»Nun ja, jeden Tag gibt’s hier ja auch keinen Mord. Möchten Sie, daß ich mich darum kümmere?«
»Ja, Gus. Das ist genau der richtige Fall für Sie. Außerdem gibt’s auch wohl kaum noch viel zu ermitteln.«
»Danke«, sagte Masters trocken.
»Sie müssen mit den Nachbarn sprechen, aber seien Sie vorsichtig. Ich wünsche keine Beschwerden. Der Mann, der angerufen hat, war Dr. Jack Richmond. Sie wissen doch, John R. Richmond, nicht? Leute von der Sorte können uns das Leben ziemlich sauermachen, wenn sie sich über uns ärgern.«
»Über mich ärgert sich keiner, Chef. Das wissen Sie doch. Gus, die Liebenswürdigkeit in Person, stimmt’s?«
»Na ja, schon gut. Also machen Sie, daß Sie dort hinkommen. Ich werde inzwischen den Coroner benachrichtigen. Hier ist die Adresse.«
Masters nahm den Zettel und ging. Er war nur ein klein wenig verbittert; das Lachen, das ihm in der Kehle brannte, verriet nur wenig Hohn. In knapp zehn Minuten war er in Shady Acres, und in weiteren fünf hatte er das Haus gefunden. Komisch, es war kein Mensch zu sehen.
Er ging ums Haus; jetzt hörte er Stimmen.
Auf der mit Platten belegten Terrasse saßen sechs Personen.
Augenblicklich verstummte ihr Gespräch, und sie beobachteten seinen Anmarsch mit kritischem Interesse. Masters hätte schwören können, daß sie sofort seine Ähnlichkeit mit VV. C. Fields bemerkten und ihm entsprechende Minuspunkte als Polizeibeamter gaben. Doch das störte ihn weiter nicht. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß ihm das nur von Nutzen sein konnte.
»Mein Name ist Masters«, stellte er sich vor. »Polizeileutnant. Wer von Ihnen ist Dr. Richmond?«
»Ich«, sagte Jack.
»Sie haben einen Mord gemeldet?«
»Ganz recht. Mrs. Connor ist erstochen worden. Sie liegt oben in ihrem Schlafzimmer. Das heißt, die Leiche liegt dort.«
»Haben Sie die Leiche gefunden?«
»Jawohl.«
»Ich war dabei«, sagte Nancy. »Ich bin Nancy Howell.«
»Ich auch«, sagte David. »Ich bin David Howell.«
»Warum?« wollte Masters wissen.
»Weil Jack nicht gehen wollte«, erwiderte Nancy. »Mein Mann wollte eigentlich auch nicht. Erst als ich drohte, allein zu gehen, sind sie mit mir gekommen.«
»Das meine ich nicht, Mrs. Howell. Warum ist überhaupt jemand gegangen? Ist das in dieser Gegend so üblich, daß man in anderer Leute Häuser eindringt und in ihre Schlafzimmer schaut?« Die alte Tour, dachte Masters: Nur ein bißchen hochzubringen braucht man sie, dann machen sie schon den Mund auf.
Doch in den leicht geröteten Gesichtern bemerkte er keinerlei Reaktion. Sie standen anscheinend noch zu sehr unter der Schockwirkung des Mordes. »Lila und Larry hatten gestern abend auf der Party Streit«, sagte die hübsche Kleine, die Nancy Howell hieß. »Und dann ist Larry hinterher weggefahren, und da sich auch Lila den ganzen Tag nicht sehen ließ, machte ich mir natürlich Gedanken.«
»Und da sind Sie herübergekommen und in Mrs. Connors Schlafzimmer eingedrungen.«
»Durchaus nicht. So einfach war das nicht. Zuerst bin ich mit einem Shaker Gin-Tonic herübergekommen, aber da habe ich höchstens einen Schritt ins Haus hinein gemacht. Ich habe gemerkt, daß die Klimaanlage abgestellt war. Das kam mir sehr sonderbar vor, und daher beschloß ich, in die Stadt zu Larrys Büro zu fahren und nachzusehen, ob er dort war. Aber niemand hat mir aufgemacht.«
»Wieso glaubten Sie, daß er an einem Sonntagmorgen in seinem Büro sein würde?«
»Weil er mir gesagt hatte, daß er ins Büro fahren wolle. Gestern abend, meine ich, als ich ihn wegfahren sah. Das macht er manchmal, im Büro übernachten, wenn er mit Lila Krach hat.«
»Ich verstehe«, sagte Masters.
Er verstand durchaus nicht, doch zumindest hatte er einen vagen Eindruck von dem, was sich abgespielt hatte. Dieser Eindruck würde klarer werden, wenn er die Leiche und das Schlafzimmer untersucht hatte. Zu gegebener Zeit würde er sich dann noch einmal diese Nachbarn, die hier auf der Connorschen Terrasse versammelt waren, vornehmen, vor allem diesen kleinen Irrwisch mit der lockeren Zunge.
