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Corday stocherte nur in seinem Essen herum, legte sich bald mit klirrenden Fußeisen auf die Pritsche und starrte mit großen Augen an die Gewölbedecke. »Morgen …«, setzte der Verwalter an, als Venables fertig gegessen hatte.

»Ich hoffe, dass der verfluchte Pfaffe nicht dabei ist«, fiel Venables ihm ins Wort.

»Ruhe, wenn der Verwalter redet«, knurrte der Oberaufseher.

»Der Pfarrer wird da sein, um euch seelischen Beistand zu leisten, so gut er kann«, sagte der Verwalter. Er wartete, bis der Wärter den Tisch abgeräumt hatte. »Morgen werdet ihr von hier in den Aufenthaltsraum gebracht, wo man euch die Eisen abnimmt und die Arme fesselt. Das Frühstück bekommt ihr vorher, aber im Aufenthaltsraum gibt es einen Branntwein für euch, und ich rate euch, ihn zu trinken. Danach gehen wir auf die Straße.« Er machte eine Pause. Venables schaute ihn abweisend an, während Corday gar nicht zuzuhören schien.

»Es ist üblich, dem Henker ein Trinkgeld zu geben, denn er kann euren Übergang ins Jenseits weniger schmerzhaft gestalten. Ich kann solche Nebeneinnahmen zwar nicht billigen, aber da er der Stadt, und nicht dem Gefängnis untersteht, kann ich auch nichts dagegen unternehmen. Selbst ohne ein solches Trinkgeld werdet ihr feststellen, dass eure Strafe nicht schmerzhaft, sondern bald vorüber ist.«

»Verdammter Lügner«, schnaubte Venables.

»Ruhe!«

»Schon gut, Mister Carlisle«, sagte der Verwalter zu dem beleidigten Wärter. »Manche Männer gehen unwillig zum Galgen und versuchen, die notwendigen Arbeiten zu behindern. Es gelingt ihnen nicht. Wenn ihr Widerstand leistet, wenn ihr euch wehrt, wenn ihr versucht, uns Scherereien zu machen, werdet ihr trotzdem gehenkt, es wird für euch nur schmerzhafter. Das Beste ist, wenn ihr mitarbeitet. Es ist leichter für euch und für eure Lieben, die vielleicht zusehen.«

»Leichter für euch, meinen Sie wohl«, warf Vendables ein.

»Keine Pflicht ist leicht«, sagte der Verwalter scheinheilig, »nicht, wenn sie gewissenhaft erfüllt wird.« Er ging zur Tür. »Die Schließer bleiben die ganze Nacht hier. Wenn ihr seelischen Beistand haben möchtet, könnt ihr den Ordinarius rufen lassen. Ich wünsche euch eine gute Nacht.«

Zum ersten Mal tat Corday den Mund auf: »Ich bin unschuldig.« Fast brach seine Stimme.

»Ja«, sagte der Verwalter peinlich berührt, »ja, wahrhaftig.« Da er dazu weiter nichts zu sagen vermochte, nickte er lediglich den Wärtern zu. »Gute Nacht, meine Herren.«

»Gute Nacht, Sir«, antwortete Mister Carlisle, der Oberaufseher, und stand stramm, bis die Schritte des Verwalters im Korridor verklangen. Schließlich drehte er sich zu den beiden Gefangenen um und knurrte: »Wenn ihr seelischen Beistand wollt, dann stört mich und den Reverend Cotton gefälligst nicht, sondern kniet euch hin und stört den da oben, indem ihr ihn um Verzeihung bittet. So, George«, sagte er zu seinem Kollegen, »Pik ist Trumpf, ja?«

Im Vogelkäfiggang, der das Gefängnis unterirdisch mit dem Gerichtsgebäude verband, arbeiteten zwei Gefangene mit Spitzhacken und Spaten. An der Decke waren Laternen aufgehängt, und die Bodenfliesen, große Granitplatten, waren entfernt und an einer Seite gestapelt worden. Gestank erfüllte den Gang, ein übler Geruch nach Gas, Kalk und verwesendem Fleisch.

