Ich kam rechtzeitig! Ich kam rechtzeitig! Immer wieder gingen mir diese Worte durch den Kopf, bis ich sie schließlich laut ausgesprochen haben mußte, denn Yersted schüttelte den Kopf.
»Rechtzeitig, um deine Prinzessin zu retten?« fragte er und fuhr fort, ohne auf meine Antwort zu warten: »Nein, John Carter, Issus wird ihr Eigentum nicht hergeben. Sie weiß, daß du kommst, und ehe ein Vandalenfuß die Gemächer des Tempels von Issus betritt – sollte so ein Unglück je eintreten –, wird Dejah Thoris auch der letzten schwachen Hoffnung auf Rettung entsagen müssen.«
»Du meinst, sie wird getötet werden, nur um meine Pläne zunichte zu machen?« fragte ich.
»Nicht das, sondern etwas anderes als die letzte Zuflucht«, erwiderte er. »Hast du je vom Tempel der Sonne gehört? Dorthin wird man sie bringen. Er liegt weit im Innenhof des Tempels der Issus. Es ist ein kleiner Tempel, dessen dünne Turmspitze weit über die Türme und Minarette des ihn umgebenden großen Tempels reicht. Darunter, in der Erde, liegt der Hauptkomplex des Tempels, bestehend aus sechshundertundsiebenundachtz ig kreisförmigen Kammern, eine unter der anderen. Von den Gruben der Issus führt ein eigener Korridor durch solides Felsgestein zu jeder Kammer.
Da der gesamte Tempel der Sonne sich mit jeder Umdrehung von Barsoom einmal um die Sonne dreht, passiert der Eingang zu jeder einzelnen Kammer jedes Jahr nur einmal die Öffnung des Korridors, der das einzige Verbindungsstück zur Außenwelt bildet.
Dorthin läßt Issus diejenigen bringen, die ihr mißfallen, die sie jedoch in absehbarer Zeit nicht töten lassen will. Vielleicht läßt sie auch einen Edlen des Erstgeborenen zur Strafe für ein Jahr in eine Kammer des Tempels der Sonne bringen. Oft läßt sie einen Scharfrichter mit dem Verurteilten einkerkern, so daß der Tod in einer bestimmten gräßlichen Gestalt an einem gewissen Tag kommt. Oder es wird gerade soviel Essen in die Kammer gebracht, um das Leben für jene Anzahl von Tagen aufrechtzuerhalten, die Issus für die psychische Folter vorgesehen hat.
So wird Dejah Thoris sterben, und ihr Schicksal ist besiegelt, sobald der Fuß eines Fremden zum ersten Mal die Schwelle von Issus übertritt.«
So wurden meine Pläne letzten Endes zunichte gemacht, obwohl ich das Wunderbare vollbracht hatte, und wenngleich ich meiner göttlichen Prinzessin auf nur wenige kurze Momente nahegekommen war, trennte uns doch eine ebenso große Entfernung, als stünde ich achtundvierzig Millionen Meilen von hier am Ufer des Hudson.
21. Durch Fluten und Flammen
Yersteds Mitteilung überzeugte mich, daß keine Zeit zu verlieren war. Ich mußte den Tempel von Issus heimlich erreichen, ehe die Kräfte unter Tars Tarkas in der Morgendämmerung angriffen.
Einmal in seinen verhaßten Mauern, war ich überzeugt, die Wachen von Issus überwältigen und meine Prinzessin wegbringen zu können. Schließlich hatte ich eine Streitmacht im Rücken, die dafür ausreichte.
Kaum hatten Carthoris und die anderen sich mir angeschlossen, begannen wir mit dem Transport unserer Männer durch die Unterwasserpassagen zum Ausgang der Tunnel, die vom U-Boot-Becken am Tempelende des Wassertunnels zu den Gruben von Issus führten.
Viele Fahrten waren erforderlich, doch schließlich standen alle wieder sicher beisammen, um die Endphase unserer Nachforschungen in Angriff zu nehmen. Wir zählten fünftausend, und es waren alles erfahrene Kämpfer der kriegerischsten Rasse der roten Menschen von Barsoom.
Da nur Carthoris die verbogenen Wege der Tunnel kannte, konnten wir die Gruppe nicht teilen und den Tempel gleichzeitig an verschiedenen Punkten angreifen, wie es höchst wünschenswert gewesen wäre. So wurde beschlossen, daß er uns alle so schnell wie möglich zu einer Stelle nahe dem Tempelzentrum führen sollte.