»Würden Sie mir jetzt bitte die Tote zeigen, Doktor?« bat er Jack Richmond.
»Ich komme mit, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Nancy.
»Ich nicht«, sagte David, »falls Sie nicht darauf bestehen.«
»Einer genügt«, sagte Master. »Bitte, Doktor.«
An der Tür zum Mordzimmer trat Jack Richmond beiseite. Masters machte drei Schritte ins Zimmer hinein und blieb stehen. Die Frau lag auf dem Boden; aus ihrer linken Brust ragte der Griff der Waffe, die sie getötet hatte. Donnerwetter, muß ja ein Mordsweib gewesen sein, dachte Masters.
»Hat hier jemand etwas berührt, Doktor?«
»Nein. Nancy ist ohnmächtig geworden, als sie die Leiche sah, und David mußte sie nach unten tragen. Ich bin sofort ans Telefon unten im Flur gegangen und habe die Polizei angerufen.«
»Daran taten Sie recht.«
Masters kniete sich neben die Leiche und betastete sie mit den Fingerspitzen. Die Waffe, stellte er fest, war kein Messer, sondern ein Brieföffner aus Metall. Die Frau war offensichtlieh bereits seit geraumer Zeit tot. Fast hätte er den Doktor nach seiner Meinung gefragt, doch die Vorsicht gebot ihm, das lieber nicht zu tun. Es war besser, auf den Bericht des Polizeiarztes zu warten. Masters stand auf und wischte sich mit dem Taschentuch die Finger ab. Dann durchsuchte er kurz das Zimmer.
»Komisch«, sagte er.
»Das, würde ich sagen, hängt davon ab, was man unter komisch versteht«, sagte Jack Richmond von der Tür her.
»Merkwürdig, meine ich.«
»Was?«
»Das Zimmer. Es ist so ordentlich. Wenn dem Mord ein Streit zwischen ihr und ihrem Mann vorangegangen ist, müßten doch Anzeichen für einen Kampf zu finden sein.«
»Nicht unbedingt, Leutnant. Larry war in mancher Hinsicht ein eigenartiger Mensch. Ich könnte mir vorstellen, daß er in dem Augenblick, als er sich zu dieser drastischen Maßnahme gezwungen sah, sie sehr sauber und ordentlich ausführte. Vermutlich hat er einfach den Brieföffner genommen und zugestochen, noch ehe Lila erkannte, was er beabsichtigte.«
»Sie sind ja sehr sicher, daß er der Täter ist, Doktor.«
»Es deutet doch alles darauf hin, nicht? Er ist davongelaufen. Und wer sonst hätte Gelegenheit zur Tat gehabt?«
Masters knurrte. »Weshalb glauben Sie, daß die Mordwaffe ein Brieföffner ist?«
»Weil der Griff danach aussieht, deshalb.«
»Stimmt. Sie haben gute Augen, Doktor. Ich frage mich nur, warum die Klimaanlage abgeschaltet ist. Wüßten Sie darauf vielleicht eine Antwort?«
»Gewiß. Als die beiden gestern abend nach Haus kamen, war es inzwischen viel kühler geworden. Ich nehme an, sie wollten hier oben die Fenster öffnen. Frische Luft ist in jedem Fall besser als eine Klimaanlage. Meine Frau und ich haben das gleiche getan.«
»Aber es sind keine Fenster offen.«
»Dann sind sie eben nicht mehr dazu gekommen, sie zu öffnen. Vermutlich kam der Streit dazwischen.«
»Gut kombiniert, Doktor. Nun ja, hier gibt’s nichts mehr zu tun, bis nachher der Coroner und mein Fingerabdruckexperte kommen. Gehen wir wieder hinunter auf die Terrasse.«
Draußen im Flur blieb Masters unvermittelt stehen und starrte auf die Wand neben der Schlafzimmertür, als habe er plötzlich eine überaus wichtige Entdeckung gemacht.
»Ist das der Thermostat?«
»Ja, ich glaube schon.«
Er streckte den Arm aus und drehte mit dem Zeigefinger langsam den Zeiger, der die Temperatur regulierte. Gleich darauf kam aus den Luftöffnungen ein schwaches Klicken und ein leichter Luftstrom.
»Er geht«, sagte Masters.
»Natürlich geht er. Was dachten Sie denn?«
»Ich dachte, er wäre vielleicht kaputt. Aber er geht.« Er drehte den Zeiger in die alte Stellung zurück, und der Luftstrom versiegte. »Der Thermostat muß absichtlich so eingestellt worden sein, daß die Klimaanlage nicht ansprang.«