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Sandman war an diesem Sonntagmorgen schlechter Laune. Er hatte kaum geschlafen, war angespannt und gereizt, und Megs Gejammer machte es nur noch schlimmer. Berrigan und Sally waren kaum besserer Stimmung, besaßen aber genügend Verstand, sich still zu verhalten, während Meg sich beklagte, dass man sie mit Gewalt nach London brachte, und zu kreischen anfing, als Sandman sie als selbstsüchtig und dumm beschimpfte.

Billy, den Stallknecht, ließen sie im Dorf zurück. Da er unmöglich vor der Kutsche in London eintreffen konnte, hatte er keine Möglichkeit, den Seraphim Club zu warnen. »Und wie komme ich nach Hause?«, beklagte er sich.

»Genauso wie wir von Lissabon nach Toulouse gekommen sind«, herrschte Sandman ihn an, »zu Fuß.«

Die Pferde waren müde. Sie hatten auf dem Dorfanger gegrast, wo sie ständig den aufdringlichen Gänsen hatten ausweichen müssen, denen ihre Anwesenheit missfallen hatte. Aber die Pferde waren Hafer und Getreide gewohnt, nicht spärliches Gras, und gingen schwerfällig im Geschirr, ließen sich aber von Mackesons Peitsche anspornen und trabten einigermaßen zügig nordwärts, als die Sonne über die Baumwipfel im Osten stieg. Kirchengeläut hallte durch einen sommerlichen Himmel, an dem hohe weiße Wolken nach Westen trieben. »Sind Sie Kirchgänger, Captain?«, erkundigte sich Berrigan, der vermutete, dass Sandmans Laune sich durch ihr zügiges Fortkommen gebessert haben dürfte.

»Selbstverständlich«, antwortete Sandman, der mit Berrigan und Mackeson auf dem Kutschbock saß und Sally und Meg das Innere der Kutsche überlassen hatte. Es war Sallys Idee gewesen, mit Meg allein in der Kutsche zu sitzen. »Mir macht sie keine Angst«, hatte Sally erklärt, »außerdem redet sie vielleicht eher mit einem Mädchen?«

»Ich bin nicht sonderlich für die Kirche«, sagte Berrigan, »dafür habe ich keine Zeit, aber die Glocken höre ich gern.« Rund um sie her war das Wechselläuten von den Kirchtürmen zu hören, die hinter den Laubwäldern Kents verborgen lagen. Ein Hundekarren voller Kinder in Sonntagsstaat und mit Gebetbüchern holperte auf dem Weg zur Sonntagsmesse vorbei. Die Kinder winkten.

Die Glocken verstummten, als die Gottesdienste begannen. Die Kutsche kam durch ein Dorf mit verlassenen Straßen. Als sie an der Kirche vorüberratterten, hörte Sandman ein Cello, das das alte Kirchenlied Erwecke meine Seele begleitete. Er erinnerte sich, dass sie dieses Lied am Morgen vor der Schlacht um Salamanca gesungen hatten, raue, tiefe Männerstimmen unter einer aufgehenden Sonne, die an einem Tag brennenden Todes erbarmungslos sengende Hitze schicken sollte. Mackeson ließ das Gespann an einer Furt jenseits des Dorfes halten, und als die Pferde tranken, klappte Sandman den Tritt herunter, damit Sally und Meg sich die Beine vertreten konnten. Er schaute Sally fragend an, die nur den Kopf schüttelte. »Verstockt«, raunte sie Sandman zu.

Meg stieg aus, funkelte Sandman wütend an und bückte sich, um Wasser zu schöpfen. Anschließend saß sie am Ufer und schaute den Libellen zu. »Wenn die Füchse meine Hühner fressen, bringe ich Sie um«, sagte sie zu Sandman.

»An Ihren Hühnern liegt Ihnen wohl mehr als am Leben eines Unschuldigen?«

»Soll er doch hängen«, sagte Meg. Sie hatte ihre Haube verloren, und ihr Haar hing wirr und strähnig herunter.

»In London werden Sie mit anderen Männern reden müssen, die nicht so freundlich sind«, warnte Sandman.

Das Mädchen schwieg.

Sandman seufzte. »Ich weiß, was passiert ist«, sagte er. »Sie waren im Zimmer, als Corday die Countess malte. Jemand kam die Hintertreppe herauf. Sie brachten Corday über die Vordertreppe hinunter, nicht wahr? Sein Gemälde und seine Pinsel ließen sie im Schlafzimmer der Countess und schoben ihn eilig auf die Straße, weil einer der Liebhaber der Countess gekommen war. Ich weiß, wer es war. Es war der Marquess of Skavadale.« Meg runzelte die Stirn und sah aus, als wolle sie etwas sagen, starrte aber dann nur in die Ferne. »Und der Marquess von Skavadale will eine sehr reiche Erbin heiraten«, fuhr Sandman fort, »er braucht diese Heirat, weil seine Familie in Geldnot ist, in verzweifelter Geldnot. Aber das Mädchen wird ihn nicht heiraten, wenn sie erfährt, dass er eine Liaison mit der Countess hatte, und damit hat die Countess ihn erpresst. So verdiente sie ihr Geld, nicht wahr?«

»Tatsächlich?«, fragte Meg tonlos.

