Wir gelangten zu einer Einhegung unterhalb der Zuschauerreihen, wo man viele andere Gefangene unter Bewachung zusammengepfercht hatte. Einige von ihnen waren in Eisen gelegt, doch die meisten schien bereits die Anwesenheit der Wachen zu sehr einzuschüchtern, als daß sie einen Fluchtversuch unternehmen würden.
Unterwegs hatte ich keine Möglichkeit gefunden, mich mit meinem Leidensgenossen zu unterhalten. Da wir uns nun jedoch sicher hinter Schloss und Riegel befanden, achteten die Wachen weniger auf uns, so daß ich mich dem roten Marsjungen nähern konnte, von dem ich mich auf so seltsame Weise angezogen fühlte.
»Was ist der Zweck dieser Versammlung?« fragte ich ihn. »Sollen wir hier zur Erbauung der Erstgeborenen kämpfen, oder steht uns etwas Schlimmeres bevor?«
»Das ist ein Teil der monatlichen Feierlichkeiten von Issus, bei dem die schwarzen Männer mit dem Blut der Menschen von der Außenwelt die Sünden von ihrer Seele waschen«, entgegnete er. »Wird zufällig ein Schwarzer getötet, ist das für Issus ein Zeichen seiner Treulosigkeit ihr gegenüber – diese Sünde ist unverzeihlich. Überlebt er den Wettkampf, dann wird er von der Anklage freigesprochen, wegen der er zur ›Strafe der Riten‹, wie man das nennt, verurteilt worden ist. Es gibt verschiedene Formen des Kampfes. Einige von uns messen sich in der Gruppe mit einer gleichen oder doppelten Anzahl Schwarzer. Andere stellt man allein wilden Tieren oder einem berühmten schwarzen Krieger gegenüber.«
»Und falls wir siegen, was kommt dann – läßt man uns dann frei?« fragte ich.
Er lachte und entgegnete dann: »Freiheit, fürwahr. Die einzige Freiheit für uns ist der Tod. Keiner, der das Gebiet der Erstgeborenen betritt, wird es jemals wieder verlassen. Erweisen wir uns als gute Kämpfer, erlaubt man uns, oft zu kämpfen. Wenn nicht – «. Er zuckte die Schultern. »Früher oder später sterben wir in der Arena.«
»Und hast du oft Kämpfe ausgetragen?« fragte ich.
»Sehr oft«, erwiderte er. »Darin besteht meine einzige Freude. Seit fast einem Jahr habe ich bei den Feierlichkeiten von Issus einige Hundert der schwarzen Teufel bezwungen. Meine Mutter wäre äußerst stolz auf mich, wenn sie wüßte, wie sehr ich der kämpferischen Tradition meines Vaters verbunden bin.«
»Dein Vater muß ein sehr bedeutender Krieger gewesen sein!« sagte ich. »Ich habe zu meiner Zeit fast alle Kämpfer auf Barsoom gekannt; zweifellos auch ihn. Wie ist sein Name?«
»Mein Vater war – «
»Kommt, Calots!« rief ein Wachposten mit rauher Stimme. »Auf das Schlachtfeld mit euch!« Unsanft stieß man uns den steil abfallenden Gang hinab zu den Räumen, die hinaus in die Arena führten.
Wie alle Amphitheater, die ich auf Barsoom gesehen hatte, war auch dieses in einer riesigen Bodensenke errichtet worden. Nur die oberste Sitzreihe befand sich über dem Erdboden, sie bildete die flache Eingrenzung des Amphitheaters. Die Arena selbst lag weit unten in der Tiefe.
Unmittelbar vor der untersten Sitzreihe, auf dem Boden der Arena selbst, standen mehrere Käfige, in die man uns nun trieb. Unglücklicherweise wurde ich hier wieder von meinem jungen Freund getrennt.
Direkt gegenüber meines Käfigs erblickte ich Issus’ Thron. Darauf hockte die grausige Kreatur, umgeben von einhundert Sklavenmädchen in prächtigem, mit unzähligen Juwelen besetztem Staat. Das Podium, auf dem sie um die Göttin herum ruhten, war dick gepolstert mit Stoffen in vielen leuchtenden Farben und fremdartigen Mustern.
Zu allen vier Seiten des Throns sowie einige Fuß weiter unten standen schwer bewaffnete Soldaten Schulter an Schulter in drei undurchdringlichen Reihen. Vor ihnen befanden sich die hohen Würdenträger dieses Scheinparadieses – prunkvolle Schwarze, geschmückt mit wertvollen Steinen, auf der Stirn, eingesetzt in goldene Stirnreifen, die Insignien ihres Ranges.
