Ein weiteres Mal ließ sich das schreckliche Lachen vernehmen, diesmal kam es aus einer anderen Ecke.
»Höchst unheimlich«, bemerkte ich.
»Was sollen wir tun?« fragte Tars Tarkas. »Wir können nicht mit der Luft kämpfen. Lieber kehre ich um und trete Feinden aus Fleisch und Blut gegenüber, gegen die ich die Klinge schwingen kann und bei denen ich weiß, daß es sie teuer zu stehen kommt, mich in das ewige Vergessen zu stoßen, das offenbar die schönste und wünschenswerteste Ewigkeit ist, auf die der Sterbliche zu hoffen wagt.«
»Wenn es so ist, Tars Tarkas, wie du sagst, daß wir nicht mit der Luft kämpfen können, dann ist es andererseits auch unmöglich, von der leeren Luft angegriffen zu werden. Ich habe in meinem Leben Tausenden von starken Kriegern und gehärteten Klingen gegenübergestanden. So leicht bläst mich der Wind nicht um und dich auch nicht, Thark.«
»Aber unsichtbare Stimmen können von unsichtbaren Kreaturen mit unsichtbaren Klingen stammen«, entgegnete der grüne Krieger.
»Unsinn, Tars Tarkas«, rief ich. »Diese Stimmen stammen von Sterblichen wie dir und mir. In ihren Adern fließt Blut, das sie genauso verlieren können wie wir unseres. Die Tatsache, daß sie sich uns nicht zeigen, ist für mich lediglich der beste Beweis, daß sie sterblich und schon gar nicht überragend mutig sind. Glaubst du, Tars Tarkas, daß John Carter beim ersten Schrei eines feigen Feindes Reißaus nimmt, der sich lieber versteckt hält und sich fürchtet, einer scharfen Klinge entgegenzutreten?«
Ich hatte laut gesprochen, um auch sicher zu gehen, daß unsere eventuellen Angreifer mich hörten, denn langsam wurde ich dieses nervenzermürbenden Theaters überdrüssig. Außerdem war mir eingefallen, daß man uns vielleicht nur einschüchtern wollte, um uns zurück ins Tal zu treiben, wo ein sicherer Tod unser harrte.
Lange Zeit war Stille. Plötzlich vernahm ich hinter mir ein leises Geräusch, fuhr herum und erblickte ein großes, vielfüßiges Banth, das sich unbemerkt von hinten angepirscht hatte.
Das Banth ist ein wildes Raubtier, das in den Anhöhen an den Küsten der toten Marsmeere haust. Wie fast alle Lebewesen vom Mars ist es bis auf eine dichte, borstige Mähne um den dicken Hals fast haarlos.
Der lange, biegsame Körper wird von zehn starken Beinen getragen, die riesigen Kiefer sind wie beim Calot, dem Marshund, mit mehreren Reihen langer, nadelspitzer Zähne ausgerüstet. Das Banth vermag das Maul bis weit hinter die winzigen Ohren aufzureißen. Die riesigen, hervorstehenden, grünen Augen verleihen dem bereits ohnehin grauenerregenden Anblick einen zusätzlichen Schrecken.
Es kroch auf mich zu, peitschte dabei mit dem kräftigen Schwanz die gelben Flanken und stieß, als es sich entdeckt wußte, das beängstigende Gebrüll aus, mit dem es, bevor es zum Sprung ansetzt, sein Opfer für kurze Zeit zu lähmen pflegt.
Dann warf es sich mit dem riesenhaften Körper auf mich. Doch sein Geheul hatte keinerlei Wirkung, und so biß es in kalten Stahl anstelle in zartes Fleisch, nach welchem es die grausamen Kreatur gelüstete.
Den Bruchteil einer Sekunde später zog ich meine Klinge aus dem stummen Herzen dieses großen Löwen von Barsoom. Als ich zu Tars Tarkas blickte, war ich überrascht, ihn ebenfalls einem solchen Banth gegenüberzusehen.
Er entledigte sich seines Angreifers ebenso schnell wie ich. Als ich mich einem Reflex folgend umsah, ging schon der nächste dieser grimmigen Marsbewohner zum Angriff über.
