Der Verwalter schaute nach oben. »Sie bringen sich mit Ihrem Gerede um Ihre Arbeit, Mister Pickering.«
»Ich wäre sonntags lieber zu Hause bei Mrs. Pickering, Sir. Und wenn Sie da oben eine Plattform hätten, würde sie den Verkehr nicht behindern und die Leute könnten besser sehen.«
»Vielleicht sogar zu gut?«, sagte der Verwalter. »Ich weiß nicht so recht, ob die Leute den Todeskampf sehen sollten.«
Bei diesem Gerüst mit seinen verhängten Seitenwänden konnten nur die Leute, die sich einen Platz an den oberen Fenstern dem Gefängnis gegenüber mieteten, in die Fallgrube schauen, wo die Gehenkten mit dem Tode rangen.
»In der Horsemonger Lane sehen sie den Todeskampf ja auch«, wandte Pickering ein. »Die Leute haben es gern, wenn sie sie richtig sterben sehen. Deshalb gefiel ihnen Tyburn so gut! In Tyburn konnte man gut sehen.« Im vorigen Jahrhundert wurden die zum Tode Verurteilten auf einem Wagen von Newgate auf die Freiflächen in Tyburn gefahren, wo ständig ein Galgen mit drei Galgenbäumen stand, umgeben von Sitzreihen. Die Fahrt dauerte zwei Stunden, immer wieder unterbrochen von Aufenthalten, wenn die Zuschauer aus den Schänken die Straße verstopften. Die Behörden hatten die Karnevalsstimmung verabscheut, die mit Hinrichtungen in Tyburn immer einhergegangen war, und aus diesem Grund hatten sie in der Überzeugung, dass Hinrichtungen vor dem Gefängnis Newgate würdiger ablaufen würden, das alte dreieckige Galgengerüst abgebaut und die Fahrt durch den Pöbel abgeschafft. »Ich habe die letzte Hinrichtung in Tyburn miterlebt«, erzählte Pickering, »ich war damals erst sieben, aber ich habe das nie vergessen!«
»Es soll sich ja auch einprägen«, sagte der Gefängnisverwalter, »sonst wäre es ja wohl keine Abschreckung, oder? Warum sollen wir also den Todeskampf verbergen? Ich bin fest überzeugt, dass Sie Recht haben, Mister Pickering, und werde Ihren Vorschlag an den Stadtrat weiterleiten.«
»Nett von Ihnen, Sir, sehr nett von Ihnen.« Pickering tippte sich mit dem Knöchel an die Stirn. »Gibt es morgen viel zu tun, Sir?«
»Nur zwei«, sagte der Verwalter, »aber einer von ihnen ist der Maler Corday. Sie erinnern sich? Das war der Bursche, der die Countess of Avebury erstochen hat.« Er seufzte. »Wird eine ganz schöne Menge Volk anlocken.«
»Bei dem schönen Wetter allemal, Sir.«
»Sicher, sicher«, sagte der Verwalter, »wenn es schön bleibt.« Er trat beiseite, als ein Küchenmädchen seiner Frau mit einem großen Porzellankrug die Treppe hinunter zu dem Milchmädchen lief, das die Milch in zwei großen Kübeln mit Deckel an einem Joch über den Schultern trug. »Riech dran, Betty«, rief er hinter ihr her, »riech dran! Letzte Woche war die Milch sauer.«
Das Ständerwerk wurde zusammengesteckt und mit Holznägeln gesichert, während die Seitenverkleidung und die schwarzen Stoffbahnen, mit denen das gesamte Gerüst verhüllt wurde, auf dem Bürgersteig gestapelt waren. Der Verwalter klopfte seine Pfeife an dem schwarzen Türklopfer aus und ging hinein, um sich für den Sonntagsgottesdienst umzuziehen. Es herrschte kaum Verkehr auf Old Bailey, nur einige Gaffer schauten zu, wie das Galgengerüst allmählich wuchs, und ein halbes Dutzend Sängerknaben blieben auf dem Weg zur Kirche St. Sepulchre stehen und schauten mit offenem Mund zu, wie der schwere Galgenbaum mit den dunklen Metallhaken aus dem Gefängnis getragen wurde. Ein Kellner aus dem Magpie and Stump brachte den Arbeitern ein Tablett mit gefüllten Bierkrügen auf Kosten des Wirtes, der das gute Dutzend Männer den ganzen Tag über bestens versorgen würde. Es war Tradition, die Gerüstbauer mit Freibier zu versorgen, zumal der Galgen der Schänke am kommenden Tag ein lebhaftes Geschäft bereiten würde.
Weiter östlich in Wapping öffnete ein Schiffsausrüster einem Kunden die Hintertür. Sein Laden war sonntags geschlossen, aber dieser Kunde war etwas Besonderes. »Wie es aussieht, wird es morgen schön, Jemmy«, sagte der Händler.