Zu den Längsseiten des Throns, von ganz oben bis hinab zur Arena, wimmelte es von Menschen. Unter ihnen gab es ebenso viele Frauen wie Männer. Jeder von ihnen trug das wundervoll gearbeitete Lederzeug seines Standes oder Hauses. Jeder Schwarze hatte etwa ein bis drei Sklaven um sich, geraubt aus den Gefilden der Therns und der Außenwelt. Die Schwarzen sind alle ›von adliger Abstammung‹, Bauern gibt es unter den Erstgeborenen nicht. Sogar der niedrigste Soldat ist ein Gott und hält Sklaven zu seinen Diensten.
Arbeit ist den Erstgeborenen fremd. Die Männer kämpfen – es gilt als ein heiliges Vorrecht und eine heilige Pflicht, für Issus zu kämpfen und zu sterben. Die Frauen rühren nicht den kleinsten Finger. Sklaven waschen sie, Sklaven kleiden sie an, Sklaven geben ihnen etwas zu essen. Einige von ihnen haben sogar Sklaven, die für sie reden, und ich habe eine Frau gesehen, die während der Feierlichkeiten mit geschlossenen Augen dasaß, während ihr ein Sklave jedes Ereignis schilderte, das in der Arena vor sich ging.
Das erste Ereignis des Tages war der Tribut für Issus’. Er kennzeichnete das Ende jener armen Unglückseligen, die das ruhmvolle Traumbild der Göttin vor einem Jahr erblickt hatten. Es waren ihrer zehn – prächtige Schönheiten, die von den stolzen Höfen mächtiger Jeddaks und aus den Tempeln der Heiligen Therns stammten. Ein ganzes Jahr lang hatten sie im Gefolge von Issus gedient, heute sollten sie den Preis für die Gnade, von der Göttin bevorzugt worden zu sein, mit ihren Leben bezahlen, und morgen würden sie die Tafeln der Hofbeamten schmücken.
Ein riesiger Schwarzer geleitete die jungen Frauen in die Arena. Sorgfältig nahm er jede von ihnen genau in Augenschein, befühlte ihre Gliedmaßen und stieß sie in die Rippen. Bald wählte er eine von ihnen aus und führte sie vor Issus’ Thron. Er sprach einige Worte zu der Göttin, die ich nicht hören konnte.
Issus nickte. Der Schwarze erhob als Zeichen eines Grußes die Hände weit über den Kopf, packte das Mädchen am Handgelenk und zerrte sie durch einen kleinen Gang unterhalb des Thrones aus der Arena.
»Issus wird heute abend gut speisen«, sagte ein Gefangener neben mir.
»Was meinst du damit?« fragte ich.
»Daß es ihr Abendessen war, das der alte Thabis nun in die Küche bringt. Ist dir nicht aufgefallen, wie genau er sich jede ansah, um die drallste und zarteste aus der Gruppe auszuwählen?«
Brummend sandte ich einige Flüche in Richtung des Monsters, das uns gegenüber auf dem prächtigen Thron saß.
»Reg dich nicht auf«, mahnte mich mein Begleiter. »Du wirst noch Schlimmeres zu Gesicht bekommen, wenn du nur einen Monat unter den Erstgeborenen zubringst.«
Ich wandte mich rechtzeitig um, um mitanzusehen, wie das Tor eines Käfigs in unserer Nähe geöffnet wurde, aus dem drei monströse weiße Affen in die Arena sprangen. Erschreckt drängten sich die Mädchen aneinander und wichen in die Mitte des Feldes.
Eine kniete nieder, die Arme flehend in Richtung Issus ausgestreckt, doch die greuliche Gottheit lehnte sich nur weiter nach vorn, um das Kommende genauer verfolgen zu können. Schließlich machten die Affen das Knäuel der angsterfüllten Mädchen ausfindig, gerieten völlig außer sich und stürmten unter teuflischem Geschrei auf sie zu.
Eine irrsinnige Wut kam über mich. Die gemeine Grausamkeit einer machttrunkenen Kreatur, deren böses Hirn sich solche fürchterlichen Quälereien ausdachte, erzeugte in mir unbändigen Haß und rührte bis ins Innerste meines männlichen Ehrgefühls. Der blutrote Nebel, der den Tod meiner Feinde vorhersagte, stieg mir vor die Augen.
Die Wachposten lümmelten vor dem unverschlossenen Tor meines Käfigs herum. Wozu sollte man diese armen Opfer durch Riegel davon abhalten, in die Arena zu stürmen, die die Götter sowieso zu ihrem Hinrichtungsort bestimmt hatten!
Ein einziger Schlag sandte den Schwarzen bewußtlos zu Boden. Ich schnappte mir sein langes Schwert und sprang in die Arena. Die Affen waren schon fast bei den Mädchen angelangt, doch dank meiner irdischen Muskeln bedurfte es nur einiger großer Sprünge, und ich befand mich im Zentrum des sandbedeckten Kampfplatzes.