Von dem Moment an sprang uns eine schreckliche Kreatur nach der anderen scheinbar aus der leeren Luft an. Dies dauerte eine reichliche Stunde.
Tars Tarkas war’s zufrieden, denn hier hatte er einen greifbaren Gegner, den er mit seiner breiten Klinge dahinmetzeln konnte. Ich für meinen Teil fand diese Situation besser als den düsteren Prophezeiungen eines Spukgespenstes zu lauschen.
An unseren neuen Widersachern war nichts Übernatürliches, wie man an ihrem Wutgeheul erkennen konnte, wenn der scharfe Stahl sich in sie senkte, sowie an dem sehr realen Blut, das ihren verletzten Adern entströmte, wenn sie auf unprätentiöse Weise verendeten.
Ich stutzte, weil unsere neuen Angreifer nur von hinten auftauchten. Nicht eins der Biester entstammte dem Nichts vor uns. Keine Sekunde ließ ich mich täuschen, da mein gesunder Menschenverstand mir sagte, daß sie durch einen verborgenen rückwärtigen Eingang zu uns kommen mußten.
Unter den Ornamenten von Tars Tarkas’ Lederzeug, dem einzigen Kleidungsstück, das die Marsmenschen abgesehen von Seidenumhängen und Pelzüberwürfen tragen, um sich nach Einbruch der Dunkelheit vor der Kälte zu schützen, befand sich ein handgroßer Spiegel, der auf seinem breiten Rücken hing.
Als er gerade vor einem just zu Boden gegangenen Widersacher stand und ihn betrachtete, fiel mein Blick zufällig auf diesen Spiegel, dessen glänzende Oberfläche mir etwas zeigte, das mich flüstern ließ: »Tars Tarkas, bleibe so stehen! Rühr dich nicht!«
Ohne nach dem Grund zu fragen, stand er wie versteinert, so daß ich die merkwürdige Szene verfolgen konnte, die wichtig für unser weiteres Los war.
Ich sah, wie sich ein Stück der Wand hinter mir bewegte. Es war eine Drehtür, mit deren Bewegung sich gleichzeitig ein Stück des Bodens verschob. Man stelle sie sich so vor wie eine kreisrunde Scheibe, in deren Mitte man senkrecht eine Karte setzt. Die Karte stand für den Teil der Wand, der sich gedreht hatte, die Scheibe für das Stück des Bodens. Beide waren genau an das angrenzende Wand- und Bodenstück eingepaßt, so daß im vorherrschenden Dämmerlicht nicht das geringste zu erkennen gewesen war.
Als die Drehung halb vollzogen war, erblickten wir ein großes Banth, das auf dem Teil der uns zuvor abgewandten Seite saß. Als sich die Tür schloß, befand sich die Kreatur bei uns im Raum – das Prinzip war sehr einfach.
Doch was mich am meisten interessierte, war das, was ich durch die Öffnung sehen konnte, die während der Drehung entstand. Ich erblickte einen großen, hell beleuchteten Raum, in dem mehrere Männer und Frauen an der Wand angekettet waren. Davor saß ein bösartig aussehender Mann, der weder die Hautfarbe der roten noch der grünen Marsmenschen hatte, sondern weiß war wie ich. Seinen Kopf bedeckte eine Fülle wallenden, gelblichen Haares. Offenbar gab er die Befehle und steuerte die Bewegungen der Geheimtür.
Die Gefangenen hinter ihm waren rote Marsmenschen. Neben diesen waren mehrere der wilden Biester angekettet, wie man sie zu uns geschickt hatte, und weitere, nicht minder wild dreinblickende Kreaturen.
Als ich mich dann meinem Gefährten zuwandte, war mir wesentlich leichter.
»Sieh zur Wand dir gegenüber, Tars Tarkas«, sagte ich. »Die Biester werden durch Geheimtüren auf uns losgelassen.« Ich stand ganz dicht bei ihm, damit unsere Peiniger nicht wußten, daß sie durchschaut waren.
So lange wir beide auf die Drehtür blickten, wurden keine weiteren Angriffe auf uns unternommen. Daraus schloß ich wiederum, daß die Zugänge irgendein Guckloch besaßen und man uns von außen beobachten konnte.