»Ja.«
»Bestimmt hat er Ihnen ein schönes Garn gesponnen«, kicherte der Pförtner. »Er hat Ihnen ein Garn gesponnen, was? Sie können den schönsten Humbug erzählen wie die Pfaffen, Sir. Aber es ist ganz einfach zu wissen, wann ein Busche lügt, Sir, ganz einfach.«
»Das würde ich gern hören«, sagte Sandman.
»Sie reden, Sir, daher wissen Sie, dass sie lügen, sie reden.« Der Pförtner hielt das für einen guten Witz und schüttelte sich vor Lachen, als Sandman die Treppe hinunterging.
Er stand auf dem Bürgersteig, ohne die Passanten zu bemerken. Er fühlte sich besudelt durch den Gefängnisbesuch. Er ließ den Deckel seiner Breguet aufspringen, sah, dass es kurz nach halb zwei Uhr nachmittags war, und fragte sich, wo sein Tag geblieben war. Für Rider, in aeternam, lautete Eleanors Inschrift im Uhrendeckel, und dieses erwiesenermaßen falsche Versprechen trug auch nicht zur Besserung seiner Stimmung bei. Er ließ gerade den Deckel zuschnappen, als ein Arbeiter ihm eine Warnung zurief. Nachdem Falltür, Pavillon und Treppe des Galgengerüsts abgebaut waren, wurden die Dielenbretter des Podeste heruntergeworfen, und die Planken fielen gefährlich dicht neben Sandman zu Boden. Ein Fuhrmann mit einem riesigen Wagen Backsteine peitschte die Flanken seiner Pferde blutig, obwohl die Tiere in dem Gewirr der Fahrzeuge, die die Straße blockierten, nicht weiterkommen konnten.
Sandman steckte die Uhr in die Tasche und wandte sich nach Norden. Er war hin- und hergerissen. Das Gericht hatte Corday schuldig befunden, doch obwohl Sandman keinerlei Sympathien für den jungen Mann aufzubringen vermochte, fand er seine Geschichte glaubwürdig. Der Pförtner hatte sicher Recht, in Newgate war jeder von seiner eigenen Unschuld überzeugt, aber Sandman war auch nicht völlig naiv. Er hatte mit großem Geschick eine Kompanie Soldaten geführt und hielt sich für fähig zu erkennen, wann ein Mann die Wahrheit sagte. Wenn Corday unschuldig war, ließen sich die fünfzehn Guineen, die Sandman schwer in der Tasche lasteten, weder schnell noch leicht verdienen.
Er brauchte Rat.
Also ging er zum Kricket.
2
Sandman erreichte die Bunhill Row, kurz bevor die Uhren der Stadt drei schlugen und die Glocken vorübergehend den Aufprall des Schlägers auf dem Ball, die lauten Rufe und den Applaus der Zuschauer übertönten. Es klang nach einer großen Zuschauermenge und einem guten Spiel. Der Wachposten am Tor winkte ihn durch. »Von Ihnen nehme ich den Sixpence nicht, Captain.«
»Sollten Sie aber, Joe.«
»Ja, und Sie sollten spielen, Captain.« Joe Mallock, Wächter des Artilleriegeländes, hatte früher als Werfer für die vornehmsten Clubs von London gespielt, bis ihm seine schmerzenden Gelenke zu schaffen machten. Er erinnerte sich noch gut an eines seiner letzten Spiele, bei dem ein junger Armeeoffizier, der kaum die Schule hinter sich hatte, ihn über das gesamte Außenfeld an der New Road in Marylebone gejagt hatte. »Wir haben Sie schon viel zu lange nicht mehr spielen sehen, Captain.«
»Ich habe meine besten Zeiten hinter mir, Joe.«
»Ihre besten Zeiten hinter sich, Junge? Ihre besten Zeiten hinter sich! Sie sind doch noch keine dreißig. Gehen Sie nur rein. Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass England mit sechsundfünfzig Läufen vorne liegt und nur noch vier ausstehen. Sie brauchen Sie!«
Als Sandman zum Spielfeld kam, erntete gerade ein Spielzug lautes Gejohle. Die Elf des Marquess of Canfield spielte gegen eine englische Mannschaft, und einer der Feldspieler des Marquess hatte einen einfachen Ball fallen lassen und sich den Zorn der Menge zugezogen. »Rutschige Finger!«, grölten sie. »Holt ihm einen Eimer!«
Mit einem Blick auf die Tafel sah Sandman, dass England im zweiten Innings nur sechzig Läufe vorn lag und noch vier Schläger ausstanden. Der größte Teil der Zuschauer feuerte die englische Mannschaft an und bejubelte einen guten Schlag, der den Ball an das andere Ende des Spielfelds beförderte. Der Werfer in der Mannschaft des Marquess, ein bärtiger Riese, spuckte auf den Rasen und starrte ins Blaue, als sei er taub für den Lärm der Menge. Sandman beobachtete, wie der Schlagmann, es war Budd, zum Tor ging und ein ohnehin schon glattes Rasenstück glättete.