Als wir gerade das Becken verlassen und in die Korridore marschieren wollten, machte mich ein Offizier auf das Wasser aufmerksam, auf dem das U-Boot schwamm. Zuerst schien es lediglich von der Bewegung eines großen Körpers unter der Oberfläche aus der Ruhe gebracht zu werden. Sofort sagte ich mir, daß ein anderes U-Boot auftauchte, um uns zu verfolgen. Auf einmal wurde offensichtlich, daß das Wasser anstieg, nicht besonders schnell, aber sehr stetig, und daß es sehr bald über die Wände des Beckens treten und den Raum überfluten würde.
Zunächst wurde mir die furchtbare Bedeutung des langsam steigenden Wassers nicht voll bewußt. Carthoris erkannte alles als erster – die Ursache und Absicht.
»Beeilt euch!« rief er. »Wenn wir zaudern, sind wir alle verloren. Die Pumpen von Omean sind angehalten worden. Sie wollen uns ertränken wie Ratten in einer Falle. Wir müssen die oberen Ebenen der Gruben vor der Flut erreichen, oder wir erreichen sie nie. Kommt.«
»Führe uns, Carthoris«, sagte ich. »Wir folgen dir.«
Auf meinen Befehl sprang der Jüngling in einen der Korridore, und die Soldaten folgten ihm in Doppelreihe und wohlgeordnet, wobei jede Kompanie den Korridor erst auf Befehl ihres Dwars oder Kapitäns betrat.
Ehe die letzte Kompanie aus dem Raum abzog, war das Wasser knöcheltief, und die Nervosität der Männer war deutlich erkennbar. Da ihnen Wasser völlig ungewohnt war, sieht man von den kleinen Mengen ab, die sie zum Trinken und für Badezwecke benötigten, wichen die roten Marsbewohner angesichts seiner großen Tiefe und bedrohlichen Bewegung instinktiv zurück. Daß sie furchtlos waren, solange es nur um ihre Fußgelenke plätscherte und sprudelte, sprach für ihre Tapferkeit und Disziplin.
Ich verließ den U-Boot-Raum als letzter, und während ich der hintersten Kolonne zum Korridor folgte, stieg mir das Wasser bis zu den Knien. Der Korridor war ebenfalls so hoch überflutet, denn sein Boden befand sich auf gleicher Höhe wie der des Raumes, von dem er wegführte, und stieg viele Yards auch nicht spürbar an.
Die Truppen marschierten so schnell durch den Korridor, wie es bei der Zahl der Männer möglich war, die einen derart engen Gang zu passieren hatten, doch genügte das Tempo nicht, um gegenüber der voranschreitenden Flut einen merklichen Vorsprung zu erlangen.
Als der Boden anstieg, tat dies auch das Wasser, bis mir, der ich die Nachhut anführte, klar wurde, daß es uns einholte. Ich konnte den Grund dafür erkennen, denn in dem Maße, wie das Wasser zum Scheitelpunkt des Gewölbes anstieg, verengte sich die Ausdehnung von Omean und wuchs die Geschwindigkeit des Ansteigens im umgekehrten Verhältnis zu dem sich ständig verkleinernden Raum, der zu füllen war.
Lange ehe der letzte der Kolonne hoffen konnte, die oberen Gruben zu erreichen, die über dem Gefahrenpunkt lagen, würde das Wasser nach meiner Überzeugung in einer ungeheuren Menge über uns hereinbrechen, so daß die Hälfte der Expedition vollständig ausgelöscht würde.
Als ich nach einer Möglichkeit Ausschau hielt, von den todgeweihten Männern soviel wie möglich zu retten, entdeckte ich zu meiner Rechten einen abzweigenden Korridor, der steil anzusteigen schien. Das Wasser gurgelte nun um meine Taille. Die Männer direkt vor mir wurden schnell von Panik erfaßt. Etwas mußte sofort geschehen, oder sie würden in einem wilden Ansturm über ihre vorausgehenden Gefährten herfallen, mit dem Ergebnis, daß Hunderte unter Wasser getrampelt wurden und die Passage schließlich auf eine Weise verstopft war, die für die Vorausgehenden jede Hoffnung auf einen Rückzug zunichte machte.
Ich strengte meine Stimme bis zum äußersten an und rief den vor mir gehenden Dwars zu: »Ruft die letzten fünfundzwanzig Utane zurück. Hier scheint es einen Fluchtweg zu geben. Kehrt um und folgt mir.«
Nahezu dreißig Utane folgten meinem Befehl, so daß etwa dreitausend Mann umkehrten und, der Flut die Stirn bietend, sich mühsam zu dem Korridor hinarbeiteten, in den ich sie einwies.
Als der erste Dwar mit seinem Utan hineintrat, schärfte ich ihm ein, genau auf meine Kommandos zu achten und sich keinesfalls ins Freie zu wagen oder aus den Gruben in den eigentlichen Tempel vorzudringen, ehe ich bei ihm war »oder du weißt, daß ich gestorben bin, ehe ich dich erreichen konnte«.