»Dann kommen bestimmt viele Leute«, sagte Mister Botting und schob sich an Tauen und Taljen vorbei in den Laden, »ich habe es gern, wenn viele kommen.«
»Ein geschickter Mann braucht ein dankbares Publikum«, sagte der Händler und führte seinen Kunden an einen Tisch, auf dem er zwei zwölf Fuß lange Hanfseile für Botting bereit gelegt hatte. »Einzölliges Seil, Jemmy, geölt und gekocht«, sagte der Händler.
»Schön, Leonard, sehr schön.« Botting beugte den Kopf und schnupperte an den Seilen.
»Rate mal, wo sie herkommen«, sagte der Händler. Er war stolz auf die beiden Seile, die er ausgekocht und mit Leinöl eingerieben hatte, um sie geschmeidig zu machen. Anschließend hatte er liebevoll zwei Schlingen geknüpft und in das freie Ende eine Öse gespleißt.
»Sieht nach Bridport-Hanf aus«, sagte Botting, obwohl er wusste, dass es nicht so war. Er sagte es lediglich, um dem Händler eine Freude zu machen.
Der Schiffsausrüster kicherte vergnügt. »Kein Mensch sieht, dass das kein Bridport-Hanf ist, Jemmy, aber es ist keiner. Es ist Sisal, Trossensisal.«
»Nein!« Botting, dessen Gesicht von einem nervösen Tic zuckte, beugte sich herunter, um das Seil genauer zu untersuchen. Er hatte Anweisung nur den besten neuen Bridport-Hanf zu kaufen, und seine Rechnung an den Stadtrat würde zwei dieser teuren Seile ausweisen, aber es hatte ihm schon immer widerstrebt, gutes Seil auf Galgenstricke zu verschwenden.
»Es stammt aus dem Fallleinenfass eines Kohlenschiffs aus Newcastle«, sagte der Händler, »vermutlich westafrikanischer Schund, aber wenn du es auskochst, ölst und mit ein bisschen Schuhwichse einschmierst, merkt kein Mensch den Unterschied, oder? Für dich kosten sie einen Schilling das Stück, Jemmy.«
»Ein guter Preis«, willigte Botting ein. Er würde zwei Schillinge bezahlen und neun Schillinge und neun Pence für die beiden Seile in Rechnung stellen. Nachdem sie ihren Zweck erfüllt hätten, würde er sie in Stücke schneiden und für den Preis verkaufen, den der Markt hergäbe. Keiner der Männer, die morgen hingerichtet werden sollten, war ein wirklich berüchtigter Verbrecher, aber die Neugier auf den Mörder der Countess of Avebury könnte den Preis für Cordays Strang in die Höhe treiben. Er würde jedenfalls einen ordentlichen Gewinn machen. Er prüfte an einem der Seile, ob die Schlinge sich zusammenzog, und nickte zufrieden. »Außerdem brauche ich noch Kordel für die Fesseln«, sagte er. »Vier Längen.«
»Ich habe schon schwedische Kordel für dich bereit gelegt, Jemmy«, sagte der Händler. »Du bindest ihnen also immer noch selbst Hände und Ellbogen?«
»Nicht mehr lange«, sagte Botting. »Danke!« Der Händler hatte Branntwein in zwei Blechnäpfe gegossen. »Bei der letzten Vollstreckung waren zwei Stadträte da«, erzählte Botting. »Sie taten so, als wären sie nur zum Vergnügen da, aber ich weiß Bescheid. Mister Logan war dabei, und er ist ein ganz anständiger Kerl. Er weiß, was nötig ist. Aber der andere hat sich bestimmt gewünscht, er wäre weggeblieben. Gekotzt hat er! Konnte den Anblick nicht aushalten!« Er kicherte. »Aber Mister Logan hat mir hinterher gesteckt, dass sie mir einen Helfer geben.«
»Ein Mann braucht einen Helfer.«
»Allerdings, allerdings.« Jemmy Botting trank seinen Branntwein, nahm die Seile und folgte dem Händler zu einem Fass, in dem er die Kordel aufbewahrte. »Das wird eine einfache Sache morgen«, sagte Botting. »Nur zwei aufzuknüpfen. Kommst du auch?«
»Bestimmt, Jemmy.«
»Hinterher trinken wir ein Bier zusammen«, sagte Botting, »und zum Mittagessen gibt es ein Steak.«
Zehn Minuten später ging er mit Seil und Kordel in der Tasche. Er musste nur noch die beiden Baumwollsäcke bei einer Näherin abholen, dann war er fertig. Er war der Henker von England und würde am nächsten Tag bei Morgengrauen seines Amtes walten.