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Obwohl Lord Alexander gegen die Hinrichtung von Verbrechern war, empfand er eine merkwürdige Faszination für alles, was er sah, und musterte die fünfzehn vergitterten Fenster. »Dieser Name, Salzkisten, wissen Sie, woher er kommt?«, fragte er.

»Nein, Mylord«, antwortete der Wärter lachend, »aber ich glaube, sie heißen so, weil sie übereinander gestapelt sind wie die Kisten.«

»Was sind die S-salzkisten?«, fragte Lord Christopher, der heute morgen äußerst begriffsstutzig war.

»Wirklich, Kit«, fuhr Lord Alexander ihn unvermittelt scharf an, »jeder weiß doch, dass so die Zellen heißen, in denen die zum Tode Verurteilten ihre letzten Tage verbringen.«

»Das Wartezimmer des Teufels, Mylord«, sagte der Wärter, öffnete die Tür zum Aufenthaltsraum und streckte demonstrativ die offene Hand aus.

Lord Alexander, der sich seiner liberalen Gesinnung brüstete, wollte sich schon überwinden, dem Wärter die Hand zu schütteln, als ihm auffiel, was diese Geste zu bedeuten hatte. »Ach«, sagte er bestürzt, angelte aber rasch in seiner Tasche nach Kleingeld und zog die erstbeste Münze heraus, die er fand. »Danke, guter Mann.«

»Vielen Dank, Eure Lordschaft, vielen Dank«, sagte der Wärter, und als er verwundert sah, dass er einen ganzen Sovereign Trinkgeld bekommen hatte, zog er hastig den Hut und tippte sich ehrerbietig mit dem Knöchel an die Stirn. »Gott segne Sie, Mylord, Gott segne Sie.«

William Brown, der Gefängnisverwalter, eilte den beiden neuen Gästen entgegen, um sie zu begrüßen. Er war keinem der beiden je begegnet, erkannte Lord Alexander aber an seinem Klumpfuß, nahm den Hut ab und verbeugte sich respektvoll. »Herzlich willkommen, Eure Lordschaft.«

»Brown, nicht wahr?«, fragte Lord Alexander.

»William Brown, Mylord, ja. Verwalter des Gefängnisses Newgate, Mylord.«

»Darf ich Sie mit Lord Christopher Carne bekannt machen«, stellte Lord Alexander seinen Freund mit einer vagen Handbewegung vor. »Der Mörder seiner Stiefmutter wird heute gehenkt.«

Der Verwalter verbeugte sich vor Lord Christopher. »Ich denke, für Eure Lordschaft wird diese Erfahrung sowohl eine Rache wie auch ein Trost sein. Erlauben Sie mir nun, Ihnen den Ordinarius von Newgate vorzustellen?« Er führte die beiden zu einem untersetzten Mann in altmodischer Perücke, Soutane, Chorhemd und Beffchen, der mit plumpem, lächelndem Gesicht wartete. »Reverend Doktor Horace Cotton«, stellte der Verwalter ihn vor.

»Herzlich willkommen, Eure Lordschaft.« Cotton verbeugte sich vor Lord Alexander. »Eure Lordschaft sind, wie ich glaube, ebenso wie ich im heiligen Priesterstand?«

»Das bin ich«, bestätigte Lord Alexander, »und dies ist mein besonderer Freund, Lord Christopher Carne, der ebenfalls hofft, eines Tages die Weihen zu empfangen.«

»Ach!« Cotton faltete die Hände und wandte den Blick zur Decke. »Ich halte es für einen Segen, wenn unser Adel, die wahren Führer unserer Gesellschaft, sich als Christen zeigen. Das ist ein leuchtendes Beispiel für das gemeine Volk, finden Sie nicht auch? Wie ich höre, erleben Sie heute Morgen mit, wie Gerechtigkeit für das schwere Verbrechen gegen Ihre Familie geübt wird, Mylord?«

»Das hoffe ich«, sagte Lord Christopher.

»Ach wirklich, Kit!«, sagte Lord Alexander. »Die Rache, die deine Familie sucht, wird in der Ewigkeit durch das Höllenfeuer geübt …«

»Gelobt sei der Herr!«, warf der Ordinarius ein.

»Und es ist weder angemessen noch zivilisiert von uns, Menschen vorschnell ihrem gebührenden Schicksal zuzuführen«, beendete Lord Alexander seine Ausführung.

Der Verwalter schaute ihn verwundert an. »Sie wollen die Todesstrafe doch sicher nicht abschaffen, Mylord?«

»Wenn man einen Mann henkt, verweigert man ihm die Chance auf Bußfertigkeit«, erklärte Lord Alexander. »Man verweigert ihm die Chance, Tag und Nacht von seinem Gewissen geplagt zu werden. Es sollte genügen, sämtliche Verbrecher einfach nach Australien zu deportieren, finde ich. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass das Leben dort die reinste Hölle ist.«

»Sie werden in der echten Hölle an ihrem Gewissen leiden«, warf Cotton ein.

