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Xodar blickte mich eine Zeitlang aufmerksam an und sagte schließlich: »Ich kann sehr wohl glauben, daß ihr nicht aus Barsoom kommt. Niemand von dieser Welt hätte allein acht der Erstgeborenen besiegen können. Wie kommt es jedoch, daß ihr das goldene Haar und den edelsteinbesetzten Stirnreif eines Heiligen Therns tragt?« Er betonte das Wort ›heilig‹ leicht ironisch. »Das habe ich ganz vergessen. Sie sind Beutestücke aus einem Kampf«, entgegnete ich und zog mir mit einem Griff die Perücke vom Kopf.

Als der Schwarze mein kurzgeschnittenes, schwarzes Haar erblickte, riß er die Augen vor Erstaunen weit auf. Offenbar hatte er den kahlen Schädel eines Therns erwartet.

»Ihr stammt wirklich aus einer anderen Welt«, sagte er mit einem Hauch Ehrfurcht in der Stimme. »Mit der Haut eines Therns, dem schwarzen Haar eines Erstgeborenen und den Muskeln von einem Dutzend Dators ist es nicht einmal für Xodar eine Schande, eure Überlegenheit anzuerkennen. Eine Sache, die er niemals tun würde, wäret ihr von Barsoom«, fügte er hinzu.

»Du bist mir ein bißchen zu schnell, mein Freund«, unterbrach ich ihn. »Ich verstehe, daß dein Name Xodar ist, doch wer, um Himmels Willen, sind die Erstgeborenen, was ist ein Dator, und warum könntest du, wenn dich ein Barsoomier besiegte, seine Überlegenheit nicht anerkennen?«

»Die Erstgeborenen von Barsoom sind das Volk der schwarzen Männer, in dem ich den Rang eines Dator bekleide, oder, wie die niederen Barsoomier sagen würden, den eines Prinzen. Meine Rasse ist die älteste des Planeten. Unsere Abstammung läßt sich ohne Unterbrechung direkt bis zum Baum des Lebens zurückverfolgen, der vor dreiundzwanzig Millionen Jahren in der Mitte des Tales Dor blühte«, erklärte er.

»Unzählige Jahrhunderte machten die Früchte dieses Baumes eine Evolution durch und entwickelten sich von einer reinen Pflanze zu einer Kombination von Pflanze und Tier. In den ersten Stadien vermochten die Früchte lediglich unabhängige Muskelbewegungen auszuführen, während der Stengel mit dem Elterngewächs verbunden blieb. Später bildete sich in der Frucht das Hirn heraus, so daß sie, während sie an ihren langen Stengeln hingen, wie individuelle Wesen denken und sich bewegen konnten.

Mit Entwicklung der Empfindungen kam es zu deren Vergleich. Ansichten wurden aufgestellt und miteinander verglichen – so entfalteten sich auf Barsoom der Verstand und die Fähigkeit zu denken.

Jahrhunderte vergingen. Viele Lebensformen an dem Baum kamen und gingen, doch noch immer waren sie durch verschieden länge Stengel mit dem elterlichen Gewächs verbunden. Schließlich bestand die Frucht des Baumes in winzigen Pflanzenmenschen, wie wir sie nun in solch riesigen Ausmaßen im Tal Dor reproduziert sehen. Sie hingen noch immer an den Ästen und Zweigen des Baumes, an Stengeln, die aus der Mitte ihrer Köpfe wuchsen.

Die Knospen, aus denen die Pflanzenmenschen schlüpften, ähnelten großen Nüssen von einem Fuß Durchmesser, die durch doppelte Trennwände in vier Abschnitte geteilt wurden. In einem davon wuchs der Pflanzenmensch, im nächsten ein sechzehnfüßiger Wurm, im dritten der Vorfahr des weißen Affen und im vierten der schwarze Urmensch von Barsoom.

Als die Knospe aufbrach, blieb der Pflanzenmensch am Stengel hängen, doch die drei anderen Teile fielen zu Boden, wo die Befreiungsversuche ihrer Bewohner sie in alle Richtungen hüpfen ließen.

Als die Zeit verging, war die Oberfläche von ganz Barsoom von diesen eingekapselten Geschöpfen bedeckt. Unzählige Jahrhunderte führten sie ihre langen Leben in den harten Schalen, hüpften und sprangen auf dem ganzen Planeten umher, stürzten in Flüsse, Seen und Meere, um sich noch weiter über diese neue Welt auszubreiten.

Milliarden von ihnen starben, bis der erste schwarze Mensch seine Gefängniswände durchbrach und das Tageslicht erblickte. Die Neugierde ließ ihn die anderen Schalen öffnen, und so begann sich Barsoom zu bevölkern.

Das reine Blut dieses ersten schwarzen Menschen entging der Vermischung mit dem Blut anderer Kreaturen und blieb in jener Rasse erhalten, der ich angehöre. Aus dem sechzehnfüßigen Wurm, dem ersten Affen und abtrünnigen Schwarzen entwickelten sich jedoch alle anderen Tierarten, die heute auf Barsoom anzutreffen sind.

