Mit meiner schnell schwindenden Kraft unternahm ich eine weitere wahnsinnige Anstrengung. Schwach stieg ich zum letzten Mal auf – meine überanstrengten Lungen lechzten nach Atem, der sie jedoch mit einem fremden und erstarrenden Element füllen würde, aber stattdessen spürte ich den wiederbelebenden Zustrom lebensspendender Luft durch meine gierende Nase in die sterbenden Lungen.
Einige Schwimmzüge brachten mich zu einem Punkt, wo meine Füße den Boden berührten, und kurz danach gelangte ich völlig aus dem Wasser und rannte wie wahnsinnig den Korridor entlang. Ich suchte nach dem ersten Ausgang, der mich nach Issus bringen würde. Sollte ich Dejah Thoris abermals nicht retten können, so war ich wenigstens entschlossen, ihren Tod zu rächen. Doch würde kein anderes Leben meinen Rachedurst befriedigen als das des fleischgewordenen Unholds, der die Ursache allen unermeßlichen Leidens in Barsoom war.
Früher als ich erwartet hatte kam ich an etwas, das mir als plötzlicher Ausgang in den darüber befindlichen Tempel erschien. Er befand sich an der rechten Seite des Korridors, der wahrscheinlich zu weiteren Eingängen in das Gebäude darüber führte.
Für mich war einer so gut wie der andere. Was wußte ich schon, wohin sie alle führten! Ohne darauf zu warten, abermals entdeckt und an meinem Vorhaben gehindert zu werden, lief ich schnell den kurzen, steilen Anstieg hinauf und stieß die Tür an seinem Ende auf.
Sie tat sich langsam nach innen auf, und ehe sie vor mir wieder zugeschlagen werden konnte, sprang ich in den dahinterliegenden Raum. Obwohl die Abenddämmerung noch nicht eingesetzt hatte, war er hell erleuchtet. Seine einzige Bewohnerin lag ausgestreckt auf einer niedrigen Liege auf der anderen Seite und schlief offensichtlich. Auf Grund der Wandbehänge und des reichen Mobiliars des Raumes schlußfolgerte ich, daß es sich um den Wohnraum einer Priesterin, womöglich Issus selbst, handelte.
Bei diesem Gedanken geriet mein Blut in Wallung. Sollte das Schicksal gnädig genug gewesen sein, mir dieses gräßliche Geschöpf allein und schutzlos in die Hände zu spielen? Mit ihr als Geisel konnte ich die Erfüllung all meiner Forderungen durchsetzen. Vorsichtig näherte ich mich der Daliegenden auf leisen Sohlen. Ich kam ihr immer näher, doch ich hatte den Raum erst zur Hälfte durchquert, als sie sich bewegte und sich bei meinem Hinzueilen aufrichtete und mich anblickte.
Zunächst spielte sich Angst auf dem Gesicht der Frau, die mich ansah, dann ungläubige Verwirrung, dann Hoffnung und Dankbarkeit.
Mein Herz hämmerte in meiner Brust, als ich zu ihr trat, Tränen stiegen mir in die Augen, Worte, die aus mir herausbrechen wollten, blieben mir in der Kehle stecken, als ich meine Arme ausbreitete und einmal mehr die Frau an mich drückte, die ich liebte – Dejah Thoris, Prinzessin von Helium.
22. Sieg und Niederlage
»John Carter, John Carter«, schluchzte sie und druckte ihr liebes Köpfchen an meine Schulter. »Selbst jetzt kann ich kaum glauben, was meine Augen mir sagen. Als dieses Mädchen, Thuvia, mir sagte, du seist nach Barsoom zurückgekehrt, hörte ich es zwar, konnte es jedoch nicht verstehen, weil ich mir sagte, ein solches Glück sei unmöglich für jemanden, der all diese Jahre in der schweigenden Einsamkeit so gelitten hatte. Als ich schließlich erfaßte, daß es wahr war, und erfuhr, an welch schrecklichem Ort man mich gefangenhielt, zweifelte ich doch, daß selbst du mich hier erreichen könntest.
Als die Tage verstrichen und ein Mond nach dem anderen vorüberging, ohne daß mich auch nur die leiseste Kunde von dir erreichte, ergab ich mich in mein Schicksal Und nun, da du gekommen bist, kann ich es kaum glauben. Seit einer Stunde höre ich den Lärm einer Auseinandersetzung im Palast. Ich wußte nicht, was es bedeutete, doch ich hoffte gegen jede Vernunft, daß es die Männer von Helium seien, angeführt von meinem Prinzen.«
Und nun sage mir: »Wie geht es Carthoris, unserem Sohn?«
»Noch vor knapp einer Stunde waren wir zusammen, Dejah Thoris«, erwiderte ich. »Es müssen seine Männer gewesen sein, die du in den Räumen des Tempels hast kämpfen hören.«
»Wo ist Issus?« fragte ich plötzlich. Sie zuckte die Schultern.