»Jesses!«, sagte einer der Gefangenen und wich vor dem Gestank zurück.

»Den findest du hier unten nicht«, sagte ein Wärter und trat weiter von der Stelle weg, an der die Fliesen entfernt waren. Als der Vogelkäfiggang gebaut wurde, hatte man die Steinplatten unmittelbar auf dem Londoner Lehmboden verlegt, der im schummerigen Licht der rußenden Laternen dunkel gesprenkelt aussah.

»Wann habt ihr diesen Teil des Flurs zuletzt benutzt?«, fragte einer der Gefangenen.

»Muss zwei Jahre her sein«, antwortete der Wärter unsicher, »mindestens zwei Jahre.«

»Zwei Jahre?«, schimpfte der Gefangene, »dann atmen sie ja noch.«

»Sieh zu, dass du fertig wirst, Tom, hinterher kriegt ihr das hier«, ermunterte der Wärter die beiden und hielt eine Flasche Branntwein hoch.

»Gott steh uns bei«, sagte Tom finster, atmete tief durch und stieß den Spaten in die Erde.

Er und sein Mitgefangener hoben die Gräber für die beiden Männer aus, die am nächsten Morgen hingerichtet werden sollten. Manche Leichen wurden seziert, aber so begehrt Leichen bei den Wundärzten auch waren, konnten sie doch nicht alle nehmen, daher wurden die meisten hier unten in anonymen Gräbern beigesetzt. Das Gefängnis beerdigte die Leichen in ungelöschtem Kalk, um ihre Verwesung zu beschleunigen, und hob die Gräber in dem kurzen Gang nach einem strengen Rotationssystem aus, damit sie nicht in zu rascher Folge wiederverwendet wurden, dennoch stießen die Spitzhacken und Spaten auf Knochen und modernden Lehm. Der ganze Boden war buckelig, als habe ein Erdbeben ihn verformt, in Wahrheit senkten sich aber nur die Steinplatten, wenn die Leichen darunter zerfielen. Obwohl es im Gang stank und der Lehm von unverwestem Fleisch nur so starrte, wurden immer noch mehr Leichen hier vergraben.

Tom stand knietief in der Grube, zog einen gelblichen Schädel heraus und rollte ihn durch den Gang. »Er sieht rosig aus, was?«, sagte er. Die beiden Wärter und der andere Gefangene lachten und konnten gar nicht mehr aufhören.

Mister Botting aß Lammkoteletts, Salzkartoffeln und Gemüse. Aus der Küche des Gefängnisverwalters bekam er anschließend einen Pudding, einen Napf starken Tee und einen Becher Branntwein. Danach schlief Mister Botting.

Zwei Wächter bewachten den Galgen. Kurz nach Mitternacht bewölkte es sich und ein kurzer Schauer wehte kühle Luft von Ludgate Hill herunter. Eine Hand voll Menschen, die sich die besten Plätze an der Absperrung zum Galgen sichern wollten, schliefen auf dem Pflaster und wurden vom Regen geweckt. Grummelnd hüllten sie sich fester in ihre Decken und versuchten, wieder einzuschlafen.

Die Morgendämmerung kam früh. Die Wolken lösten sich auf und hinterließen einen perlweißen Himmel mit fransigen braunen Rauchstreifen. London wachte auf.

Und in Newgate sollte es zum Frühstück scharfe Nierchen geben.

10

Am Sonntag kurz nach Einbruch der Dunkelheit begann Sallys Pferd, ein Wallach, zu lahmen und Berrigans rechter Stiefel verlor die Sohle, also banden sie den Wallach an einen Baum, Berrigan stieg auf das dritte Pferd und Sandman führte die Pferde der beiden Mädchen. »Wenn wir nicht alle vier Pferde in den Seraphim Club zurückbringen, können sie uns des Pferdediebstahls beschuldigen«, sagte Sandman, der sich Gedanken über das zurückgelassene Tier machte.

»Dafür könnten sie uns henken«, erwiderte Berrigan grinsend, »aber darüber würde ich mir keine Sorgen machen, Captain. Nach allem, was ich über den Seraphim Club weiß, werden sie uns sicher nicht anzeigen.«