Die Therns sind nur Nachfahren des echten weißen Affen der Vorzeit, ein Ergebnis jahrhundertelanger Entwicklung.« Bei diesen Worten zeigte er ein böses Lächeln. »Sie sind noch immer eine niedere Ordnung. Es gibt lediglich eine Rasse von reinen und unsterblichen Menschen auf Barsoom – die der schwarzen Menschen. Der Baum des Lebens ist tot, doch bevor er einging, lernten die Pflanzenmenschen sich von ihm zu lösen und streifen nun mit den anderen Kindern der ersten Eltern durch ganz Barsoom.

Ihre Zweigeschlechtlichkeit erlaubt ihnen, sich wie richtige Pflanzen zu vermehren. In jeder anderen Hinsicht haben sie sich jedoch in all den Jahrhunderten ihres Daseins wenig verändert. Ihre Handlungen und Bewegungen werden größtenteils vom Instinkt bestimmt, weniger vom Verstand, da das Hirn eines Pflanzenmenschen nur ein weniges größer ist als die Kuppe eures kleinsten Fingers. Sie ernähren sich von Pflanzen und dem Blut von Tieren. Ihr Hirn reicht gerade dafür aus, ihre Bewegungen in Richtung der Nahrung zu steuern und das Signal zur Nahrungsaufnahme zu verstehen, das ihnen von den Augen und Ohren zugetragen wird. Da sie über keinen Selbsterhaltungstrieb verfügen, haben sie keine Angst vor Gefahr. Deswegen sind sie im Kampf solch schreckliche Gegner.«

Mich wunderte, warum der schwarze Mann sich vor seinen Feinden derart ausführlich über die Entstehung des Lebens auf Barsoom ausließ. Es war ein seltsam unpassender Moment, daß ein stolzer Angehöriger einer stolzen Rasse mit seinem Widersacher eine solch alltägliche Unterhaltung führen sollte. Besonders angesichts der Tatsache, daß der Schwarze noch immer sorgfältig gefesselt an Deck lag.

Den Bruchteil einer Sekunde schweifte sein Blick hinter mich und erklärte mir sein Motiv, meine Aufmerksamkeit auf diese wirklich fesselnde Geschichte zu lenken.

Er lag vor mir, einige Schritte vor den Schalthebeln, wo ich noch immer stand, und sah beim Reden in Richtung Heck. Am Ende seiner Beschreibung der Pflanzenmenschen bemerkte ich, daß seine Augen für kurze Zeit hinter mich starrten. Auch war der schnelle, triumphierende Schimmer untrüglich, der in diesen dunklen Augen für einen Moment aufleuchtete.

Kurz zuvor hatte ich die Geschwindigkeit verringert, denn wir hatten das Tal Dor viele Meilen hinter uns gelassen, und ich fühlte mich recht sicher. Ahnungsvoll warf ich einen Blick hinter mich, und das, was ich zu Gesicht bekam, nahm mir mit einem Schlag die erst kürzlich erwachte Hoffnung.

Ein großes Schlachtschiff, still und düster durch die dunkle Nacht segelnd, ragte dicht hinter unserem Heck auf.

8. Die Tiefen von Omean

Nun verstand ich, warum der schwarze Pirat mich mit seiner seltsamen Erzählung zu fesseln versucht hatte. Seit Meilen hatte er gespürt, daß Beistand nahe war, und hätte ihn nicht sein Blick verraten, wäre das Kriegsschiff im nächsten Augenblick über uns gewesen, die Mannschaft, die sich zweifellos bereits mittels ihrer Ausrüstung vom Kiel hinabließ, wäre über unser Deck geschwärmt und hätte meiner neu erwachten Hoffnung auf ein Entkommen ein jähes Ende gesetzt.

Ich war ein zu alter Hase im Luftkrieg, als daß mir nicht ein passendes Manöver eingefallen wäre. Ich drehte die Maschinen zurück und ließ gleichzeitig das kleine Flugzeug mit einemmal hundert Fuß nach unten gehen.

Als das Kriegsschiff über meinem Kopf hinwegraste, konnte ich an seinem Kiel Gestalten erkennen. Nun stieg ich im steilen Winkel auf, den Schalthebel für die Geschwindigkeit am Anschlag.

Wie der Pfeil einer Armbrust schnellte mein kühnes Flugzeug, die stählerne Nase voran, direkt auf die surrenden Propeller des Riesen über uns zu. Gelang es mir, diese auch nur zu streifen, wäre der riesige Koloß für Stunden manövrierunfähig, und die Flucht läge wieder im Bereich des Möglichen.

Im selben Augenblick ging die Sonne über dem Horizont auf und eröffnete mir den Blick auf hundert grimmige, schwarze Gesichter, die über das Vorschiff des Kreuzers zu uns hinabschauten.