»Wohin kann es in einem solch winzigen Wasserbecken gehen?« fragte Phaidor.
»Nicht nach oben«, entgegnete ich. »Denn mir ist aufgefallen, daß das Gebäude anstelle eines Daches ein starkes Metallgitter hat.«
»Wohin dann?« fragte sie wieder.
»Dem Aussehen des Fahrzeuges nach geht es abwärts«, antwortete ich.
Phaidor erschauderte. Seit solch unzähligen Jahrhunderten kennen die Barsoomier die Marsmeere nur noch aus Überlieferungen, so daß sogar diese Tochter der Therns sich ebenso vor dem tiefen Wasser fürchtete wie alle anderen Marsmenschen, obwohl sie in Sichtweite des letzten Mars-Meeres geboren worden war.
Bald daraufspürten wir sehr deutlich, daß wir sanken. Schnell ging es immer weiter in die Tiefe. Nun konnten wir das Wasser an den Bullaugen rauschen hören, und im trüben Licht, das durch sie einfiel, konnte man deutlich sehen, wie sich Strudel bildeten.
Phaidor ergriff meinen Arm.
»Rette mich«, flüsterte sie. »Rette mich, und jeder deiner Wünsche soll dir gewährt werden. Alles, was dir die Heiligen Therns zu geben vermögen, wird dein sein. Phaidor – « Hier stotterte sie ein bißchen, dann wurde sie sehr leise. »Phaidor ist bereits dein.«
Mich ergriff Mitleid für das arme Kind, und ich legte meine Hand auf die ihre. Ich vermute, meine Motive wurden mißverstanden, denn nachdem sie sich mit einem kurzen Blick vergewissert hatte, daß wir allein waren, warf sie mir die Arme um den Hals und zog mein Gesicht an das ihre.
9. Issus, die Göttin des Ewigen Lebens
Die Liebeserklärung, die die Furcht dem Mädchen entlockt hatte, berührte mich zutiefst, beschämte mich jedoch gleichfalls, da ich spürte, daß ich Phaidor mit einem gedankenlosen Wort oder einer Handlung Grund gegeben hatte zu glauben, daß ihre Neigung erwidert wurde.
Ich hatte nie viel von einem Frauenhelden an mir, da ich mich mehr mit dem Kampfe und den artverwandten Künsten befaßt hatte, die sich meines Erachtens eines Mannes mehr schickten als das Anbeten eines parfümierten, ihm vier Nummern zu kleinen Handschuhs oder das Liebkosen einer welken Blume, deren Geruch bereits an Kohl zu erinnern begonnen hatte. So war ich ziemlich in Verlegenheit, was ich zu tun oder zu sagen hatte. Tausendmal lieber trat ich den wilden Horden der ausgetrockneten Meeresböden entgegen, als daß ich diesem wunderschönen jungen Mädchen in die Augen blickte und ihr das mitteilte, was ich ihr mitteilen mußte.
Doch blieb mir nichts anderes übrig, und so begann ich. Doch ich fürchte, offenbar sehr ungeschickt.
Sanft entzog ich mich ihrer Umarmung, nahm ihre Hände in die meinen, schilderte ihr die Geschichte von meiner Liebe zu Dejah Thoris und erzählte, daß ich von allen Frauen der beiden Welten, die ich in meinem langen Leben kennengelernt und bewundert hatte, allein sie liebte.
Die Geschichte schien ihr nicht zu gefallen. Wie eine Tigerin sprang sie heftig atmend auf. Ihr schönes Gesicht hatte sich verzerrt, es sprach von unbändiger Rachsucht. Ihre Augen brannten sich förmlich in die meinen.
»Du Hund! Du Hund von einem Gotteslästerer!« fauchte sie. »Glaubst du, daß Phaidor, die Tochter von Matai Shang, um etwas bittet? Sie befiehlt. Was bedeutet ihr deine unwesentliche Leidenschaft der Außenwelt für die nichtige Kreatur, die du in deinem anderen Leben gewählt hast? Phaidor hat dich mit ihrer Liebe ausgezeichnet, und du hast sie verschmäht. Nicht einmal mit einem zehntausendfachen, unvorstellbar greulichen Tod könntest du für die mir angetane Beleidigung büßen. Die Kreatur, die du Dejah Thoris nennst, soll auf die allerschrecklichste Weise zugrunde gehen. Du hast ihren Untergang besiegelt. Und du selbst – du sollst der niedrigste Sklave in den Diensten der Göttin sein, die du zu beleidigen gewagt hast. Du sollst mit Qualen und Erniedrigungen überhäuft werden, bis du angekrochen kommst, um zu meinen Füßen um deinen Tod zu bitten. In meiner gepriesenen Gnade werde ich schließlich deine Bitten erhören und vom hohen Balkon der Goldenen Felsen die großen Affen dabei beobachten, wie sie dich in Stücke reißen.«
Sie hatte alles durchlaufen. Das gesamte hübsche Programm von Anfang bis Ende. Es versetzte mich in Erstaunen, daß jemand von derart göttlicher Schönheit gleichzeitig so rachsüchtig sein konnte. Dennoch fiel mir ein, daß sie bei ihrem Rachefeldzug eine Kleinigkeit übersehen hatte, und so wies ich, ohne ihr absichtlich wehtun zu wollen, eher, um ihre Pläne in realistischere Bahnen zu lenken, auf das nächste Bullauge.