»Sie schickte mich vor Ausbruch der Kampfe in den Tempelhallen unter Bewachung in diesen Raum und sagte mir, sie werde mich später holen lassen Sie schien sehr zornig zu sein und auch furchterfüllt. Ich habe sie nie so unsicher und fast verängstigt auftreten sehen. Nun weiß ich Sie hat gewiß erfahren, daß John Carter, Prinz von Helium, heranruckte, um sie für die Einkerkerung seiner Prinzessin zur Rechenschaft zu ziehen.«
Kampfeslärm, Waffengeklirr, Geschrei und die eiligen Schotte vieler Fuße erreichten uns aus verschiedenen Teilen des Tempels. Ich wußte, daß man mich dort brauchte, wagte jedoch nicht, Dejah Thoris zu verlassen, wollte sie wiederum auch nicht in den Aufruhr und die Gefahren des Kampfes mitnehmen.
Schließlich fielen mir die Gruben ein, aus denen ich soeben aufgetaucht war Warum sollte ich sie nicht dort verstecken, bis ich zurückkehrte und sie in Sicherheit und für immer von diesem gräßlichen Ort wegbringen konnte? Ich erläuterte ihr meinen Plan.
Sie klammerte sich einen Augenblick noch fester an mich.
»Ich kann es nicht ertragen, jetzt von dir getrennt zu werden, nicht einmal für eine kurze Zeit, John Carter«, sagte sie. »Ich schaudere bei dem Gedanken, wieder allein zu sein, wo diese gräßliche Kreatur mich finden konnte. Du kennst sie nicht. Niemand kann sich vorstellen, wie wild und grausam sie ist, der sie nicht über ein halbes Jahr bei ihren täglichen Verrichtungen beobachtet hat. Ich habe fast die ganze Zeit gebraucht, um selbst die Dinge richtig zu erfassen, die ich mit eigenen Augen gesehen hatte.«
»Dann werde ich dich nicht verlassen, meine Prinzessin«, erwiderte ich.
Sie schwieg eine Weile, dann zog sie mein Gesicht zu ihrem und küßte mich.
»Geh, John Carter«, sagte sie. »Unser Sohn ist dort mit seinen Soldaten, sie kämpfen um die Prinzessin von Helium. Wo sie sind, solltest auch du sein. Ich darf jetzt nicht an mich denken, sondern nur an sie und die Pflichten meines Gatten. Dem darf ich nicht im Wege stehen. Versteck mich in den Gruben und geh.«
Ich führte sie zu der Tür, durch welche ich den Raum von unten betreten konnte. Dort drückte ich sie zärtlich an mich, geleitete sie über die Schwelle, küßte sie abermals und schloß die Tür hinter ihr, wenngleich es mir das Herz zerriß und mich mit den dunkelsten Schatten schrecklicher Vorahnungen erfüllte.
Ohne langer zu zögern, eilte ich von dem Gemach in Richtung des größten Lärms davon. Ich hatte kaum ein halbes Dutzend Räume durchquert, als ich auf den Schauplatz eines furchtbaren Kampfes geriet. Die Schwarzen drängten sich in Massen am Eingang zu einem großen Saal, wo sie versuchten, das weitere Vordringen einer Gruppe roter Menschen in die inneren geheiligten Räume des Tempels zu verhindern.
Da ich von innen kam, fand ich mich hinter den Schwarzen, und ohne zu warten oder auch ihre Anzahl beziehungsweise die Torheit meines Vorgehens einzukalkulieren, griff ich schnell durch den Raum an und überfiel sie von hinten mit meinem Langschwert.
Als ich den ersten Schlag führte, rief ich laut »Für Helium!«. Dann ließ ich Hieb auf Hieb auf die überraschten Krieger niederprasseln, während die Roten draußen beim Klang meiner Stimme Mut faßten und mit dem Ruf »John Carter! John Carter!« ihre Anstrengungen so wirksam verdoppelten, daß die Reihen der Schwarzen aufgebrochen waren, ehe diese sich von ihrer zeitweiligen Verwirrung erholen konnten, und die roten Menschen in den Raum fluteten.
Der Kampf in diesem Gemach wäre als ein historisches Denkmal des grimmigen Ungestüms seines kriegerischen Volkes in die Annalen von Barsoom eingegangen, wäre nur ein fähiger Chronist zur Stelle gewesen. Fünfhundert Mann kämpften dort an diesem Tag, die schwarzen Männer gegen die roten. Niemand bat um Gnade oder gab Pardon. Sie kämpften wie in stillem Übereinkommen, als wollten sie ein für allemal ihr Recht auf Leben behaupten entsprechend dem Wolfsgesetz des Sieges des Stärkeren.