»Das werden sie, Sir, das werden sie, aber mir wäre es lieber, wenn ein Mensch noch in dieser Welt Reue zeigte«, sagte Lord Alexander, »denn in der nächsten hat er sicher keine Chance auf Erlösung mehr. Indem wir Menschen hinrichten, nehmen wir ihnen ihre Chance auf göttliche Gnade.«

»Das ist ein völlig neues Argument«, räumte Cotton, wenn auch skeptisch, ein.

Lord Christopher hatte diesem Gespräch mit gequälter Miene zugehört und platzte nun heraus: »Sind Sie mit Henry Cotton verwandt?«

Sofort brach das Gespräch ab, abgewürgt durch Lord Christophers unvermittelten Themenwechsel. »Mit wem, Mylord?«, fragte der Ordinarius.

»Henry Cotton«, wiederholte Lord Christopher. Er schien unter dem Eindruck einer starken Gemütsbewegung zu stehen, als fände er es nahezu unerträglich, im Gefängnis Newgate zu sein. Er war blass, hatte Schweiß auf der Stirn und zitterte. »Er lehrte Griechisch an der Christuskirche und ist jetzt zweiter Bibliothekar der Bodleyanischen Bibliothek«, erklärte er.

Der Ordinarius trat einen Schritt von Lord Christopher fort, der aussah, als werde er sich gleich übergeben. »Mylord, ich denke, ich bin eher mit dem Viscount Combermere verwandt, wenn auch nur entfernt«, antwortete der Ordinarius.

»Henry Cotton ist ein guter Mann«, sagte Lord Christopher, »ein sehr guter Mann. Ein echter Gelehrter.«

»Er ist ein Pedant«, schimpfte Lord Alexander. »Sie sind mit Combermere verwandt, sagen Sie, ehemals Sir Stapleton Cotton? Bei der Schlacht von Salamanca verlor er beinahe seinen rechten Arm, und das wäre ein tragischer Verlust gewesen.«

»Ja, wahrhaftig«, sagte der Ordinarius inbrünstig.

»Sonst hast du in der Regel kein Mitgefühl mit Soldaten«, wandte Lord Christopher ein.

»Combermere kann ein raffinierter Schlagmann sein«, erklärte Lord Alexander, »zumal gegen Bälle mit Drall. Spielen Sie Kricket, Cotton?«

»Nein, Mylord.«

»Es ist gut gegen Blähungen«, erklärte Lord Alexander rätselhaft und wandte sich ab, um den Aufenthaltsraum einer hochherrschaftlichen Prüfung zu unterziehen. Er musterte die Deckenbalken, rüttelte an einem der Tische und schaute in die Töpfe und Kessel, die sich neben der Glut im offenen Kamin stapelten. »Wie ich sehe, leben unsere Verbrecher nicht ohne einen gewissen Komfort«, stellte er fest und musterte seinen Freund stirnrunzelnd. »Fühlst du dich wohl, Kit?«

»Ja, ja, bestimmt«, sagte Lord Christopher hastig, sah aber alles andere als gesund aus. Er hatte Schweißperlen auf der Stirn und war noch bleicher als sonst. Er nahm seine Brille ab und putzte sie mit einem Taschentuch. »Es ist nur, dass die Erwartung, einen Mann in die Ewigkeit befördert zu sehen, nachdenklich stimmt«, erklärte er, »sehr nachdenklich. Eine solche Erfahrung ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.«

»Allerdings nicht«, bestätigte Lord Alexander und musterte gebieterisch die übrigen Frühstücksgäste, die sich mit unheiligem Vergnügen auf das bevorstehende Ereignis dieses Morgens zu freuen schienen. Drei von ihnen standen dicht bei der Tür und lachten über einen Scherz, worauf Lord Alexander sie missbilligend anschaute. »Armer Corday«, sagte er.

»Wieso bedauern Sie den Mann, Mylord?«, fragte Reverend Cotton.

»Wahrscheinlich ist er unschuldig«, erklärte Lord Alexander, »aber wie es scheint, wurde der Beweis für seine Unschuld nicht gefunden.«

»Wenn er unschuldig wäre, Mylord, bin ich überzeugt, dass unser Herrgott es uns hätte wissen lassen«, stellte der Ordinarius mit väterlichem Lächeln fest.

»Wollen Sie behaupten, man hätte noch nie einen Unschuldigen gehenkt?«, fragte Lord Alexander.

»Das würde Gott nicht zulassen«, erwiderte Reverend Cotton.

»Dann sollte Gott besser zusehen, dass er heute Morgen in die Stiefel kommt«, sagte Lord Alexander und drehte sich um, als die verriegelte Tür am anderen Ende des Raumes sich plötzlich mit lautem Quietschen öffnete. Einen Herzschlag lang erschien niemand in der Tür, und alle Gäste hielten offenbar den Atem an, bis unter hörbarem Aufseufzen ein kleiner, stämmiger Mann mit einer dicken Ledertasche hereinstapfte. Er hatte ein rotes Gesicht, trug braune Gamaschen, eine schwarze Kniebundhose und einen schwarzen Rock, der sich über seinem vorgewölbten Bauch spannte. Respektvoll zog er seinen schäbigen braunen Hut, als er die wartenden Adeligen bemerkte, entbot ihnen aber keinen Gruß und wurde auch von keinem der Anwesenden gegrüßt.