»Sie hat auch ihre Tröstungen, Captain«, antwortete Berrigan leichthin mit einem Seitenblick auf Sally.
»Aufstände, brennende Heuschober«, sagte Sandman. »Das gab es früher nicht! Die verdammten Franzosen haben die Anarchie in die Welt gebracht.«
Berrigan grinste. »Früher war alles besser, was? Nichts als Kricket und Cremetorte?«
»Wenn wir nicht gerade gegen die Franzen gekämpft haben? Ja, so schien es zumindest.«
»Nein, Captain.« Der Sergeant schüttelte den Kopf, »Sie hatten damals Geld. Wenn man Geld hat, ist alles einfacher.«
»Amen«, sagte Sally inbrünstig und wandte sich zur Tür, durch die Witherspoon gerade den Innenminister hereinführte.
Viscount Sidmouth trug einen gemusterten, seidenen Morgenmantel über Hemd und Hose. Er war frisch rasiert, und seine weiße Haut glänzte wie poliert. Seine Augen waren wie immer kalt und missbilligend. »Wie es scheint, haben Sie beschlossen, uns Ungelegenheiten zu machen, Captain«, sagte er scharf.
»Ich habe nichts dergleichen beschlossen, Mylord«, entgegnete Sandman streitlustig.
Sidmouth runzelte die Stirn über diesen Ton und musterte Berrigan und die beiden Frauen. Es war zu hören, wie hinten im Haus Geschirr abgeräumt wurde, was Sandman zu Bewusstsein brachte, wie hungrig er war. »Also«, sagte der Innenminister angewidert, »wen bringen Sie mir da?«
»Meine Helfer, Sergeant Berrigan und Miss Hood …«
»Helfer?« Sidmouth war amüsiert.
»Ich muss ihre Unterstützung anerkennen, Mylord, wie Ihre Majestät es gewiss ebenfalls tun wird, wenn sie vom Ausgang unserer Ermittlungen erfährt.«
Dieser nicht sonderlich subtile Hinweis ließ den Innenminister das Gesicht verziehen. Er schaute Meg an und prallte beinahe zurück vor ihren stechenden kleinen Augen und dem Anblick ihrer pockennarbigen Haut. »Und Sie, Madam?«, fragte er frostig.
»Miss Margaret Hargood«, stellte Sandman vor. »Sie war Zofe der Countess of Avebury und am Tag des Mordes im Schlafzimmer der Countess anwesend. Sie begleitete Corday persönlich vor dem Mord aus dem Schlafzimmer, brachte ihn aus dem Haus und kann bezeugen, dass er nicht zurückkam. Kurz, Mylord, sie kann bezeugen, dass Corday unschuldig ist.« Sandman sprach mit einer gehörigen Portion Stolz und Genugtuung. Er war müde und hungrig, sein Knöchel schmerzte, seinen Stiefeln und Kleidern war der Fußmarsch von Kent nach London anzusehen, aber bei Gott: Er hatte die Wahrheit herausgefunden.
Sidmouths ohnehin schmale Lippen verengten sich zu einer blutleeren Linie, als er Meg anschaute. »Ist das wahr, Frau?«
Meg richtete sich auf. Sie war nicht im Geringsten von Seiner Lordschaft eingeschüchtert, sondern musterte ihn von oben bis unten, schniefte und sagte: »Ich weiß gar nichts.«
»Wie bitte?« Der Innenminister erbleichte über ihren unverschämten Ton.
»Er ist gekommen und hat mich entführt!«, kreischte Meg und zeigte mit dem Finger auf Sandman. »Dazu hatte er verdammt noch mal kein Recht! Holt mich einfach von meinen Hühnern weg. Soll er doch abhauen und hingehen, wo er hergekommen ist, ist mir doch egal, wer sie umgebracht hat. Oder wer dafür stirbt.«
»Meg.« Sandman versuchte es mit Bitten.
»Nimm die verdammten Finger weg von mir!«
»Meine Güte«, sagte Viscount Sidmouth gequält und ging zur Tür. »Witherspoon, wir verschwenden unsere Zeit.«
»In Australien gibt es ganz große Wespen«, sagte Sally, »Entschuldigen Sie, Eure Lordschaft.«
Selbst Viscount Sidmouth in seiner dürren, engstirnigen Anwaltsmentalität war gegen Sallys Charme nicht unempfindlich. In diesem düsteren Zimmer wirkte sie wie ein Sonnenstrahl, und er lächelte sie sogar an, auch wenn er nicht recht verstand, was sie meinte. »Wie bitte?«, fragte er sie.
