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Sogar mich, der ich seit vielen Jahren die überwältigende Schönheit des Palastes eines Jeddaks vom Mars gewohnt war, versetzte diese Pracht in Erstaunen.

Phaidor hatte die Augen vor Fassungslosigkeit weit aufgerissen.

»Der Tempel von Issus«, flüsterte sie halb zu sich selbst.

Xodar beobachtete uns finster lächelnd, teilweise amüsiert, teilweise voll hämischer Schadenfreude.

In den Gärten wimmelte es von auffallend geschmückten schwarzen Männern und Frauen, darunter auch roten und weißen Frauen, die für sie jeden Dienst verrichteten. Die Städte der Außenwelt und die Tempel der Therns waren ihrer Prinzessinnen und Göttinnen beraubt worden, damit die Schwarzen ihre Sklaven hatten.

Durch dieses Treiben bewegten wir uns auf den Tempel zu. Am Haupteingang wurden wir von einer Kette bewaffneter Wachposten angehalten. Xodar wechselte einige Worte mit einem Offizier, der auf uns zukam und nach unserem Begehr fragte. Dann begaben sie sich gemeinsam für einige Zeit in den Tempel.

Sie kehrten zurück, um zu verkünden, daß Issus die Tochter von Matai Shang und das seltsame Geschöpf aus einer anderen Welt zu sehen wünsche, das einst ein Prinz von Helium gewesen war.

Langsam schritten wir durch endlose Korridore von unbeschreiblicher Schönheit, durch prachtvolle Räume und edle Hallen. Schließlich hieß man uns in einem geräumigen Gemach in der Mitte des Tempels stehenbleiben. Einer der Offiziere aus unserer Begleitung trat auf ein Portal am Ende des Saales zu. Hier mußte er ein bestimmtes Zeichen gegeben haben, denn augenblicklich öffnete sich die Tür und ein neuer, ebenfalls reichhaltig geschmückter Höfling erschien.

Dann führte man uns zu dem Portal und wies uns an, uns auf alle viere hinabzulassen, den Rücken dem Raum zugewandt, den wir nun betreten würden. Die Türflügel schwangen auf, und nachdem uns unter Androhung der Todesstrafe untersagt worden war, uns umzudrehen, hieß man uns rückwärts vor Issus kriechen.

Nie zuvor in meinem Leben hatte ich mich in einer so entwürdigenden Lage befunden. Nur meine Liebe für Dejah Thoris und die unverminderte Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihr hielten mich davon ab, aufzustehen und der Göttin der Erstgeborenen und meinem Tode entgegenzutreten und mich, wie es eines Gentlemans gebührt, den Feinden zu stellen und mein Blut mit dem ihrigen zu vermischen.

Nachdem wir auf diese beschämende Weise etwa einhundert Fuß hinter uns gebracht hatten, hieß uns unsere Begleitung stehenbleiben.

»Befehlt ihnen aufzustehen«, ließ sich eine Stimme hinter uns vernehmen. Eine dünne, zitternde Stimme, und dennoch eine, die offenbar schon seit vielen Jahren das Befehlen gewohnt war.

»Aufstehen, doch wendet eure Gesichter nicht Issus zu!«

»Die Frau sagt mir zu«, war die dünne, zitternde Stimme nach kurzem Schweigen zu hören. »Sie wird mir die zustehende Zeit zu Diensten sein. Den Mann könnt ihr auf die Insel Shador bringen, die dem Nordufer des Meeres Omean gegenüberliegt. Die Frau möge sich umdrehen und zu Issus schauen, im Wissen, daß jene Kreaturen niederer Herkunft, die das heilige Traumbild ihres blendend schönen Antlitzes erblicken, nur noch ein einziges Jahr zu leben haben.«

Ich sah Phaidor aus den Augenwinkeln an. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Langsam, sehr langsam wandte sie sich um, wie von einer unsichtbaren und gleichsam unwiederstehlichen Kraft gezogen. Sie stand dicht neben mir, so daß ihr bloßer Arm den meinen berührte, als sie schließlich Issus, Göttin des Ewigen Lebens, anblickte.

Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, als ihre Blick zum ersten Mal auf die höchste Gottheit des Mars fielen, doch ich spürte, wie ein Schauder durch den Arm neben mir ging.

Sie muß von wahrhaft blendendem Liebreiz sein, dachte ich, wenn sie in der Brust einer solch strahlenden Schönheit wie Phaidor, Tochter von Matai Shang, derartige Gefühle hervorruft.

