nahmen sie Schußwaffen und Munition sowie junge Frauen als Gefangene mit sich. Gerüchten zufolge opferten sie ihre Beute einem finsteren Gott in einer blutigen Zeremonie, die damit endete, daß sie die Unglücklichen verzehrten.
Ich konnte sie gut in Augenschein nehmen, denn das Scharmützel brachte gelegentlich den einen oder anderen in meine unmittelbare Nähe. Sie waren äußerst ansehnliche, hochgewachsene Männer, vielleicht mehr als sechs Fuß groß, mit markanten Gesichtszügen und tiefliegenden, großen Augen. Soweit ich das bei Mondlicht erkennen konnte, war die Iris tiefschwarz und der Augapfel selbst von klarem Weiß. Vom Körperbau schienen sie sich in keiner Weise von den Therns, den roten Menschen oder mir zu unterscheiden. Lediglich ihre Hautfarbe war anders; sie schimmerte ebenholzfarben, und so seltsam es aus dem Mund eines Südstaatlers klingen mag, trug sie zu seiner prachtvollen Schönheit mehr bei als daß sie ihr Abbruch tat.
Doch auch wenn ihre Gestalt göttlich war – ihre Seele war offensichtlich das ganze Gegenteil. Nie zuvor erlebte ich einen solch bösartigen Blutrausch, wie ihn diese Teufel aus dem All im wilden Kampf mit den Therns zur Schau stellten.
Überall im Garten standen ihre unheilbringenden Flugzeuge, die die Therns zu meinem Erstaunen jedoch nicht anrührten. Hin und wieder stürmte ein schwarzer Krieger mit einer jungen Frau auf den Armen aus einem nahen Tempel zu seinem Flieger, während jene seiner Kameraden, die gerade in der Nähe kämpften, seinen Rückzug deckten.
Die Therns neben ihnen eilten dem Mädchen zu Hilfe und wurden einen Augenblick später in einen turbulenten Strudel brüllender Scheusale gezogen, welche sich wie leibhaftige Teufel gebärdeten, nach ihnen ausholten und traten.
Doch immer, schien es, siegten die schwarzen Piraten von Barsoom, und das Mädchen, das den Kampf auf wundervolle Weise unverletzt überstanden hatte, wurde an Deck eines schnellen Fliegers in die Finsternis getragen.
Kampfeslärm drang aus allen Richtungen mit unverminderter Heftigkeit zu uns. Thuvia erzählte mir, daß die schwarzen Piraten normalerweise das ganze Reich der Therns auf einmal angriffen, das sich wie ein Band an den äußeren Abhängen des Gebirges Otz mit dem in der Mitte gelegenen Tal Dor, entlangzog.
Als sich die Krieger für einen Moment von uns fortbewegten, wandte sich Thuvia an mich: »Versteht ihr nun, mein Prinz, warum eine Million Krieger das Gebiet der Heiligen Therns Tag und Nacht bewachen? Das, was ihr jetzt seht, ist nur eine Wiederholung dessen, was ich während der fünfzehn Jahre, die ich hier schon gefangen bin, an die zwanzig Mal miterlebt habe. Seit undenklichen Zeiten plündern die schwarzen Piraten von Barsoom die Heiligen Therns aus. Und doch gehen sie mit ihren Expeditionen niemals bis zum Äußersten, wie man leicht annehmen könnte, und löschen die Therns endgültig aus, wie es für sie ein Leichtes wäre. Es scheint, als nutzten sie dieses Volk nur zum Vergnügen, stillten an ihm ihre unbändige Lust aufs Kämpfen und trieben von ihm einen Zoll in Form von Waffen, Munition und Gefangenen ein.«
»Warum springen sie nicht einfach in die Flugzeuge und zerstören sie?« fragte ich. »Das würde den Angriffen bald ein Ende bereiten. Zumindest wären die Schwarzen dann kaum so kühn. Schau hin, sie lassen die Flieger völlig unbeobachtet, als stünden sie sicher in den Flugzeughallen zu Hause.«
»Die Therns trauen sich das nicht. Einmal, vor Jahrhunderten, haben sie es gewagt, doch am nächsten Abend und den ganzen folgenden Monat lang kreisten große, schwarze Kriegsschiffe über dem Gebirge Otz, warfen Tonnen von Bomben über den Tempeln, Gärten, Höfen ab, bis jeder noch überlebende Thern in die unterirdischen Gänge geflüchtet war. Die Therns wissen, daß sie überhaupt nur mit Duldung der schwarzen Menschen leben. Jenes eine Mal wären sie beinahe ausgelöscht worden, so riskieren sie es kein weiteres Mal.«
Als sie verstummte, nahm die Auseinandersetzung eine neue Wendung. Die Urheber überraschten sowohl die Therns als auch die Piraten. Der Kampfeslärm, das Geschrei der Krieger, die Schüsse und die Explosionen der Bomben hatten die großen Banths, die wir in den Garten gelassen hatten, zunächst eingeschüchtert.
Doch nun schien der andauernde Lärm sie wütend gemacht zu haben. Der frische Blutgeruch mußte ein übriges getan haben, denn plötzlich schoß eine riesige Gestalt aus einem niedrigen Busch mitten zwischen die kämpfenden Menschenmassen. Voll tierischer Wut stieß das Banth einen furchteinflößenden Schrei aus, als es warmes Fleisch unter den mächtigen Krallen spürte.
Als wäre sein Gebrüll das Signal für die anderen, warf sich die gesamte Meute zwischen die Kämpfenden. Augenblicklich brach Panik aus. Thern und schwarzer Mensch wandten sich vereint gegen den gemeinsamen Feind, denn die Banths machten zwischen ihnen keine Unterschiede.