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Einen Augenblick lang sah er mich entsetzt an und sprang dann mit dem Schrei ›Gotteslästerer!‹ auf mich zu.

Ich wollte ihn nicht wieder schlagen, ferner war es unnötig, denn er war unbewaffnet und deswegen nicht weiter gefährlich für mich.

Als er kam, packte ich mit meiner Linken sein linkes Handgelenk, fuhr mit dem rechten Arm über seine linke Schulter, klemmte ihm den Ellenbogen unters Kinn und drückte ihn rückwärts über meinen Schenkel.

Dort hing er für einen Augenblick hilflos und starrte mich in ohnmächtiger Wut an.

»Xodar«, sagte ich. »Laß uns Freunde sein. Wir müssen vielleicht hier in diesem winzigen Raum ein Jahr zusammen verbringen. Es tut mir leid, dich gekränkt zu haben, doch habe ich es mir nicht träumen lassen, daß jemand, mit dem Issus auf eine so grausame und ungerechte Weise verfahren ist, noch an ihre Göttlichkeit zu glauben vermag. Ich werde noch einige wenige Worte sagen, Xodar, ohne deine Gefühle weiter verletzen zu wollen, sondern damit du auch darüber nachdenkst, daß wir, solange wir leben, unser Schicksal in größerem Maße bestimmen als jeder Gott. Wie du siehst, hat Issus mich nicht tot zu Boden sinken lassen. Auch wird sie ihren treuen Xodar nicht aus den Klauen des Ungläubigen befreien, der ihre Schönheit geschmäht hat. Nein, Xodar, deine Issus ist eine sterbliche alte Frau. Bist du ihr einmal entkommen, kann sie dir nicht schaden. Mit deinem Wissen über dieses seltsame Land und meinen Kenntnissen von der Außenwelt sollten zwei solche Kämpfer, wie wir beide es sind, in der Lage sein, sich den Weg in die Freiheit zu bahnen. Auch wenn wir bei dem Versuch stürben, hätte man uns nicht in besserer Erinnerung, als verharrten wir in unterwürfiger Furcht, um von einer grausamen und ungerechten Tyrannin dahingeschlachtet zu werden – nenne sie Göttin oder Sterbliche, wie du willst.«

Als ich geendet hatte, stellte ich Xodar auf die Füße und ließ ihn los. Er versuchte kein weiteres Mal, mich anzugreifen, und sagte kein Wort. Statt dessen ging er zur Bank, sank darnieder und blieb stundenlang, seinen Gedanken nachhängend, darauf sitzen.

Nach langer Zeit drang ein leises Geräusch von einer der Türen der Nebenräume zu mir. Ich blickte auf und sah den roten Marsjungen, der uns forschend anschaute.

»Kaor«, rief ich den Gruß der roten Marsmenschen. »Kaor«, entgegnete er. »Was macht ihr hier?«

»Auf den Tod warten, nehme ich an«, erwiderte ich mit einem gequälten Lächeln.

Auch er zeigte ein mutiges und gewinnendes Lächeln. »Ich auch«, sagte er. »Meiner kommt bald. Ich habe die blendende Schönheit von Issus schon vor fast einem Jahr erblickt. Wenn ich daran denke, erstaunt es mich immer wieder außerordentlich, daß ich nicht beim ersten Blick auf dieses entsetzliche Gesicht tot umgefallen bin. Und der Leib erst! Bei meinem ersten Ahnen, nie zuvor habe ich auf der ganzen Welt eine solche lächerliche Gestalt gesehen. Daß jemand so etwas mit ›Göttin des Ewigen Lebens‹, ›Göttin des Todes‹, ›Mutter des Nächsten Mondes‹ und mit fünfzig anderen gleichartig unmöglichen Titeln bezeichnen kann, geht über meinen Horizont.«

»Wie bist du hierher gekommen?« fragte ich.

»Das ist sehr einfach. Ich befand mich mit einem einsitzigen Aufklärungsflugzeug weit im Süden, als mir die brilliante Idee kam, das Verlorene Meer Korus zu suchen, das sich dem Hörensagen nach in der Nähe des Südpoles befinden soll. Ich muß von meinem Vater eine unbändige Abenteuerlust geerbt haben sowie eine Leere an der Stelle, wo meine Respektgefühle sitzen sollen. Mir gelang es, bis zum Gebiet des ewigen Eises vorzudringen, als mein Propeller blockierte. Ich landete, um die Reparatur auszuführen. Bevor ich mich versah, war der Himmel schwarz von Fliegern, und Hunderte dieser teuflischen Erstgeborenen setzten neben mir auf. Die Schwerter gezückt, warfen sie sich auf mich, doch bevor ich unter ihnen zu Boden ging, bekamen sie den Stahl von meines Vaters Schwert zu spüren, und ich legte ein solches Zeugnis von mir ab, daß mein Vater hocherfreut gewesen wäre, wenn er es noch hätte miterleben können.«

»Dein Vater ist tot?« fragte ich.