»Ganz große Wespen gibt’s in Australien«, wiederholte Sally, »und da wandert dieses Weib hin, weil sie vor Gericht nicht für Charlie ausgesagt hat. Das hätte sie nämlich tun müssen, hat sie aber nicht. Sie will ihren Kerl schützen, verstehen Sie? Und Sie schaffen sie doch bestimmt nach Australien, oder, Mylord?« Sally unterstrich diese rhetorische Frage mit einem anmutigen Knicks.
Der Innenminister runzelte die Stirn. »Australien? Das zu entscheiden, ist Sache der Gerichte, mein Kind …« Er brach ab und starrte verblüfft Meg an, die vor Angst zitterte.
»Sehr große Wespen in Australien«, bestätigte Sandman, »berüchtigt.«
»Aculeata Gigantus«, ergänzte Witherspoon eindrucksvoll.
»Nein!«, schrie Meg.
»Riesenwespen«, sagte Sally genüsslich, »mit Stacheln wie Haarnadeln.«
»Er war es nicht!«, rief Meg. »Ich will nicht nach Australien!«
Sidmouth starrte sie an, wie das Publikum die Frau mit Schweinekopf im Lyzeum bestaunt haben musste. »Wollen Sie sagen, dass Charles Corday den Mord nicht begangen hat?«, fragte er eisig.
»Der Marquess war es nicht! Er war es nicht!«
»Nicht der Marquess?«, fragte Sidmouth völlig verständnislos.
»Der Marquess of Skavadale, Mylord«, erklärte Sandman, »in dessen Haus sie versteckt wurde.«
»Er kam erst nach dem Mord«, erklärte Meg verzweifelt aus Angst vor den mythischen Wespen. »Der Marquess kam, als sie schon tot war. Er kam oft ins Haus. Und er war immer noch da!«
»Wer war immer noch da?«, fragte Sidmouth.
»Er!«
»Corday?«
»Nein!«, sagte Meg. »Er!« Sie schaute von Sandman zum Innenminister, der immer noch verständnislos aussah. »Ihr Stiefsohn, der seit einem halben Jahr den Acker seines Vaters gepflügt hat.«
Sidmouth verzog angewidert das Gesicht. »Ihr Stiefsohn?«
»Lord Christopher Carne, Mylord«, erklärte Sandman, »Stiefsohn der Countess und Erbe des Earl-Titels.«
»Ich habe ihn mit dem Messer gesehen«, schnaubte Meg, »und der Marquess auch. Er heulte. Lord Christopher! Er hasste sie, aber er konnte seine dreckigen Finger nicht von ihr lassen. Er hat sie umgebracht! Es war nicht der schwächliche Maler!«
Unzählige Fragen schossen Sandman durch den Kopf, aber Lord Sidmouth herrschte Witherspoon an: »Schicken Sie zur Polizeistation Queen Square und richten Sie aus, ich wäre ihnen sehr verbunden, wenn sie mir unverzüglich vier Beamte und sechs gesattelte Pferde bereit stellen würden. Aber geben Sie mir zuerst etwas zu schreiben, Witherspoon, Papier, Feder, Wachs und Siegel.« Er schaute auf die Uhr auf dem Kaminsims. »Beeilen wir uns, Mann.« Sein Ton war säuerlich, als ärgere er sich über diese zusätzliche Arbeit, aber Sandman konnte es ihm nicht verübeln. Er tat das Richtige, und er tat es schnell. »Beeilung«, drängte der Innenminister.
Und sie beeilten sich.
»Fuß auf den Block, Junge! Nicht trödeln!«, fuhr der Wärter Charles Corday an, der aufschluchzte, dann aber den rechten Fuß auf den Holzblock stellte. Der Wärter setzte den Meißel an den ersten Reifen und hämmerte ihn entzwei. Corday stöhnte bei jedem Schlag und wimmerte, als die Fessel fiel. Lord Alexander sah, dass die Knöchel des Jungen voller Schwären waren.
»Den anderen Fuß, Junge«, befahl der Wärter.
Die beiden Glocken läuteten und würden erst verstummen, wenn die beiden Leichen abgeschnitten wurden. Die Gäste des Gefängnisverwalters beobachteten schweigend die Gesichter der beiden Gefangenen, als könnten sie in diesen Augen, die bald das Jenseits erblicken sollten, einen Hinweis auf die Geheimnisse der Ewigkeit finden.