Sandman schlenderte an den Kutschen vorbei, die am Spielfeldrand standen. Der weißhaarige, weißbärtige Marquess of Canfield, der mit einem Fernglas in einem Landauer saß, bedachte Sandman mit einem kurzen Kopfnicken und schaute dezidiert fort. Noch vor einem Jahr, bevor Sandmans Vater der Familie Schande gemacht hatte, hätte der Marquess ihn gegrüßt, ein paar Worte mit ihm gewechselt und Sandman gebeten, für seine Mannschaft zu spielen, aber da nun der Name Sandman besudelt war, schnitt der Marquess ihn bewusst. Doch wie zur Entschädigung winkte eine Hand auffällig aus einem offenen Wagen, der ein Stück weiter entfernt am Spielfeldrand stand, und eine Stimme rief eifrig: »Rider! Hierher! Rider!«
Hand und Stimme gehörten einem großen jungen Mann mit markantem Gesicht, der auffallend dünn und schlaksig war, schäbige schwarze Kleidung trug und eine Tonpfeife rauchte, aus der Asche auf seine Weste und seinen Gehrock rieselte. Sein rotes Haar hätte dringend einer Schere bedurft, denn es fiel ihm in sein Gesicht mit der langen Nase und legte sich flammrot über seinen breiten, altmodischen Kragen. »Lass den Kutschentritt herunter«, empfahl er Sandman. »Komm rein. Du kommst viel zu spät. Heydell hat dreiundvierzig Läufe im ersten Durchgang gemacht, hervorragend gespielt. Wie geht es dir, mein Lieber? Fowkes wirft unglaublich gut, aber ein bisschen ungenau. Budd ist noch an der Reihe als Schlagmann, und der Bursche, der gerade reingekommen ist, heißt Fellowes, ich weiß rein gar nichts über ihn. Eigentlich solltest du hier spielen. Du siehst blass aus. Isst du überhaupt ordentlich?«
»Ich esse, und du?«, antwortete Sandman.
»Gott erhält mich in seiner unendlichen Weisheit, er erhält mich.« Reverend Lord Alexander Pleydell lehnte sich zurück. »Wie ich sehe, hat mein Vater dich ignoriert?«
»Er hat mir zugenickt.«
»Er hat genickt? Ach! Welche Gnade. Stimmt es, dass du für Sir John Hart gespielt hast?«
»Gespielt und verloren!«, sagte Sandman verbittert. »Sie waren bestochen.«
»Mein lieber Rider! Ich habe dich vor Sir John gewarnt! Der Mann ist die reine Gier. Er wollte nur, dass du für ihn spielst, damit alle glauben, seine Mannschaft sei unbestechlich, und das hat ja auch funktioniert, oder? Ich hoffe nur, er hat dich gut bezahlt, denn deine Gutgläubigkeit muss ihm einen Haufen Geld eingebracht haben. Möchtest du Tee? Natürlich. Hughes soll uns Tee und Kuchen von Mrs. Hillmans Stand holen, meinst du nicht auch? Budd macht einen guten Eindruck, nicht? Was für ein Schlagmann! Hast du je seinen Schläger hochgehoben? Das ist eine Keule, ein richtiger Knüppel! Ja, gut gemacht, Sir! Gut getroffen! Geh ran, Sir, geh ran!« Er feuerte die englische Mannschaft so lautstark an, dass sein Vater, dessen Mannschaft gegen England spielte, es hören musste. »Kapital, Sir, gut gemacht! Hughes, lieber Freund, wo stecken Sie?«
Hughes, Lord Alexanders Diener, trat an den Wagen. » Mylord? «
»Begrüßen Sie Captain Sandman, Hughes, und ich denke, wir könnten eine Kanne von Mrs. Hillmans Tee vertragen, meinen Sie nicht? Vielleicht auch etwas von ihrem Aprikosenkuchen?« Seine Lordschaft drückte seinem Diener Geld in die Hand. »Was sagen die Buchmacher, Hughes?«
»Sie favorisieren die Mannschaft Ihres Vaters, Mylord.«
Lord Alexander gab seinem Diener zwei weitere Münzen. »Captain Sandman und ich setzen jeder eine Guinee auf einen Sieg Englands.«
»So etwas kann ich mir nicht leisten«, wandte Sandman ein, »außerdem verabscheue ich Kricketwetten.«
»Blas dich nicht so auf«, antwortete Lord Alexander, »wir bestechen nicht die Spieler, wir riskieren bloß etwas Geld auf unsere Würdigung ihres Könnens. Du siehst wirklich blass aus, Rider, wirst du krank? Vielleicht die Cholera? Die Pest? Auszehrung?«