»Er starb, bevor die Schale zerbrach, um mich in eine Welt treten zu lassen, die sehr gut zu mir war. Doch abgesehen von dem Kummer, daß ich nie die Ehre hatte, meinen Vater kennenzulernen, war ich sehr glücklich. Das einzige, was mich jetzt bedrückt, ist, daß meine Mutter mich nun ebenso beweinen muß wie zuvor zehn lange Jahre meinen Vater.«

»Wer war dein Vater?« fragte ich.

Er hub an, um zu antworten, als sich die Außentür unseres Gefängnisses öffnete, ein stämmiger Wachposten eintrat, ihm befahl, sich des Nachts in sein eigenes Quartier zu begeben, ihn in die entferntere Zelle brachte und hinter ihm die Tür versperrte.

»Es ist Issus’ Wunsch, euch beide im selben Raum zu halten«, sagte der Wachposten, als er wieder bei uns angelangt war. »Dieser feige Sklave von einem Sklaven soll dir zu Diensten sein«, fügte er hinzu und wies mit einer Handbewegung auf Xodar. »Wenn er nicht gehorcht, sollst du ihn schlagen, bis er sich unterwirft. Issus wünscht, daß du ihn auf jede erdenkliche Weise beschämst und erniedrigst.«

Mit diesen Worten verließ er uns.

Xodar saß noch immer da, die Hände vors Gesicht geschlagen. Ich trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Xodar«, sagte ich. »Du hast Issus’ Befehle vernommen, doch du brauchst nicht zu fürchten, daß ich ihnen Folge leisten werde. Du bist ein mutiger Mann, Xodar. Du mußt selbst entscheiden, ob du verfolgt und erniedrigt werden willst, doch wenn ich du wäre, würde ich mich wieder als ein Mann erweisen und meinen Feinden entgegentreten.«

»Ich habe sehr lange nachgedacht, John Carter«, erwiderte er. »Über all jene neuen Gedanken, die du mir gegenüber vor einigen Stunden geäußert hast. Stück für Stück habe ich die Sachen, die du gesagt hast und die mir zuerst als Gotteslästerungen erschienen sind, mit den Dingen in Zusammenhang gebracht, die ich in meinem bisherigen Leben erlebt habe und über die ich nicht gewagt habe, nachzudenken, aus Angst, den Zorn von Issus auf mich zu ziehen. Ich glaube nun, daß sie eine Betrügerin ist, nicht weniger sterblich als du oder ich. Noch mehr bin ich bereit, zuzugeben, daß die Erstgeborenen nicht heiliger als die Heiligen Therns sind und auch daß die Heiligen Therns nicht heiliger als die roten Menschen sind. Unsere gesamte Religion beruht auf lügnerischem Aberglauben, den uns unsere Herrscher über Jahrhunderte hinweg einredeten, da es zu ihrem persönlichem Nutzen geschah und ihrer Macht förderlich war, wenn wir weiter an diesem Glauben festhielten. Ich bin bereit, mich von den Banden zu befreien, die mich festgehalten haben. Auch würde ich Issus selbst herausfordern. Doch was wird es uns bringen? Mögen die Erstgeborenen nun Götter oder Sterbliche sein, sie sind ein mächtiges Volk und haben uns so fest in ihrer Gewalt, daß unser Tod so gut wie sicher ist. Es gibt kein Entkommen.«

»Mein Freund, ich habe mich in der Vergangenheit schon oft aus einer mißlichen Lage befreit«, entgegnete ich. »Solange Leben in mir ist, werde ich den Gedanken nicht aufgeben, von der Insel Shador im Meer Omean zu fliehen.«

»Wir können nicht einmal aus diesen vier Wänden entkommen«, versuchte mich Xodar zu überzeugen. »Befühle dieses harte Material!« rief er und klopfte gegen das feste Felsgestein unseres Gefängnisses. »Sieh, diese glatte Oberfläche, niemand könnte daran nach oben klettern.«

Ich lächelte.

»Das ist die geringste von unseren Sorgen, Xodar«, entgegnete ich. »Ich bürge dafür, daß ich die Wand erklimmen und dich mit mir nehmen kann, wenn du mir mit deinem Wissen um die vorherrschenden Gepflogenheiten verrätst, um welche Zeit es am günstigsten ist, und wenn du mich zu dem Schacht bringst, der von dem Gewölbe über dieser unergründlichen See zu dem Tageslicht und der reinen Luft Gottes führt.«

»Nachts ist es am besten, dann bietet sich die einzige winzige Chance, die wir haben, denn dann schlafen die Menschen, und nur in den Ausgucken der Kriegsschiffe träumen einige Wachposten vor sich hin. Auf den Kreuzern und den kleineren Fahrzeugen bleibt niemand zurück. Die Posten auf den größeren Schiffen wachen über alles. Jetzt ist Nacht.«