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»Gefängnisfieber.«

»Mein lieber Freund!« Lord Alexander war entsetzt. »Gefängnisfieber? Mein Gott, setz dich hin«. Der Wagen schwankte, als Sandman sich seinem Freund gegenüber setzte. Sie hatten dieselbe Schule besucht, waren dort zu unzertrennlichen Freunden geworden, und Sandman, der immer schon ein herausragender Sportler und damit einer der Schulhelden war, hatte Lord Alexander vor den Rüpeln beschützt, die glaubten, sich über den Klumpfuß Seiner Lordschaft lustig machen zu können. Nach dem Schulabschluss hatte Sandman sich ein Offizierspatent bei der Infanterie gekauft, während Lord Alexander als zweiter Sohn des Marquess of Canfield in Oxford studiert und dort einen Doppelabschluss mit Auszeichnung gemacht hatte. »Erzähl mir nicht, dass man dich ins Gefängnis gesteckt hat«, schimpfte Lord Alexander nun.

Grinsend zeigte Sandman seinem Freund das Schreiben des Innenministeriums und schilderte ihm seine Erlebnisse, wobei er ständig durch Lord Alexanders Jubelrufe oder Zornausbrüche über den Spielverlauf unterbrochen wurde. Unterdessen vertilgte er Mrs. Hillmans Aprikosenkuchen, dessen Krümel sich zu der Asche auf seiner Weste gesellten. Er hatte immer eine Tasche mit gestopften Tonpfeifen zur Hand, und sobald eine sich zusetzte, nahm er eine andere heraus und schlug mit einem Feuerstein auf Stahl. Die Funken, die der Feuerstein sprühte, glimmten auf seinem Gehrock und dem Ledersitz des Wagens weiter, wo Seine Lordschaft sie entweder ausschlug oder von allein verlöschen ließ, während er weiterrauchte. »Ich muss sagen, ich halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass der junge Corday schuldig ist«, sagte er, nachdem er über Sandmans Bericht nachgedacht hatte.

»Aber er wurde verurteilt.«

»Mein lieber Rider! Mein lieber, lieber Rider! Rider, Rider. Rider! Warst du je bei einer Gerichtsverhandlung in Old Bailey? Natürlich nicht, du warst viel zu beschäftigt, die Franzosen zu schlagen, du armer Teufel. Aber ich wage zu behaupten, dass die vier Richter dort in einer Woche hundert Fälle verhandeln. Fünf pro Tag? Oft sogar noch mehr. Diese Leute bekommen keinen Prozess, Rider, sie werden durch den Tunnel von Newgate herübergeschleift, treten blinzelnd in den Gerichtssaal, kommen unter den Hammer wie die Ochsen und werden in Fußeisen abgeführt. Das ist keine Gerechtigkeit!«

»Sie werden doch aber verteidigt?«

Lord Alexander schaute seinen Freund entsetzt an. »Diese Verhandlungen finden nicht vor deinem Kriegsgericht statt, Rider. Wir sind hier in England! Welcher Anwalt verteidigt schon einen mittellosen Jugendlichen, der wegen Schafdiebstahl angeklagt ist?«

»Corday ist nicht mittellos.«

»Aber ich wette, er ist auch nicht reich. Mein Gott, Rider, die Frau wurde nackt und blutüberströmt aufgefunden mit seinem Farbmesser in der Kehle.«

Sandman schaute zu, wie die Schlagpartei einen kurzen Lauf errang, während der Ball nach einem wenig eleganten Schlag zum Fänger trudelte, und nahm amüsiert zur Kenntnis, dass sein Freund über die Details des Corday-Falles im Bilde war. Das ließ vermuten, dass er sich in vulgäre Schilderungen der blutigen Gewaltverbrechen Englands vertiefte, wenn er nicht gerade philosophische, theologische oder literarische Werke studierte. »Du nimmst also an, dass Corday schuldig ist«, sagte Sandman.