»Sie waren ihre Kupplerin, nicht wahr?«

Meg schaute Sandman aus kleinen, bitteren Augen an. »Ich war ihre Kupplerin, Mann, und die hatte sie auch nötig. Viel zu gutmütig war sie.«

»Aber Sie beschützten sie nicht!«, sagte Sandman barsch. »Der Marquess tötete sie, und Sie fanden es heraus. Überraschten Sie ihn dort? Hörten Sie den Mord vielleicht mit an? Oder sahen ihn gar! Also brachte er Sie fort und versprach Ihnen Geld. Aber eines Tages wird er es leid werden, Sie zu bezahlen, Meg. Er lässt sie nur leben, bis Corday am Galgen hängt, denn danach wird niemand mehr glauben, dass ein anderer der Schuldige war.«

Mit dem Anflug eines Grinsens fragte Meg: »Und warum hat er mich nicht sofort umgebracht, was?«

Sie starrte Sandman trotzig an. »Wenn er schon die Countess ermordet hatte, warum sollte er dann nicht auch die Zofe töten? Sagen Sie mir das, los!«

Darauf konnte Sandman nicht antworten. Es war das Einzige, was er sich nicht zu erklären vermochte, obwohl alles andere einen Sinn ergab und er glaubte, dass sich auch dieses Rätsel mit der Zeit klären würde. »Vielleicht mag er Sie?«, mutmaßte er.

Meg starrte ihn ein Weilchen fassungslos an und lachte dann bellend auf. »Einer wie der? Soll mich mögen? Nein.« Sie wedelte ein Insekt von ihrem Rock. »Er ließ mich die Hühner versorgen, das ist alles. Ich mag Hühner. Hühner habe ich schon immer gemocht.«

»Captain!« Berrigan saß bereits auf dem Kutschbock und schaute nach Norden. »Captain!«, rief er noch einmal. Sandman stand auf, ging zur Kutsche, schaute über die Felder nach Norden und sah oben auf einem dicht bewaldeten Hügel, wo die Landstraße nach London als Schneise am Horizont verlief, eine Reitergruppe. »Sie haben uns gesehen«, sagte Berrigan.

Sandman hatte kein Fernglas, und die Reiter waren zu weit entfernt, um sie deutlich zu erkennen. Es waren sechs oder sieben, und Sandman hatte den vagen Eindruck, dass sie zur Kutsche schauten und mindestens einer von ihnen ein Fernglas hielt. »Könnte irgendwer sein«, sagte er.

»Könnte«, antwortete Berrigan, »aber Lord Robin Holloway trägt gern einen weißen Reitrock, und er hat einen großen Rappen.«

Der Mann in der Mitte der Gruppe trug einen weißen Rock und ritt einen großen Rappen. »Verdammt«, fluchte Sandman leise. Ob Flossie im Seraphim Club geredet hatte? Hatte sie verraten, dass Sandman dort eingedrungen war? In diesem Fall dürften sie wohl einen Zusammenhang zwischen ihm und der fehlenden Kutsche hergestellt und sich Sorgen wegen Meg in Kent gemacht haben, worauf sie einen Trupp Reiter ausgeschickt haben würden, um zu verhindern, dass Sandman das Mädchen nach London brachte. Noch während er diese Überlegungen anstellte, sah er die Reitergruppe in den Bäumen verschwinden. »Geben Sie ihnen die Peitsche«, befahl er Mackeson. »Sergeant! Bringen Sie Meg in die Kutsche! Schnell!«

Wie lange würde es dauern, bis die Reiter sie erreichten? Zehn Minuten? Vermutlich weniger. Sandman überlegte, ins Dorf zurückzufahren, wo er eine Kreuzung gesehen hatte. Aber es war kein Platz, das Fahrzeug zu wenden, und als Meg sicher im Wagen verstaut war und Mackeson die Pferde antrieb, befahl Sandman ihm, an der ersten Abzweigung von der Straße abzubiegen. Irgendeine Seitenstraße oder ein Feldweg hätte genügt, aber es gab keine, und während die Kutsche weiterholperte, rechnete Sandman jeden Augenblick mit dem Erscheinen der Reiter. Er starrte gebannt nach vorn und hielt Ausschau nach einer Staubwolke über den Bäumen. Zumindest war diese Gegend dicht bewaldet, so dass die Kutsche verborgen bliebe, bis die Reiter sie schon beinahe erreicht hätten. Und als Sandman gerade schon die Hoffnung aufgeben wollte, je einen Fluchtweg zu finden, führte rechts eine schmale Straße den Hang hinunter. Er befahl Mackeson, dort abzubiegen.