Der Hüne drehte sich wie ein Kreisel, die Knie gaben unter ihm nach, und er sank vor meinen Füßen zu Boden.
Die Schwarzen rissen die Augen vor Erstaunen weit auf und blickten erst auf die reglose Gestalt des stolzen Dators, der im rubinroten Staub des Weges lag, dann auf mich, als hielten sie so etwas nicht für möglich.
»Ihr habt mich gebeten, Thurid zu fesseln. Schaut her!« rief ich, kniete neben dem Liegenden nieder, zog ihm die Lederausrüstung vom Leib und band dem Mann damit Arme und Beine, so daß er sich nicht hätte befreien können.
»Wie ihr mit Xodar verfahren seid, verfahrt nun auch mit Thurid. Bringt ihn zu Issus, gefesselt in seinem Lederzeug, damit sie mit eigenen Augen sieht, daß es unter euch jemanden gibt, der stärker ist als die Erstgeborenen.«
»Wer bist du?« flüsterte die Frau, die als erste vorgeschlagen hatte, daß ich Thurid fesselte.
»Ich bin ein Bürger zweier Welten, Hauptmann John Carter von Virginia und Prinz des Hauses von Tardos Mors, dem Jeddak von Helium. Bringt diesen Mann zu eurer Göttin, wie ich gesagt habe, und berichtet ihr auch, daß es so, wie es Xodar und Thurid ergangen ist, den mächtigsten ihrer Dators ergehen wird. Mit bloßen Händen, mit dem langen Schwert oder dem Kurzschwert fordere ich die Elite ihrer Soldaten zum Zweikampf.«
»Komm«, sagte der Offizier, der mich nach Shador bringen sollte. »Ich habe meine Befehle, sie dulden keinen Aufschub. Xodar, auch für dich nicht.«
Nur wenig Geringschätzung lag in dem Ton, in dem der Mann sowohl Xodar als auch mich ansprach. Es war offensichtlich, daß er den früheren Dator weniger verachtete, seit er miterlebt hatte, mit welcher Leichtigkeit ich mich des mächtigen Thurid entledigte.
Daß er mir mehr Achtung entgegenbrachte als einem Sklaven, zeigte sich darin, daß er fortan immer mit gezogenem Kurzschwert hinter mir stand oder ging.
Die Rückkehr zum Meer Omean verlief ohne Zwischenfälle. Der Fahrstuhl, der uns zuvor an die Oberfläche gebracht hatte, beförderte uns durch den gigantischen Schacht nach unten. Dann kletterten wir in das U-Boot, mit dem die lange Fahrt ins Marsinnere begann. Wir durchquerten den Tunnel und stiegen wieder zu dem Schwimmbecken auf, von wo aus wir zum ersten Mal die wundersame Reise von Omean zum Tempel von Issus angetreten hatten.
Von der Insel, auf der das Unterseeboot lag, begaben wir uns auf einem kleinen Kreuzer zur fernen Insel Shador. Dort fanden wir ein kleines Steingefängnis vor, das von einem halben Dutzend Schwarzer bewacht wurde. Man machte keine großen Umstände mit unserer Einkerkerung. Einer der Schwarzen öffnete mit einem großen Schlüssel die Gefängnistür, wir traten ein, die Tür schloß sich hinter uns, und das Schloß knirschte. Mit diesem Geräusch bemächtigte sich meiner wieder dasselbe schreckliche Gefühl der Hoffnungslosigkeit wie damals in der Kammer der Geheimnisse in den Goldenen Felsen unter den Gärten der Heiligen Therns.
Damals war Tars Tarkas bei mir gewesen, doch hier war ich, soweit es freundliche Gesellschaft betraf, völlig allein. Ich begann wieder, mir über das Schicksal des großen Thark und seiner schönen Gefährtin, dem Mädchen Thuvia, Gedanken zu machen. Sogar wenn sie durch irgendein Wunder entkommen waren und auf ein freundlich gesonnenes Volk gestoßen sind, das Gnade walten ließ, wie sehr durfte ich dann darauf hoffen, daß sie dieses davon zu überzeugen vermochten, auch mir zu Hilfe zu kommen? Und das würden die beiden mit Sicherheit wollen.
Hinsichtlich meines Verbleibs oder Schicksals konnten sie nicht einmal raten, denn keine Seele von ganz Barsoom würde sich auch nur vorstellen können, daß es einen solchen Ort wie diesen gab. Auch hätte es mir nicht viel genutzt, wenn sie gewußt hätten, wo man mich gefangen hielt, denn konnte ich darauf hoffen, daß es jemandem gab, der dieses verborgene Meer zu überqueren und der mächtigen Luftwaffe der Erstgeborenen zu trotzen vermochte? Nein. Mein Fall war hoffnungslos.
Gut, ich würde das Beste daraus machen. Ich erhob mich, fegte alle düsteren Gedanken beiseite, die sich meiner bemächtigen wollten. In der Absicht, das Gefängnis zu erkunden, blickte ich mich um.
