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Hood trat neben Lord Alexander und griff nach dem Strang, aber Jemmy Botting, der fürchtete, sein Opfer in letzter Minute zu verlieren, war bereits auf Cordays Schoß geklettert und beschwerte die sich zuziehende Schlinge zusätzlich mit seinem Gewicht. »Er gehört mir!«, schrie er Lord Alexander und Hood an. »Er gehört mir!« Cordays Röcheln ging im Lärm unter. Hood zerrte, konnte aber Corday zusammen mit Bottings Gewicht nicht heben. »Er gehört mir!«, schrie Botting.

»Sie!«, herrschte Sandman einen Lanzenträger des städtischen Marschalls an. »Geben Sie mir Ihren Hirschfänger! Sofort!«

Völlig verdutzt, aber eingeschüchtert von Sandmans Befehlston, zog der Mann seinen kurzen Krummsäbel heraus, der eher dekorativ als nützlich war. Sandman riss ihm die Klinge aus der Hand und wurde umgehend von einem anderen Wachmann angegriffen, der glaubte, Sandman plane einen Überfall auf den Sheriff. »Hauen Sie ab!«, schnaubte Sandman, während Berrigan dem Wachmann mit der Faust auf den Kopf schlug.

»Warten Sie!«, rief der Sheriff. »Es muss Ordnung herrschen. Es muss Ordnung herrschen!« Das Grölen der Menge dröhnte durch die Straße. »Marschall!«, rief der Sheriff, »Marschall!«

»Geben Sie den Säbel her!«, brüllte der Marschall Sandman an.

»Hood!«, rief Sandman und stellte sich in die Steigbügel. »Hood!« Hände reckten sich hoch, um ihn aus dem Sattel zu zerren, aber Sandman hatte inzwischen den Straßenräuber auf sich aufmerksam gemacht und warf ihm den Säbel zu. »Schneiden Sie ihn ab, Hood! Schneiden Sie ihn ab!«

Geschickt fing Hood den Säbel. Die Polizisten, die Sandman und Berrigan von Whitehall an eskortiert hatten, drängten die Männer des Marschalls ab. Lord Christopher Carne starrte Rider Sandman mit großen Augen und offenem Mund an, der nun ebenfalls Seine Lordschaft bemerkte. »Wachmann«, sagte Sandman zu dem berittenen Polizisten neben ihm, »verhaften Sie diesen Mann. Den Mann da drüben.« Als Sandman mit dem Finger auf Lord Christopher deutete, drehte dieser sich um, als wolle er fliehen, aber die Treppe führte vom Pavillon direkt ins Gefängnis.

Jemmy Botting hatte die Arme um Cordays Hals geschlungen, umarmte ihn wie einen Liebhaber und schwang sich auf dem hängenden Mann mit seinem ganzen Gewicht auf und ab. »Mir, mir«, krähte er und hörte das Röcheln in der Kehle des Jungen. Jack Hood säbelte mit der Klinge an dem Seil herum. »Nein!«, schrie Botting. »Nein!« Aber der Strang, der angeblich aus bestem Bridport-Hanf war, ließ sich schneiden wie Binsenschnur, und plötzlich fielen Corday und Botting, immer noch umschlungen, nach unten, die Stuhlbeine zersplitterten auf dem Pflaster und das durchtrennte Strangende flatterte lose im Londoner Wind.

»Wir müssen ihn abschneiden«, erklärte der Sheriff, der endlich die Begnadigung gelesen hatte.

Die Menge, wechselhaft wie eh und je, bejubelte das vorhin noch verhöhnte Opfer, weil es dem Henker ein Schnippchen geschlagen hatte. Er würde leben, frei sein und malen.

Sandman saß ab und reichte einem Wachmann die Zügel seines Pferdes. Andere Polizisten hatten die Leiter benutzt, die für den Fall bereit stand, dass Zuschauer die Hand eines Gehenkten berühren wollten, und ergriffen nun Lord Christopher Carne. Als Sandman sah, dass Seine Lordschaft weinte, empfand er kein Mitgefühl. Er hörte Venables röcheln und sah den Strang des Sterbenden über dem schwarz verhängten Podest zucken. Er wandte sich ab und versuchte vergebens, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass zumindest eine Seele vor dem Galgen bewahrt wurde.

»Danke, Sergeant«, sagte er.

»Dann ist es also vorbei«, sagte Berrigan und saß ab.

»Es ist vorbei«, bestätigte Sandman.

»Rider!«, rief Lord Alexander vom Galgengerüst. »Rider!«

Sandman drehte sich um.

Lord Alexander hinkte um die offene Fallgrube herum. »Rider! Würdest du am Samstag Kricket spielen?«

Sandman starrte seinen Freund einen Augenblick fassungslos an, dann schaute er zu Hood. »Danke«, rief er, aber es ging im Johlen der Menge unter. Sandman verbeugte sich. »Danke«, wiederholte er.