»Nein, Rider, ich nehme an, dass es aussieht, als sei er schuldig. Das ist ein Unterschied. In jedem ordentlichen Rechtssystem würden wir auf Mittel und Wege sinnen, zwischen dem Anschein von Schuld und tatsächlicher Schuld zu unterscheiden. Aber nicht in Sir John Silvesters Gerichtssaal. Der Mann ist ein Rohling, ein gewissenloser Rohling. Aaah, guter Schlag, Budd, guter Schlag! Lauf, Mann, lauf doch! Trödel nicht rum!« Seine Lordschaft nahm eine neue Pfeife und schickte sich an, sich in Brand zu stecken. »Das ganze System ist verderbt! Völlig verderbt! Sie verurteilen Hunderte Leute zum Tode, richten aber nur zehn hin, weil bei den übrigen das Urteil umgewandelt wird. Und wie erreichst du eine Umwandlung? Indem du den Gutsbesitzer, den Pfarrer oder Seine Lordschaft gewinnst, die Petition zu unterschreiben. Aber was ist, wenn du keine hoch gestellten Leute kennst? Dann richten sie dich hin. Am Galgen. Dummkopf! Dummkopf! Hast du das gesehen? Fellowes ist aus, meine Güte! Mittelpfosten! Hat die Augen zugemacht und geschwankt! Man sollte ihn aufhängen. Siehst du, was passiert, Rider? Die Gesellschaft, also anständige Leute wie du und ich, also zumindest du, haben eine Möglichkeit entwickelt, die unteren Stände im Griff zu halten. Wir machen sie von unserer Gnade und unserem gütigen Wohlwollen abhängig. Wir verurteilen sie zum Tod durch den Strang, anschließend verschonen wir sie, und sie sollen dafür dankbar sein. Dankbar! Es ist verderbt.« Lord Alexander regte sich gründlich auf. Er rang die Hände und brachte sein ohnehin schon zerzaustes Haar in noch größere Unordnung. »Diese verdammten Tories«, schimpfte er auf Sandman ein, den er in dieses vernichtende Urteil einbezog, »völlig verderbt!« Er runzelte die Stirn, doch dann kam ihm ein guter Einfall. »Rider, du und ich, wir gehen zu einer Hinrichtung!«

»Nein!«

»Es ist deine Pflicht, mein lieber Freund. Da du jetzt eine Amtsperson dieses unterdrückerischen Staates bist, solltest du wissen, welche Brutalität diese unschuldigen Seelen erwartet. Ich schreibe an den Gefängnisverwalter von Newgate und bitte ihn, dir und mir privilegierten Zugang zur nächsten Hinrichtung zu verschaffen. Ach, ein Schlagmannwechsel. Dieser Bursche soll angeblich ein Könner sein. Kommst du heute Abend zu mir zum Abendessen?«

»Nach Hampstead?«

»Natürlich nach Hampstead«, antwortete Lord Alexander, »schließlich lebe und esse ich dort, Rider.«

»Dann komme ich nicht.«

Lord Alexander seufzte. Er hatte Sandman eindringlich zu überreden versucht, in sein Haus zu ziehen, und Sandman mit diesem Angebot ernstlich in Versuchung geführt. Denn Lord Alexanders Vater war zwar mit den radikalen Ansichten seines Sohnes durchaus nicht einverstanden, verwöhnte ihn aber trotzdem mit einer großzügigen Zuwendung, die den Radikalen in den Genuss eines Gespanns, eines Reitstalls, mehrerer Bediensteter und einer erlesenen Bibliothek brachte, aber Sandman hatte die Erfahrung gemacht, dass sein Freund und er unweigerlich in heftigen Streit gerieten, wenn sie länger als einige Stunden zusammen waren. Es war wesentlich besser, unabhängig zu bleiben.

»Ich habe Eleanor letzten Samstag getroffen«, sagte Lord Alexander in seiner üblichen Taktlosigkeit.

»Ich nehme an, es geht ihr gut?«

»Davon bin ich überzeugt, aber ich glaube, ich habe ganz vergessen, sie danach zu fragen. Aber warum sollte ich auch? Es erscheint mir völlig überflüssig. Sie lag offensichtlich nicht im Sterben, sah gut aus, wieso sollte ich also fragen? Erinnerst du dich an Paleys Prinzipien

»Ist das ein Buch?«, fragte Sandman, wofür er einen fassungslosen Blick erntete. »Ich habe es nicht gelesen«, fügte er hastig hinzu.

»Was hast du eigentlich mit deinem Leben gemacht?«, fragte Lord Alexander gereizt. »Ich werde es dir borgen, aber nur damit du die üblen Argumente verstehst, die für den Galgen vorgebracht werden.« Zur Untermauerung seiner folgenden Worte bohrte Lord Alexander Sandman das Mundstück seiner Pfeife in die Brust. »Weißt du, dass Paley es tatsächlich verzeihlich findet, Unschuldige hinzurichten, und zwar mit dem Scheinargument, dass die Todesstrafe notwendig ist, Irrtümer sich in einer unvollkommenen Welt nicht ausschließen lassen und die Unschuldigen daher für die Sicherheit der ganzen Gesellschaft leiden. Unschuldige, die hingerichtet werden, stellen somit also ein unvermeidliches, wenn auch bedauerliches Opfer dar. Kannst du eine solche Argumentation nachvollziehen? Dafür sollte man Paley aufhängen!«

»War er nicht ein Mann der Kirche?«, fragte Sandman, während er einem gekonnten Spielzug Beifall zollte, der einen Feldspieler bis an die Außenlinie an der Chiswell Street laufen ließ.