Offensichtlich hatte sie ihre Umgebung und die gegenwärtigen Umstände völlig vergessen, denn nach einem kurzen Blick auf die dunklen Strudel des Wassers sank sie auf der niedrigen Bank in sich zusammen, verbarg ihr Gesicht in den Armen und schluchzte eher wie ein sehr unglückliches, kleines Mädchen als eine stolze und übermächtige Göttin.
Immer tiefer ging es hinab, bis sich das dicke Glas der Bullaugen unter der Hitze des Wassers draußen spürbar erwärmte. Offenbar waren wir sehr weit ins Marsinnere vorgedrungen.
Mit einemmal hörte die Abwärtsbewegung auf, und ich konnte die Propeller am Heck hören, die durch das Wasser pfiffen und uns nun in hoher Geschwindigkeit vorantrieben. Es war hier unten sehr dunkel, doch in dem Licht, das aus unseren Bullaugen fiel, und im Widerschein des starken Suchlichtes am Bug unseres Unterseebootes konnten wir sehen, daß es durch eine enge, röhrenartige und felsige Passage ging.
Nach ein paar Minuten setzten die Propeller aus. Wir bremsten und begannen dann schnell wieder aufzusteigen. Bald wurde das Licht von außen stärker, und wir kamen zu einem Halt.
Xodar und seine Männer betraten die Kabine.
»Kommt«, sagte er. Wir folgten ihm durch die Luke, die einer der Seeleute geöffnet hatte.
Wir befanden uns in einem kleinen, unterirdischen Gewölbe. In seiner Mitte lag das Becken, in dem unser Unterseeboot schwamm, von dem wie zuvor nur der schwarze Rücken zu sehen war.
Der Boden um den Beckenrand herum war eben, dann kamen die senkrechten Wände, die in einigen Fuß Höhe abknickten und sich oben in der Mitte trafen. Zahlreiche Eingänge führten in trüb beleuchtete Passagen.
Zu einem davon geleiteten uns unsere Bewacher, und nach einigen Schritten blieben wir vor einem Stahlkäfig am Boden eines Schachtes stehen, der nach oben führte, soweit das Auge blickte.
Der Käfig war einer jener Fahrstühle, wie ich sie anderswo auf Barsoom bereits gesehen hatte. Diese werden von riesigen Magneten angetrieben, die sich am oberen Ende des Schachtes befinden. Ein elektrisches Gerät reguliert die Stärke der erzeugten magnetischen Anziehungskraft und steuert die Geschwindigkeit des Fahrstuhls.
Diese können sich über lange Strecken hinweg in einer schwindelerregenden Geschwindigkeit bewegen, besonders, wenn es nach oben geht, da die dem Mars eigene geringe Schwerkraft der immensen magnetische Wirkung von oben wenig entgegenzusetzen hat.
Wir fuhren so schnell durch den langen Schacht, daß es schien, als habe sich die Tür des Fahrstuhles kaum hinter uns geschlossen, als das Tempo bereits wieder verlangsamt wurde und wir am Landepunkt oben ankamen.
Als wir aus dem kleinen Gebäude traten, in dem sich die Endstation des Fahrstuhles befand, sahen wir uns von einem zauberhaften Märchenland umgeben. Keine der Sprachen der Erde hätte Worte gefunden, der menschlichen Vorstellungskraft die prachtvolle Schönheit der Umgebung zu vermitteln.
Man könnte von dem scharlachfarbenen Rasen sprechen; den elfenbeinfarbenen Stämmen der mit strahlend purpurfarbenen Blüten geschmückten Bäume, zwischen denen sich Gehwege hindurchschlängelten, gepflastert mit zerstoßenen Rubinen, Smaragden, Türkis, sogar mit Diamanten selbst; und von einem prächtigen Tempel aus glänzendem, auf wundervolle Weise verziertem Gold. Doch mit welchen Worten sollte man die herrlichen Farben schildern, die den Augen des Erdenmenschen völlig fremd sind? Wessen Phantasie oder Geist vermag sich schon vorzustellen, auf welch sagenhafte Weise die unbekannten Strahlen funkeln, die von den tausend namenlosen Edelsteinen von Barsoom ausgingen?