Hood erwiderte die Verbeugung und hielt einen Finger hoch. »Nur einer, Captain«, rief er, »nur einer, und sie hängen Tausende, bevor Sie ihnen einen weiteren abjagen.«

»Es geht gegen Budd!«, rief Lord Alexander. »Rider, hörst du mich? Rider! Wohin gehst du?«

Sandman hatte sich abgewandt und den Arm um Berrigans Schulter gelegt. »Wenn Sie im ‘Sheaf frühstücken möchten, sollten Sie sich beeilen, bevor die ganze Meute in den Schankraum einfällt. Und danken Sie Sally in meinem Namen, ja? Ohne sie hätten wir es nicht geschafft.«

»Sicher nicht«, sagte Berrigan, »Und Sie? Wohin gehen Sie?«

Sandman humpelte vom Galgen fort, unbemerkt von der Menge, die forderte, dass man Corday, ihren neuen Helden, auf das Podest bringen solle. »Ich, Sam?«, antwortete Sandman. »Ich besuche einen Mann und bitte ihn um ein Darlehen, damit Sie und ich nach Spanien gehen und ein paar Zigarren kaufen können.«

»Sie wollen um ein Darlehen bitten?«, fragte Berrigan. »In den Stiefeln?«

Sandman musterte seine Stiefel, deren Sohlen klafften wie Fischmäuler. »Ich will ihn um ein Darlehen bitten und um die Hand seiner Tochter, und obwohl ich nicht viel für Wetten übrig habe, wette ich um den Preis eines Paars neuer Stiefel, dass er zu beidem Ja sagen wird. Er bekommt keinen reichen Schwiegersohn, Sam, er bekommt nur mich.«

»Da hat er aber Glück«, sagte Berrigan.

»Sie haben Glück, und Sally ebenfalls«, sagte Sandman grinsend. Gemeinsam gingen sie Old Bailey hinunter. Hinter ihnen erstickte Venables langsam, während Corday in das Sonnenlicht des neuen Tages blinzelte. An der Ecke Ludgate Hill schaute Sandman sich noch einmal um und sah den Galgen schwarz wie das Herz des Teufels, dann bog er um die Ecke und war verschwunden. 

Historische Anmerkung

Ich habe mich bemüht, mich in meiner Erzählung so genau wie möglich an Fakten zu halten. Gelegentlich beauftragte der Innenminister tatsächlich einen Ermittler, der die Umstände eines Kapitalverbrechens zu untersuchen hatte. Das Amt des Innenministers hatte 1817 Henry Addington, der erste Viscount Sidmouth, inne.

Es war die Zeit, in der die Galgen von England und Wales am häufigsten benutzt wurden (das schottische Recht war und ist anders). Es herrschte der Glaube, schwere, brutale Bestrafung könne die Kriminalität eindämmen. So kam der »Blutcode« zustande, eine Gesetzessammlung, die bis 1820 über zweihundert Kapitalverbrechen aufführte. Meist handelte es sich um Eigentumsdelikte (Diebstahl, Brandstiftung oder Betrug), aber Mord, Mordversuch und Vergewaltigung konnten ebenso mit dem Tod bestraft werden wie Sodomie (zwischen 1805 und 1832 gab es in England und Wales einhundertzwei Hinrichtungen wegen Vergewaltigung und fünfzig wegen Sodomie). Die meisten Hinrichtungen gab es wegen Raubes (neunhundertachtunddreißig zwischen 1805 und 1832), an zweiter Stelle der Kapitalverbrechen kam Mord (dreihundert-fünfundneunzig Fälle). Insgesamt wurden zwischen 1805 und 1832 in England und Wales zweitausendachtundzwanzig Todesurteile vollstreckt, zu den Opfern gehörten auch Frauen und mindestens ein Kind von vierzehn Jahren. Dies sind durchschnittlich fünfundsiebzig Hinrichtungen im Jahr, von denen ein Fünftel vor Newgate stattfanden, die übrigen in anderen Gerichtsorten oder in der Horsemonger Lane. In manchen Jahren lag die Zahl der Hinrichtungen jedoch wesentlich höher, am höchsten in der Zeit zwischen 1816 und 1820 mit über einhundert Hinrichtungen im Jahr. Wichtig ist jedoch anzumerken, dass nur etwa zehn Prozent der Todesurteile tatsächlich vollstreckt wurden. Die überwiegende Mehrheit der Todesurteile wurde umgewandelt, meist in eine Deportation nach Australien. Wenn es also zwischen 1816 und 1820 in England und Wales fünfhundertachtzehn Hinrichtungen gab, so lag die Zahl der Todesurteile bei fünftausendachthundert-dreiundfünfzig.