Xodar saß mit gesenktem Kopf auf einer flachen Steinbank, die fast in der Mitte des Raumes stand. Er hatte kein Wort gesprochen, seit Issus ihn seiner Ränge enthoben hatte.
Das Gebäude war nicht überdacht und besaß eine Höhe von etwa dreißig Fuß. Ein Stück oberhalb von uns befanden sich einige kleine, stark vergitterte Fenster. Der Bau wurde durch zwanzig Fuß hohe Zwischenwände in mehrere Räume geteilt. Bei uns in der Zelle wohnte außer uns niemand, doch zwei Türen zu den Nebenräumen standen offen. Ich ging in den ersten von ihnen und fand ihn leer. So durchquerte ich einen Raum nach dem anderen, bis ich im letzten einen jungen roten Marsmenschen vorfand, der auf der Steinbank, dem einzigen Möbelstück jeder Zelle, lag und schlief.
Der Junge war offensichtlich der einzige Gefangene außer uns. Da er schlief, beugte ich mich über ihn und betrachtete ihn. Etwas in seinem Gesicht kam mir merkwürdig bekannt vor, und doch konnte ich ihn nirgendwo einordnen. Seine Gesichtszüge waren sehr regelmäßig und gleich den wohlgestalteten Gliedmaßen und dem Körper äußerst ansehnlich. Für einen roten Menschen hatte er eine sehr helle Hautfarbe, doch in jeder anderen Hinsicht schien er ein typischer Angehöriger dieses gutaussehenden Volkes zu sein.
Ich ließ ihn schlafen, denn Schlaf ist im Gefängnis ein solcher Segen, daß ich es schon miterlebt habe, wie sich Männer in wütende Ungeheuer verwandelten, wenn sie ein Mitgefangener auch nur einiger weniger wertvoller Minuten davon beraubte.
Ich kehrte in meine Zelle zurück und fand Xodar in derselben Haltung vor, in der ich ihn zurückgelassen hatte.
»Mann! Es wird dir nichts bringen, wenn du Trübsal bläst!« rief ich. »Es ist keine Schande, von John Carter besiegt zu werden. Du hast gesehen, mit welcher Leichtigkeit ich Thurid überwältigt habe. Du wußtest es vorher, als du an Deck des Kreuzers mich drei deiner Leute hast bezwingen sehen.«
»Ich wünschte, du hättest mich gleich mit ihnen erledigt«, sagte er.
»Komm, komm!« rief ich. »Noch gibt es Hoffnung. Wir beide sind am Leben und großartige Kämpfer. Warum sollten wir uns nicht die Freiheit erkämpfen?«
Er blickte mich erstaunt an und entgegnete: »Du weißt nicht, was du da sagst. Issus ist allmächtig. Sie hört jedes der Worte, die du aussprichst. Sie kennt deine Gedanken. Es ist bereits ein Frevel, im Traum daran zu denken, ihren Befehlen zuwiderzuhandeln.«
»Unsinn, Xodar«, rief ich ungeduldig aus. Entsetzt sprang er auf.
»Der Fluch von Issus wird dich treffen«, rief er. »Im nächsten Augenblick wirst du dafür bestraft werden und dich in schrecklichen Todesqualen krümmen.«
»Glaubst du das, Xodar?« fragte ich.
»Natürlich, wer würde es wagen, daran zu zweifeln?«
»Ich zweifle daran, und alle weiteren Dinge stelle ich ganz und gar in Abrede«, sagte ich. »Xodar, du sagst mir, daß sie sogar meine Gedanken kennt. Die roten Menschen verfügen über diese wundervolle Fähigkeit schon seit Jahrhunderten.
Und sie vermögen noch etwas anderes zu tun. Sie können ihre Gedanken so verschließen, daß sie niemandem zugänglich sind. Ich habe das Lesen von Gedanken vor Jahren gelernt. Das andere hatte ich nicht erst zu lernen, da es auf ganz Barsoom niemanden gibt, der in die innersten Kammern meines Gehirns vordringen kann. Deine Göttin kann meine Gedanken nicht lesen und auch deine nicht, wenn sie dich nicht sieht. Sie kann es nur dann, wenn du ihr gegenüberstehst. Hätte sie meine lesen können, dann hätte ihr Stolz einen ziemlich ernsthaften Schaden genommen, fürchte ich, als ich ihrem Befehl Folge leistete und mich umwandte, um das heilige ›Traumbild ihrer blendenden Schönheit‹ in Augenschein zu nehmen.«
»Was willst du damit sagen?« flüsterte er mit erschreckter Stimme, so leise, daß ich ihn kaum hören konnte.
»Ich meine, daß ich sie für die abstoßendste und gemeinhin entsetzlichste Kreatur halte, die mir jemals zu Gesicht gekommen ist.«