»Die Frau soll hierbleiben. Bringt den Mann fort. Geht!« So sprach Issus, und die schwere Hand des Offiziers legte sich auf meine Schulter. Ich folgte seinen Befehlen, ließ mich erneut auf alle viere nieder und kroch fort. Es war meine erste Audienz mit einem Gott, und auch wenn ich eine lächerliche Gestalt abgab, wie ich so auf allen vieren umherkroch, nehme ich mir die Freiheit zu sagen, daß ich nicht sonderlich beeindruckt war.

Kaum hatten wir den Raum verlassen, schlossen sich die Türen hinter uns, und man hieß mich aufstehen. Xodar gesellte sich zu mir, und wir begaben uns langsam zurück zu den Gärten.

»Du hast mich verschont, als du mir mein Leben mit Leichtigkeit hättest nehmen können«, sagte er, nachdem wir eine Zeitlang geschwiegen hatten. »Ich würde dir helfen, wenn ich könnte. Ich könnte dir helfen, dein Leben hier erträglicher zu machen. Dennoch ist dein Schicksal endgültig. Es besteht keine Hoffnung mehr, daß du jemals in die Außenwelt zurückkehrst.«

»Welches Schicksal erwartet mich hier?« fragte ich.

»Das hängt weitestgehend von Issus ab. Solange sie nicht nach dir schickt und dir ihr Gesicht enthüllt, kannst du jahrelang in einer so lockeren Form von Gefangenschaft leben, wie ich es für dich einrichten kann.«

»Warum sollte sie nach mir schicken?« fragte ich.

»Die Männer niederer Herkunft nutzt sie häufig auf verschiedene Weise zu ihrer Unterhaltung. Ein solcher Krieger, wie du es bist, böte beispielsweise eine Attraktion bei den monatlichen Riten des Tempels. In deren Verlauf läßt man Männer gegeneinander antreten oder gegen Tiere kämpfen, damit sich Issus amüsiert. Ferner dienen sie der Vervollständigung ihrer Speisekammer.«

»Sie ißt Menschenfleisch?« fragte ich, jedoch nicht weiter entsetzt, denn aufgrund meiner kürzlich errungenen Kenntnisse über die heiligen Therns war ich in diesem noch unzugänglicheren Paradies auf alles vorbereitet, wo offenbar alles von einem einzigen, allmächtigen Herrscher befehligt wurde und wo engstirniger Fanatismus und Selbstverherrlichung im Laufe der Jahrhunderte alle großzügigen, menschlichen Instinkte ausgelöscht hatten, die dieses Volk einst besessen haben mochte.

Es war eine Nation, trunken von Macht und Erfolg, die auf die anderen Menschen vom Mars ebenso hinabsah wie wir auf die wilden Tiere von Wald und Feld. Warum sollten sie dann nicht das Fleisch der niederen Ordnungen essen, für deren Lebensweise und Eigenschaften sie ebensowenig Verständnis haben, wie uns auf der Erde die innersten Gedanken und Gefühle des Viehs zugänglich sind, das wir schlachten, um es auf unseren Tisch zu bringen.

»Sie ißt nur das Fleisch der Heiligen Therns und roten Barsoomier bester Herkunft. Das Fleisch der anderen wandert auf unseren Tisch. Die Tiere werden von den Sklaven gegessen. Sie ißt auch noch andere Leckerbissen.«

Damals verstand ich nicht, daß diese Bemerkung noch eine spezielle Bedeutung hatte. Ich dachte, die Schilderung der Speisekarte von Issus hatte bereits den Gipfel des Makaberen erreicht. Mir war eben noch nicht klar, wohin uneingeschränkte Macht führt und welche Ausmaße Grausamkeit und Brutalität bei dem Betreffenden einnehmen können.

Wir hatten auf unserem Weg zum Garten bereits das letzte der zahlreichen Gemächer und Korridore erreicht, als uns ein Offizier einholte.

»Issus möchte sich diesen Mann noch einmal ansehen. Das Mädchen hat ihr erzählt, daß er von überwältigender Schönheit sei und von solcher Stärke, daß er allein sieben Erstgeborene besiegte und Xodar mit bloßen Händen überwältigte und mit dessen eigenem Lederzeug fesselte«, sagte er.

Xodar sah betroffen aus. Offensichtlich gefiel es ihm ganz und gar nicht, daß Issus von seiner unrühmlichen Niederlage erfahren hatte.

Wortlos wandte er sich um, und ein weiteres Mal folgten wir dem Offizier zum Portal des Audienzsaales von Issus, der Göttin des Ewigen Lebens.

Hier wiederholte sich die Zeremonie des Eintretens. Erneut befahl mir Issus, mich zu erheben. Einige Minuten herrschte Totenstille. Die Augen der Göttin taxierten mich.